Rationalisierung komplexer Formen paläon, Schöningen

Erhöht sich die Komplexität eines Gebäudes, steigen gleichzeitig die Baukosten. Das war so, das ist so. Seit der Digitalisierung der Architektur entwerfen Architekten immer komplexere Formen, die durch digitale Entwurfswerkzeuge, wie CAD-Programme und Plug-Ins, beherrschbar werden. Sie vereinfachen die Produktionskette und senken dabei die Kosten. Ein Plug-In von ROK half Holzer Kobler Architekturen ihren geometrisch anspruchsvollen Ausstellungskörper im Museum paläon zu realisieren.

Die 700 m² große Zellstruktur in der zweiten Etage des Museums
paläon in Schöningen ist eine aus MDF-Platten gefertigte Form, die die archäologischen Fundstücke des nahegelegenen Braunkohletagebaus ausstellt. Sie windet sich durch den Raum, bäumt sich auf, streckt sich aus, faltet sich zusammen, ist Vitrine, Kino, Sitzgelegenheit, Ausstellungsfläche zugleich. Eine komplexe Struktur, die Holzer Kobler Architekturen (HKA) für die Schöninger Speere, 300 000 Jahre alte Jagdwaffen, entwickelten. Abgeleitet aus dem Querschnitt eines Knochens, entwarfen die Architekten das Ausstellungsmodul. Das beherrscht und strukturiert nun die 639 m² der dauerhaften Ausstellung.

Für die Architekten bestand die Herausforderung darin, die komplexe Geometrie zu vereinfachen, um die Produktion sowie die damit verbundenen Kosten zu beherrschen. „Eine glückliche Fügung“, nennen ROK die Kollaboration mit HKA. ROK ist ein Architektur- und Planungsbüro, das unter anderem Plug-Ins für CAD-Anwendungen programmiert. Ein Plug-In erweitert die Funktionalität einer Software. Für den Entwurf des Ausstellungsmoduls im Museum in Schöningen war ein Plug-In für die 3D-Software Rhinoceros notwendig, mit der HKA arbeiteten. Das Plug-In ermöglicht es mehrfach gekrümmte Flächen plan darzustellen, ohne die Komplexität der Form einzubüßen. ROK hatte bereits eine ähnliche Software für eigene Projekte programmiert, als HKA sie ansprach. ROK stellten den Architekten das Plug-In zur Verfügung. Nach einer eingehenden Bedürfnisanalyse gemeinsam mit dem Architekturbüro fügte ROK der Softwareerweiterung zusätzliche Parameter hinzu. Aus der intensiven Auseinandersetzung zu Anfang des Projekts, resultierte nur noch „ein geringer Rücklauf“, sagt Matthias Rippmann, einer der drei Partner von ROK. Heißt, es gab nur noch wenige Anpassungen, die ROK an dem Plug-In vornahm, während die Architekten bereits damit arbeiteten.

Intelligentes Entwurfswerkzeug

Die vordefinierten Parameter beeinflussen die Konstruktion, das Material und die sich daraus ableitende Herstellung. Die Anwendung des Plug-In ließ die Zellenstruktur effizient und ökonomisch werden. Das ist das grundsätzliche Ziel eines intelligenten Entwurfswerkzeugs: Einen komplexen Entwurf in eine handhabbare Konstruktion zu übersetzen. Konkret bedeutete das für ROK den Gestaltungswillen der Architekten umzusetzen. Die von den Architekten entworfene Zellstruktur wies an mehreren Stellen mehrfach gekrümmte Flächen auf. Diese sind aufwendig herzustellen und deswegen teuer. Hier greift das Plug-In von den Planern aus Zürich in den Entwurf ein und vereinfacht ihn.

