Preiswert und energiesparendOxley Woods in Milton Keynes/GB
Das Projekt erhielt die „Menser Medal“. Diese Auszeichnung wird in England für die besten Gebäude vergeben, die sich durch Innovationskraft in Design, Konstruktion und Technologie auszeichnen. Bisher verlieh die Jury den Preis für Einfamilienhäuser, dieses Jahr wurde diese Kategorie um Systemhäuser erweitert. Die engere Auswahlliste setzt sich aus ehemaligen Gewinnern des RIBA-Awards zusammen.
Milton Keynes ist ein Ortsname, der in Großbritannien heftige Reaktionen auslösen kann. Es ist ein bisschen wie bei Marmite, dem Brotaufstrich aus fermentierter Bierhefe: Man liebt es oder man hasst es. Bei Milton Keynes scheiden sich ebenfalls die Geister. Inspiriert von den Ideen des kalifornischen Stadttheoretikers Melvin Webber, wurde die Stadt in den 60er Jahren am Reißbrett entworfen und in die flache Landschaft der Grafschaft Buckinghamshire gesetzt. Während die einen den schachbrettartigen und anti-konzentrischen Rasterplan des Straßennetzes lieben, wollen andere im Fehlen einer Hierarchie der urbanen Teile nur den Horror der Schlafstädte erkennen.
Jeweils rund 70 km von London, Oxford und Cambridge entfernt, ist Milton Keynes jedoch ein Experiment, das gelungen zu sein scheint. Mit heute rund 220 000 Einwohnern ist es eine der am stärksten wachsenden Städte des Königreichs. Und es ist immer noch ein Ort der Experimente. Am Westrand der Stadt entsteht zurzeit eine Fertighaussiedlung, die neue Wege für den britischen Häuserbau weist. Das Projekt „Oxley Woods“ setzt Maßstäbe bei der innovativen und preiswerten Konstruktion ebenso wie bei der Umweltfreundlichkeit der Häuser.
Ausgangspunkt des Projekts war der 2005 von der Regierung ausgeschriebene Wettbewerb „Design for Manufacture“, der das Problem der wachsenden Immobilienpreise von der Seite der Fertigungskosten her adressieren sollte. Zu einem Konstruktionspreis von gerade einmal 60 000 Pfund, umgerechnet ca. 75 000 Euro, sollte ein Haus erstellt werden, das hohen Qualitätsansprüchen in Hinsicht auf Adaptionsfähigkeit und Ökostandards genügen konnte. Man hoffte, dass die Herausforderung zu neuen Ideen innerhalb der Industrie führen werde, wollte eine engere Zusammenarbeit zwischen Architekten und Baununternehmern fördern und effizientere Konstruktionsmethoden popularisieren. Die Architekturfirma Rogers Stirk Harbour + Partners (RSHP), vormals Richard Rogers Partnerschips, ist weniger bekannt für das Design von Fertighaussiedlungen als für ikonische Großprojekte. Der Bauunternehmer George Wimpey dagegen, einer der größten des Landes, bevorzugt traditionell konservative Designs. Doch die beiden, unterstreicht Wimpey-Direktor Ian Sutcliffe, seien durchaus „komplementäre Partner mit einem gemeinsamen Ziel“. Für RSHP lag die Herausforderung darin, zu beweisen, dass man die ambitionierten Ziele auch kommerziell umsetzen kann. Wimpey reizte es, neue Wege beim Hausbau in einer Art Pilotprojekt auszuprobieren. Insgesamt 145 Einheiten sollen auf dem 3,26 ha großen Gelände in Oxley Woods entstehen, wobei die Größe der Häuser, um die in Großbritannien übliche Kategorie bei der Eigenheimtaxierung zu gebrauchen, von zwei bis fünf Schlafzimmern variieren wird. Man entschied sich für eine Holzrahmen-Konstruktion ohne jedes Mauerwerk. Insgesamt elf Häusertypen erlaubt das RSHP-Design bei einer Nutzfläche zwischen 61 und 136 m2. Die große Bandbreite an verschiedenen Haustypen wird erreicht durch eine grundsätzliche Designentscheidung: RSHP standardisierte die Service-Elemente wie Treppenhaus, Toilette und Badezimmer für alle Haustypen und stellte sie in einem „Core“, dem bis zu drei Stockwerk hohen Kernquader des Hauses, zusammen. Das erlaubt eine große Flexibilität bei den Wohnflächen, die an tragenden Elementen nur die Außenwände aufweisen und um den Kernquader in verschiedensten Varianten herumgebaut werden können.
