PreisträgerPropsteikirche St. Trinitatis, Leipzig
Das Zusammenspiel von allen am Bau der Propstei-kirche St. Trinitatis in Leipzig Beteiligten überzeugte
die Jury des Balthasar Neumann Preises 2016.
Die neue Propsteikirche ist aus der umgebenden Stadt heraus entwickelt und fügt sich wie selbstverständlich in diese ein. Ihre Präsenz erhält sie durch den hohen Kirchenbaukörper und den Kirchturm, vor allem aber durch die einladende Offenheit des Pfarrhofs und die Prägnanz der gemauerten Hülle aus Rochlitzer Porphyr. In prominenter Lage der Innenstadt, zwischen Neuem Rathaus und Wilhelm-Leuschner-Platz, definiert die Trinitatiskirche einen Ort, der sich respektvoll einfügt und deutlich wahrnehmbare Stadtraumkanten ausbildet. Zwischen diesen beiden Hochpunkten Kirchenraum und Kirchturm ist der Pfarrhof eingeschnitten. Im Gegenüber der beiden Höhendominanten von Kirche und Rathaus entsteht entlang des Martin-Luther-Rings eine städtebauliche Torsituation, die den Auftakt für die Entwicklung der immer noch deutlich sichtbaren Kriegsbrache am Wilhelm-Leuschner-Platz markiert.
Kirchenraum
Für Leipzig ist die neue Propsteikirche mehrdimensionaler Lebensraum, der in zentraler innerstädtischer Lage einen öffentlichen Mehrwert schafft und die kulturelle Vielfalt stärkt. Sie wird durch die Wirkung von Licht, Raum und Materialität geprägt. Mit einer lichten Höhe von über 14 m ermöglicht der Kirchenraum eine Raumerfahrung, die durch das große Oberlicht in 22 m Höhe intensiviert wird. Von hier fällt Tageslicht unterschiedlicher Intensität entlang der Altarrückwand in den Kirchenraum. Ein weiteres wichtiges Gestaltungselement ist das große ebenerdige Kirchenfenster (Künstler: Falk Haberkorn), das die Kommunikation zwischen Gemeinde und Stadt wie über ein interaktives „Schaufenster“ inszeniert. Über den Luftraum erweitert sich der Kirchenraum im Ober-
geschoss auf die Empore und bietet hier Platz für die Aufstellung von Orgel, Chor sowie weiterer Kirchenbänke. Der Kirchenraum ist in Querrichtung orientiert; seine optische und szenografische Mitte ist der Altarraum. Auf Abtrennungen gegenüber der Gemeinde wurde verzichtet, um den Altarraum für unterschiedliche liturgische Handlungsformen zu öffnen. Lediglich ein leichtes Gefälle (vom Eingang zum Altar) umschließt den Altarraum und ermöglicht optimale Sichtbeziehungen.
Gegenüber dem großen Kreuz an der Altarrückwand (Künstler: Jorge Pardo) ist ein zweites Kreuz als dessen negativer Abdruck in die Wandfläche über der Empore eingeschnitten und öffnet den Kirchenraum zum Licht der tiefstehenden Westsonne.
Konstruktion
Der Neubau ist ein homogener Baukörper mit auskragenden und weitgespannten Bauteilen. Basis bilden die beiden Gebäudeteile von Kirche (Kirchenraum, Sakramentskapelle, Beichträume, Sakristei, Einrichtungen der Kirchenmusik) und Gemeindezentrum (Gemeindesaal, Büros, Priesterwohnungen, Technikräumen, Kirchturm, Tiefgarage), die über zwei brückenartige Bauteile miteinander verbunden sind. Die Konstruktion besteht aus weitgespannten Tragkonstruktionen mit wenigen lastabtragenden Bauteilen im Erdgeschoss. Die Umsetzung
erfolgt mit wandartigen Trägern im Obergeschoss, die in
einer fugenlosen Stahlbetonkonstruktion mit möglichst geringem Konstruktionseigengewicht ausgeführt sind. Besondere Herausforderung ist der über 60 m lange, stützenfreie, passagenartige Eingang in den Pfarrhof unterhalb der Orgelempore. Die beiden wandartigen Träger der Kirchenost und -westwand halten hierbei die eingehängte Nordwand mit trogartiger Orgelempore, die in die geschosshohen Vierendeelträger des Brückenbauwerks übergeht. Zur Minimierung der Eigenlasten sind die Geschossdecken in Unterzugsdecken aufgelöst, das 22 m weit spannende Dach über dem Kirchenraum wird durch eine Fachwerkträgerkonstruktion getragen. Die brückenartigen Bauteile über den passagenartigen Zugängen zum Pfarrhof sind als wandartige Träger ausgebildet, deren Lasten gezielt aufgenommen und durch wenige lastabtragende Bauteile im Erdgeschoss in den Baugrund abgeleitet werden. Die Gründung erfolgt mittels Pfählen.