ROK wandelten die mehrfach gekrümmten in ebene Flächen um – ein iterativer Prozess. Zunächst ermittelten ROK mit einer Ausgleichsrechnung eine ideale Ebene der Zellwände, die die Eckpunkte der mehrfach gekrümmten Fläche auf die jeweilige Ebene projiziert. Ein neuer Mittelpunkt wird berechnet und dem benachbarten Eckpunkt zugeordnet. Der Schritt wiederholt sich bis alle Zellwände eben sind. Die vordefinierten Parameter kontrollieren Flächengröße, Kantenlänge und Volumen, die die Planer allerdings weiterhin frei wählen und modifizieren können. Zunächst bestimmen die Architekten entlang der Kanten des 3D-Modells Fixpunkte, danach können sie die Kantenlänge und Flächengröße anpassen und anschließend die Flächenorientierung in X-,Y- und Z-Achse verändern – bis zu vorbestimmten Größen, die die Platten noch handhabbar machen. Das intuitive Modellieren der Flächen lässt Öffnungen und Durchbrüche in der Zellstruktur entstehen sowie horizontale Sitzflächen ausbilden.

Rationale Produktion

Nachdem ROK die komplexe Geometrie rationalisiert hatte, vereinfachte HKA den digitalen Ablauf weiter. Philipp Rumpf programmierte ein Skript, das es der ausführenden Firma ermöglichte, die Pläne der einzelnen Platten mit Materialstärke, Winkelabmessungen und Nummerierung direkt aus der 3D-CAD-Anwednung Rhinoceros für die Herstellung auszugeben. Dadurch konnte das Material MDF (B1) verwendet werden und die insgesamt 800 weiß lackierten Platten CNC gefräst werden. Die ausführende Firma entwarf, fertigte und setzte ebenfalls die Unterkonstruktion her, auch aus MDF-Platten. Innerhalb von sechs Monaten realisierte der Hersteller gemeinsam mit den Architekten die zusammenhängende 1 000 m² große Wandfläche und das integrierte Rundkino.

Werkzeugkasten

Man kann sich ein Plug-In wie einen Werkzeugkasten vorstellen, der mit den richtigen Werkzeugen bestückt, ohne Zeitverlust und wenig Aufwand Reparaturen ermöglicht. Das parametrische Entwerfen lässt auch in einer weit fortgeschrittenen Planung noch Korrekturen zu, ohne den Planungsprozess empfindlich zu stören oder die Baukosten extrem in die Höhe zu treiben. Es ist die Rationalisierung komplexer Formen! S.C.

x

Thematisch passende Artikel:

DBZ Werkgespräch

paläon – Forschungs- und Erlebniszentrum Schöninger Speere, Schöningen Holzer Kobler Architekturen, Zürich/CH, Berlin

Holzer Kobler Architekturen entwarfen mit dem paläon Forschungs- und Erlebniszentrum in Schöningen ein Gebäude, das sich aufgrund seiner spiegelnden Fassade in der Umgebung aufzulösen scheint....

mehr
Ausgabe 09/2014

Glänzendes Arsenal Das Paläon in Schöningen

Als der Braunkohlebergbau im Landkreis Helmstedt acht Wurfspeere aus Fichte und Kiefer freigab, die mit 300?000 Jahren ältesten Jagdwaffen der Menschheit, wurde der Ruf nach einem Museum laut....

mehr
Ausgabe 08/2013

Paläon – Forschungs- und Erlebniszentrum Schöninger Speere www.holzerkobler.ch, www.palaeon.de

Bei der Eröffnung des Forschungs- und Erlebniszentrums Schöninger Speere bei Schöningen sprach der Ministerpräsident des finanzierenden Landes Niedersachsen, Stephan Weil, von der Ambition der...

mehr

Holzer Kobler Architekturen

Werkausstellung vom 12. November bis 23. Dezember 2010, Berlin

Barbara Holzer und Tristan Kobler haben ihr Büro 2004 in Zürich gegründet und seitdem zahlreiche und vor allem sehr heterogene Projekte verwirklicht. Dazu gehören Ausstellungen (u.a. focusTerra,...

mehr

paläon – Forschungs- und Erlebniszentrum Schöninger Speere wurde eröffnet

Entwurf von Holzer Kobler Architekturen, Zürich/Berlin

Ob nun 400 oder 500 geladene Gäste: Es war voll im Forschungs- und Erlebniszentrum Schöninger Speere. Die Architektur nach einem Entwurf von Holzer Kobler Architekturen, Zürich/Berlin (in...

mehr