Primarschule Vinci, Suhr/CH
Mit dem Schulhaus Vinci geben pool Architekten der Schulanlage in Suhr einen neuen Hochpunkt. Für Tragsystem und Innenausbau setzten die Planer auf möglichst vorfabrizierbare Elemente. Die Treppenskulptur aus Sichtbeton lädt zum Versteckspielen ein – womöglich ganz im Sinne Leonardo da Vincis, dem die ähnlich konzipierte Treppenanlage im Schloss Chambord zu-geschrieben wird.
Als Einwohnergemeinde mit knapp 10 000 Einwohnern unterhält Suhr neben Kindergärten und Primarschulen auch eine Sekundar- und Bezirksschule. Die nächstgelegene Kantonsschule, also ein Gymnasium, befindet sich im benachbarten Aarau. Mit den steigenden Einwohnerzahlen wuchs über die vergangenen Jahrzehnte auch der Bedarf an Schulen und so vergrößerte die Gemeinde das mitten im Dorf gelegene Schulareal kontinuierlich. Einem ersten Flachbau für die Primarschule aus dem Jahr 1952 folgten eine Aula (1957), eine Doppelturnhalle sowie Bezirksschule (1966), ein Oberstufenschulhaus (1979) und zuletzt eine Turnhalle (2014). Zu jedem der Bauten wurden eigene Freiflächen und Plätze geplant. Es entstand sukzessive ein Konglomerat aus vielen Gebäuden, die nicht den Kontakt zum Nachbarhaus suchen. Dennoch entwickelte sich so eine Art Campus, der aus allen Richtungen erschlossen ist und ein Zentrum im Dorfkern bildet.
Weiterbauen und ordnen
Im für das Schulhaus ausgeschriebenen Wettbewerb war ein konventionelles Raumprogramm gewünscht. Größere und mehr Räume wurden benötigt, denn entsprechend einer Schulreform im Kanton Aargau müssen die Primarschulen künftig ein Fünftel mehr Kinder aufnehmen. Auffällig war, so Matthias Stocker und Martin Trefon vom siegreichen Büro pool Architekten, dass das Programm mit 70 m2 großen Klassen- und 35 m2 großen Gruppen- und Therapieräumen sehr modular aufgebaut war. „Diese strukturelle Logik hat unseren Entwurf beeinflusst“, so Matthias Stocker. Die Herausforderung war, das umfangreiche Raumprogramm auf einer möglichst kleinen Grundfläche unterzubringen. Mit dem viergeschossigen Sichtbetonbau brachen die Architekten das gängige Bild, das von Primarschulhäusern existiert – niedrig, verwoben mit dem Außenraum, den kleineren Kindern entsprechend. „Für uns passte ein weiterer Zwei- oder Dreigeschosser nicht zu den Qualitäten der Schulanlage, also gingen wir im Wettbewerb mit einem viergeschossigen Bau ein Risiko ein“, so Stocker. Trotz des vielen Sichtbetons und ihrer Höhe wirkt die Schule nicht wuchtig. Von Aussen erscheint das Haus eher feingliedrig, dank der schlanken, jeweils zweigeschossigen Betonstützen und den dazwischen gefassten Fensterelementen.
Vorfabrikation und Ortbeton
Der quadratische Grundriss des Entwurfs funktioniert ungerichtet, der Betonbau fügt sich als Solitär neben den bestehenden Schulhäusern ein, ohne Haupt- und Nebenseiten zu definieren. Herzstück und Zentrum des Schulhauses ist das offene Treppenhaus. Zwei gewaltige Wendeltreppen schrauben sich durch das Gebäude. Sie wurden im Verbund mit den Geschossdecken betoniert und bilden gemeinsam mit ihnen ein statisches System. Um den freien Grundriss nicht mit einem separaten Treppenhaus zu blockieren, entwickelten pool Architekten eine Treppenskulptur, die innen und aussen begangen werden kann. Zwei Treppen führen offen zu den oberen Geschossen, während sich unter ihnen in einem massiv betonierten Brandabschnitt die Fluchttreppen verbergen. Dank ihres großen Radius überwinden die Treppen die drei Höhengeschosse fließend, was das Haus kleiner erscheinen lässt, als es eigentlich ist. Für die rund 400 Schülerinnen und Schüler sind die Treppen mit zwei Metern Breite sehr großzügig dimensioniert und auch die versteckte Nottreppe hätte schmaler ausfallen dürfen – das Spiel mit Enge und Weite ist Luxus und Qualität zugleich. Aus den Treppen, Geschossdecken und den zweigeschossigen Stützen entsteht die kraftschlüssige Tragstruktur: Zwei Ringe aus vorfabrizierten Stützen, miteinander durch einen Randunterzug aus Ortbeton entlang der Geschossdecken verbunden, tragen Fassaden und Decken. Dieses biegesteife System stabilisiert das Gebäude gegenüber Wind- und Erdbebenlasten, ohne aussteifende Wände zu benötigen. Die rohen Betonflächen im gesamten Haus fallen angenehm auf, denn ihre Qualität ist bis ins Detail – und bis ins Fluchttreppenhaus hinein – bemerkenswert gut. Für die Untersichten der Wendeltreppen im Atrium wurde sogar eine spezielle, konisch zulaufende Lattenschalung verwendet, damit ein stimmiges Gesamtbild entsteht. Die einzige, auffällige Nachbearbeitung ist, dass die Trittflächen der Wendeltreppen abschließend geschliffen und poliert wurden.