Der Schlüssel für die geringen Konstruktionskosten von 60 000 Pfund für ein 2-Schlafzimmer-Starterhaus mit einer Nutzfläche von
76 m2 lag in Standardisierung und Vorfertigung, die „off-site“ bei einer Firma in Derbyshire geschah. „Wir hätten unser Projekt nicht verwirklichen können“, meint Projektarchitekt Paul Thompson, „ohne die
Partnerschaft mit Wood Newton, die voller Enthusiasmus an unseren Ideen mitarbeiteten.“ Das sich auf Holzbau spezialisierte Unternehmen fertigt alle Teile des Rohbaus vor, lediglich die Streifenfundamente werden vor Ort gelegt. Alle andere kommt per Lastwagen zum Baugrund: der Holzrahmen der Außenwände, die Böden, Decken, Fensterrahmen und natürlich der „Core“, die standardisierten Service-Elemente. Die Vorfertigung erlaubt wiederum rasante Konstruktions
zeiten. Auf dem Internet-Portal YouTube ist ein Film zu sehen, der den Bau eines Hauses innerhalb von 24 Stunden zeigt. Lediglich ein Kran ist vonnöten, um die einzelnen Elemente an Ort und Stelle zu hieven. Die Holzwände werden vor Ort miteinander verschraubt und mit einem Isolationsmaterial aus zerschreddertem Papier gefüllt. Die Verkleidung der Außenwände geschieht mit „Trespa“-Platten, deren Finish den Häusern, so Paul Thompson, „ein klares modernes Aussehen verleiht“.
Thompson sieht in der Vorfertigung auch klare Vorteile, was die Erreichung der Ökostandards angeht: „Durch das millimetergenaue Arbeiten erreichen wir sagenhafte Werte bei der Isolierung“. Nicht nur in dieser Hinsicht können sich die umweltfreundlichen Credentials sehen lassen. Nach der in Großbritannien vorgenommenen BREEAM-
Bewertung eines Gebäudes, die dessen umweltrelevante Gesamtleistung in den Blick nimmt, erreicht das RSHP-Haus die Note „sehr gut“. Dazu trägt der Einsatz nachhaltiger Materialien ebenso bei wie die Vermeidung von Abfall bzw. dessen Recyclingrate, der geringe Wasserverbrauch bei der Konstruktion sowie der verminderte Energieaufwand durch optimierte Isolation und kontrollierte Ventilation. Und hierbei spielt der „Ökohut“ eine entscheidende Rolle .
Dieser knallrote Aufsatz auf dem Dach ist neben dem ästhetischen Statement ein kleines Öko-Kraftwerk mit bewährter „Sunwarm“-Technologie. Durch eine 4 m² große Fläche von Solarkollektoren strömt frische Luft ein, wird gefiltert und vorgewärmt. Die Warmluft zirkuliert dank eines Zehnwatt-Ventilator durchs Haus und kann zusätzlich an einen Heißwassertank angeschlossen werden. Im Sommer lässt sich das Ventilationssystem für die nächtliche Kühlung des Hauses einsetzen. Verglichen mit einem herkömmlichen Gebäude gleicher Größe stößt das RSHP-Haus 40 % weniger Kohlendioxid aus – und rund ein Drittel dieser Reduktion ist dem Ökohut anzurechnen.
Die umweltschondenden und energiesparenden Vorzüge des Designs dürften, wie Wimpey kalkuliert, „den ökobewussten Kunden“
ansprechen. Daneben zieht natürlich das verhältnismäßig niedrige Preisschild von rund 210 000 Pfund für ein Standardhaus das Publikum an. Verglichen mit dem, was ansonsten auf dem Mark ist, besticht das RSHP-Eigenheim darüber hinaus durch eine Reihe von zusätzlichen Design-Dreingaben. Entworfen, um die Vorgaben des „Building for Life“-Programms zu erfüllen, besitzt das RSHP-Heim eine Reihe von Features, die dessen Adaptionsfähigkeit für veränderte Lebensumstände garantieren. Dazu gehören Treppen, die breit genug für einen Treppenlift sind, Toiletten, die man für Rollstühle anpassen kann, und vieles mehr. Und es sind auch die großzügig bemessenen Fenster, die Oberlichter im Treppenhaus, die Lichtgaden in den Schlafzimmern, weite Korridore sowie breite und hohe Türen, die das Gefühl geben, dass das Haus größer scheint, als es von außen aussieht.
Jochen Wittmann, London