Nachhaltigkeit und Materialität
Gewohnte Standards der Langlebigkeit sowie des Komforts wurden während der Planungsphase hinterfragt und in Bezug auf die jeweilige Notwendigkeit neu bewertet. Im Fokus steht eine Bewertung von der Produktion über den Lebenszyklus bis hin zu Revisionierbarkeit und Entsorgung. Die Betrachtungen zielen auf eine nahezu unbegrenzte Nutzungsdauer. Der Anspruch umfassender Nachhaltigkeit wurde bereits mit dem Projektstart fest-geschrieben und über den Architekturwettbewerb konkretisiert, für dessen Bewertung heute allgemeingültige SNAP-Methode (Systematik für Nachhaltigkeitsanforderungen in Planungswettbewerben) entwickelt wurde.
In der Planung wurde das Thema dann zu ausgewählten Schwerpunktthemen intensiv beforscht (Grundlagen zur Berechnung von thermischen Speichern im Erdreich,
Methode zur Baustoffprüfung für schadstoffreduziertes Bauen, Bewertung von Instandhaltungsprozessen). Die wissenschaftliche Begleitung wurde durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert und in Forschungsberichten veröffentlicht.
Grundlage der besonderen Nachhaltigkeit ist die Integration der Themen in die Zusammenhänge von Funktion, Ästhetik und Städtebau, die eine effiziente, ressourcensparende Architektur ermöglichen. Hinzu kommt eine grundlegende Ökobilanzierung, um schädliche Umweltwirkungen auszuschließen. Die Betrachtungen führen über den üblichen Zeitraum von 50 Jahren (nach DGNB) hinaus und umfassen eine Nutzungsdauer von mehr als 100 Jahren. Entsprechend wurden sehr langlebige Baustoffe auf mineralischer oder nachwachsender Basis bevorzugt. Im Ergebnis liegt der Referenzwert der Ökobilanz des Neubaus 45 % unter dem Referenzwert nach DGNB. Dabei ermöglicht der generelle Verzicht auf Verbundwerkstoffe am gesamten Neubau Austausch, Wartung und Recycling einzelner Komponenten sowie der gesamten Gebäudetechnik.
Regionale, nachwachsende oder mineralische sowie schadstofffreie Materialien (Porphyr aus Rochlitz, Travertin aus Weimar, Granit aus Beucha bei Leipzig, Eichenholz aus Hessen) wurden bevorzugt eingesetzt. Die Aktivierung von Wertstoffkreisläufen (Altglas als Grundlage für die Schaumglasdämmung) und eine handwerkliche, materialgerechte Fügung (freie Steinlängen im wilden Verband der gemauerten Porphyrfassade) verbessern
die Ökobilanz und die Dauerhaftigkeit weiter. Zur detaillierten Bewertung möglicher Schadstoffbelastungen während und nach der Nutzung wurde eine projekteigene
Matrix entwickelt, um Produkte in Bezug auf Einsatz und Belastungen zu beurteilen. Im Ergebnis wurden vor allem Baustoffe mit dem Umweltzeichen „Blauer Engel“ oder „EmiCode“ verwendet und 2-komponentige Reaktivharzprodukte, Lösemittel, Schwermetalle und Biozide als Bestandteile vermieden.