Offen für Vieles
Die grauen Betonoberflächen und der Klinkerboden im Atrium schaffen eine eher kühle, robuste Hallenatmosphäre. Das Erdgeschoss ist frei von Klassenzimmern, hier befinden sich das Lehrerzimmer, ein Veranstaltungssaal, zwei Therapieräume und die Gemeindebibliothek. Verglichen mit der zentralen Halle wurden für die äußeren Räume weicher und wärmer wirkende Bodenmaterialien gewählt. Im Erdgeschoss kam sägeraue und ölpigmentierte Esche zum Einsatz, in den Klassen- und Gruppenräumen des Obergeschosses hingegen dunk-les Linoleum. Auf allen Etagen fällt besonders die Modularität der einzelnen, oft vorgefertigten Bauteile auf: Türpaneele, Glasbausteinwände, Fassadenelemente und selbst die eingefassten Sitzbänke fügen sich in das gleichmäßige Raster der inneren und äußeren Stützen.
Zum Atrium sind die Räume durch Glasbausteinwände getrennt, die zusätzlich Tageslicht in den tiefen Baukörper bringen. Auch über das Dach, dessen gesamte Fläche zwischen den Dachträgern mit vorgefertigten Glasbausteinelementen ausgefacht ist, wird das Gebäudeinnere mit Tageslicht versorgt.
„Viele Schulen werden für heutige Verhältnisse und Bedürfnisse gebaut“, so Martin Trefon. „Mit der zentralen Doppeltreppe und der Tragstruktur aus Stützen konnten wir, abgesehen vom Sanitärblock, den Grundriss frei gestalten und so zukünftige Nutzungsveränderungen ermöglichen.“ Im Schulhaus bewies sich das bereits im Erdgeschoss: Hier sollte im Wettbewerb ein Mehrzweckraum geplant werden, in der Überarbeitung hingegen wurde ein schulinterner Mittagstisch diskutiert. Heute befindet sich im großen Raum, der durch die gesamte Gebäudelänge spannt, die Gemeindebibliothek von Suhr. „Das modulare System ermöglichte uns, den Grundriss weiterzuentwickeln – ein Gerüst, in dem wir uns bewegen konnten“, erklärt Matthias Stocker. Anders gesetzte Leichtbauwände würden auch Einzel- oder Großraumbüros ermöglichen, denn auch Haustechnik und Beleuchtung sind jeweils abseits der Achsraster geplant.
Zwischen den Treppen
Seit das Schulhaus im August 2017 bezogen wurde, zeigt sich, wie vielfältig die Räume genutzt werden. Zwar kann das große Atrium nicht separat möbliert werden, die Treppe ist für die Kinder aber Lese- und Spielraum und die große Halle ein wichtiger Interaktionsraum geworden. Als prägnantes Element im städtebaulichen Konglomerat ergänzt das Schulhaus Vinci das Areal an der Kantonsstrasse und verschafft der Schulanlage eine Öffentlichkeit im Dorfkern – dass zudem die Gemeindebibliothek in das Gebäude einziehen konnte, war eine glückliche Fügung, die das Areal noch mehr in das Dorf einbindet.
