Popstars des Internationalen
Es gab genau 10 Hefte, genauer gesagt “Architekturtelegramme” der britischen Architektengruppe Archigram, die zwischen 1961 und 1972 in London erschienen waren. Und die damals bis heute noch ihre bilder- und sprachmächtige Wirkung entfalteten. Begriffe wie Instant City, Plug-In-City, Living Pod, Self-Structuring-System, Computer- und natürlich die Walking-City machten die Gruppe um Ron Herron, Warren Chalk und Peter Cook international bekannt und als Symbole für futuristische Ansätze im Entwurf und der Realisierung von Lebensräumen ganz allgemein auch international berühmt. Dass man bei den “Archigram Boys” – so Micheal Sorkin in seiner Einleitung des hier vorliegenden “The Book” so auffallend oft schreibt – immer auch Popstars vor Augen hat, ist nicht bloß ihrem Auftreten, ihrer Präsenz im gerade erst sich öffnenden Architekturdiskurs zu verdanken. Der Popstatus verdankt sich auch den Mitteln der (Selbst)Darstellung ihrer Ideen und Projekte und sicher auch dem Pop-Dasein und -Werden eines ganzen Jahrzehnts.
Womit wir bei “The Book” sind, das Ende 2018 bei Park Books erschienen ist und nun mit seinem Überformat schwergewichtig auf dem Tisch liegt. Etwa das Format der zehn Hefte aufnehmend, vereinigt das Buch sämtliche Inhalte der zehn Hefte. Mal faksimiliert, mal in Teilen kopiert, dann wieder in transkribierter (Text)Form auf die Querformate der Seiten gebracht, können wir jetzt in die Wunderkiste schauen, die antiquarisch zu erwerben zumindest sehr kostspielig, in Gänze aber sicher unmöglich ist.
Comic-Strips, Collagen, Filmstills, Zeichnungen, Modelle, Skizzen und überall diese DIN-Handschrift, die heute digitale Schriftfonts zu imitieren versuchen, und ja, auch Menschen werden gezeigt, Menschen auf der Straße, in Häusern, auf Häusern … Dabei wird dieses ganze Bildermeer kommentiert von den verbliebenen Archigram-Boys sowie durch damalige und aktuelle Essays in einen historischen Kontext gebracht.
Was wir davon haben? Der Untertitel “The Book” möchte den universalen Anspruch des Buches formulieren, hier werde wirklich alles gesagt zu Archigram. Was natürlich nicht möglich ist, es bedürfte dazu einer mittelgroßen Bibliothek. Was “The Book” aber tatsächlich leistet ist der umfassende Blick auf das Material, das die Architekten zusammensammelten und in Künstlerbuchmanier und mit dezidiert politischem Ansatz in den Architekturdiskurs einfliessen ließen. Erst war es wie eine Tröpfeln, dann ein professoraler Vortrag und am Ende eine auf Papier kaum gebändigte Flut von Visionen und Projektvorschlägen für eine möglicherweise andere Zukunft. Auf die wir alle – fast alle – bis heute warten. Mit Register.
Archigram. The Book. Hrsg. v. Dennis Crompton mit Beiträgen v. u. mit Texten von Warren Chalk, Peter Cook, Ron Herron, David Greene, Michael Webb, Reyner Bahnham, Martin Pawley und Michael Sorkin. Park Books, Zürich 2018, 300 S., 396 Farb- und 216 swAbb.,
125 €, ISBN 978-3-03860-098-5