Mit Blick auf die übergeordnete gesellschaftliche Funktion der Kirche wurde der Neubau als eine Art Schutzraum konzipiert, der auch im Fall eines Krisenszenarios Rückzugsort ist und ein Mindestmaß an Versorgung ermöglicht. So werden beispielsweise (Grau-) Wasserreserven in einem autarken Speicherbehälter im Kirchturm vorgehalten, die mittels Schwerkraft im Wasserturmprinzip genutzt werden. Mit einem Anteil regenerativer Energien von etwa 76 % erzeugt die Kirche auch den Großteil der Energie selbst, der zum umfänglichen Betrieb notwendig ist. Während der ersten zwei Jahre werden alle Gebäudekenndaten im Monitoring erfasst, um die vorab definierten Ziele und Annahmen abschließend zu bewerten.
Universal Design
Ein weiterer Gradmesser für die Dauerhaftigkeit eines Gebäudes ist dessen Akzeptanz, die im Wesentlichen aus der kontextuellen, räumlichen, funktionalen und sozialen Disposition entsteht. Der Pfarrhof mit seinen wechselseitigen Blickbeziehungen bildet einen zentralen gemeinschaftlich genutzten Ort. Kirchenraum und Gemeindezentrum sind mehrdimensional nutzbare Räume des gesellschaftlich-kulturellen Lebens. Neben der baulichen Barrierefreiheit sind es vor allem die ganzjährig intensive, blendfreie Nutzung des Tageslichts, reservierte Rollstuhlplätze, induktive Höranlagen sowie die akustische Übertragungen von Gottesdiensten in Mutter-Kind-Räume.
Beurteilung der Jury
Der Neubau der katholischen Propsteikirche St. Trinitatis in Leipzig wird den Anforderungen an den Balthasar Neumann Preis in höchstem Maße gerecht. Nicht nur die innovativen technologischen Lösungen als Ausdruck gelungener integraler Zusammenarbeit von Architekten, Tragwerksplanern und TGA-/Energieplanern überzeugten die Jury, sondern auch die herausragende baukulturelle Qualität des Entwurfs. Die anspruchsvolle Aufgabe, einen zeitgenössischen Kirchenneubau auf einem dreiecksförmigen Grundstück in prominenter Innenstadtlage von Leipzig zu errichten, hat das Planungsteam eindrucksvoll umgesetzt. Städtebaulich füllt der markante Baukörper das dreiecksförmige Grundstück vollflächig aus und definiert damit deutlich wahrnehmbare Stadtbaukanten. Dabei bilden der Kirchenraum und der Kirchturm als „gegenüberliegende Pole“ zwei Hochpunkte, zwischen denen sich die Räume des Gemeindezentrums und der zentrale Pfarrhof aufspannen. Trotz der scheinbaren Schwere des Baukörpers mit seiner prägnanten Natursteinfassade gelingt es den Planern, eine Leichtigkeit und Offenheit für das neue Kirchengebäude zu erreichen. Wesentlicher Ansatz hierzu ist die städtische Durchlässigkeit der Erdgeschosszone, wodurch der Pfarrhof zum öffentlichen Platz mutiert. Konstruktiv umgesetzt wird dies durch zwei brückenartige Baukörper, die Kirchenbau und Gemeindezentrum miteinander verbinden und hierdurch wie selbstverständlich passagenartige Zugänge zum öffentlichen Pfarrhof bilden. Die Leichtigkeit und Offenheit im Außenraum setzt sich auch im Inneren des Gebäudes fort. Durch ein großes Oberlicht fällt Tageslicht entlang der Altarrückwand in den Kirchenraum und ein großes, ebenerdiges – von Falk Haberkorn gestaltetes – Kirchenfenster ermöglicht die visuelle Kommunikation zwischen Gemeinde und Stadt.
Die Materialwahl prägt nicht nur die Gestalt des Baukörpers, sondern trägt auch entscheidend zum Konzept der Nachhaltigkeit bei. Da das Gebäude auf eine sehr lange Nutzungsdauer ausgelegt ist, wurde entsprechend auf den Einsatz langlebiger, werthaltiger Baustoffe geachtet. Zudem wurde generell auf Verbundwerkstoffe verzichtet, wodurch später der Austausch einzelner Schichten und die sortenreine Trennung möglich sein wird. Im Ergebnis liegt der Referenzwert der Ökobilanz, nach Angabe der Verfasser, 45 % unter dem Referenzwert nach DGNB und der Anteil regenerativer Energien, der zum umfänglichen Betrieb notwendig ist, betrage 76 %.