Baudaten
Objekt: Primarschule Vinci
Standort: Tramstrasse, Suhr/CH
Typologie: Schulbau
Bauherr: Einwohnergemeinde Suhr/CH
Nutzer: Schule Suhr/CH
Architekt: pool Architekten GmbH, Zürich/CH
Mitarbeiter: Dieter Bachmann (Partner), Matthias Stocker (Partner), Martin Trefon (PL), Kaspar Appels, Leah Fischer
Bauzeit: August 2015 – August 2017
Fachplaner
Landschaftsarchitekt: Haag Landschaftsarchitekur, Zürich/CH, www.haag.la
Bauingenieur: Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Zürich/CH, www.schnetzerpuskas.com
Gebäudeingenieur HLK: Gruenberg + Partner AG, Zürich/CH, www.gruenberg-partner.ch
Sanitär: Planungsbüro S. Widmer, Suhr/CH
Elektro: Bhend Elektroplan GmbH, Suhr/CH, www.bhend-elektroplan.ch
Bauphysik: Grolimund + Parnter AG, Aarau/CH, www.gundp.ch
Akustik: applied acoustics GmbH, Gelterkinden/CH, www.appliedacoustics.ch
Fassadenplaner: GKP Fassadentechnik AG, Aadorf/CH, www.gkpf.ch
Brandschutz: Conti Swiss AG, Zürich/CH, www.contiswiss.ch; Amstein Walthert (Simulation), Zürich/CH, www.amstein-walthert.ch
Signaletik: Bivgrafik GmbH, Zürich/CH, www.bivgrafik.ch
Projektdaten
Grundflächenzahl: 0,2 (exkl. Garage)
Geschossflächenzahl: 0,76 (exkl. Garage und Untergeschoss)
Hauptnutzfläche HNF: 2 905 m² (EG – 3.OG)
Nebennutzfläche NNF 1 804 m² (UG inkl. Garage, exkl. Technik)
Verkehrsfläche VF: 1 480 m² (Atrium EG – 3.OG)
Funktionsfläche FF: 199 m² (Schächte inkl. Technik UG)
Geschossfläche: 7 226 m² (Schulhaus inkl. UG und Garage)
Brutto-Rauminhalt: 26 925 m3 (alle Flächen nach SIA 416)
Baukosten
Anlagekosten (BKP 1 – 9): 21,86 Mio. CHF inkl. MwSt. (Schulhaus inkl. Garage)
Gebäudekosten (BKP 2): 19 Mio. CHF inkl. MwSt. (706 CHF/m3)
Energiekonzept
Das Flachdach besteht aus einer Ortbetonplatte mit Gefälle. Die Dämmstärke beträgt 30 cm, die Nutzschicht besteht aus Kies. Das Hauptelement des Daches ist eine zweischalige Oberlichtkonstruktion (Glasbausteine), die sowohl im Sommer als auch im Winter großen Einfluss auf den Temperaturverlauf und die Energiebilanz des Gebäudes hat. Das Oberlicht benötigt keinen äußeren Sonnenschutz. Das offene Treppenhaus weist durch den Beton eine hohe thermische Speicherfähigkeit auf, die Temperaturschwankungen im Innern abfedert und solare Gewinne speichert. Die Außenwände bestehen aus zweischaligen Betonstützen (Kerndämmung 20 cm) und Leichtbaufassadenteilen dazwischen. Die Konstruktion ist thermisch getrennt für optimale U-Werte im Bereich von 0,52 W/m²K (opak) und 0,87 W/m²K (Fenster), je nach Profilierung). Das UG liegt bis auf den nicht ausgebauten Kellerbereich vollständig im Dämmperimeter und ist gegen das Erdreich mit 12 cm XPS gedämmt.
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 25 kWh/m²a nach SIA Endenergiebedarf: 31 kWh/m²a nach SIA Jahresheizwärmebedarf: 29 kWh/m²a nach SIA
Gebäudehülle
U-Wert Außenwand (Stütze)= 0,17 W/(m²K)
U-Wert Fassadenpaneel = 0,52 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,27 W/(m²K) U-Wert Dach = 0,094 W/(m²K) Uw-Wert Fenster = 0,80 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,60 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 0,60 W/(m²K)
Uw-Wert Oblicht Glasbaustein = 0,95 W/(m²K)
Ug-Wert Oblicht Glasbaustein = 1,50 W/(m²K)
Volumenstrom Energienachweis = 0,7 m³/hm²
gtot-Wert Glas mit Sonnenschutz = < 0,10
gtot-Wert Oblicht Glasbaustein = ca. 0,30
Haustechnik
Die Wärmeenergieversorgung erfolgt über einen Fernwärmeanschluss (Kehrrichtverbrennung), Wärmeabgabe in den Schulräumen über Heizkörper in der Fensterbrüstung. Das komplette Schulhaus wird mechanisch be- und entlüftet. Luftmenge Klassenräume: 8,6 m³/hm²