Wohnen im Holz-Hybrid

SKAIO, Heilbronn

An stadträumlich richtiger Stelle wird als Entree in das neue Stadtquartier am Neckarbogen ein Hochpunkt gesetzt, der in der Erdgeschosszone vieles von dem bietet, was Menschen zum Leben in der Stadt brauchen: ein adäquates Entree mit gut zugänglichen Abstellbereichen für Kinderwagen, Rad und andere fahrbare Untersätze für die Mieter, deren Wohneinheiten je nach Lebenssituation zusammengelegt oder geteilt werden können und Gewerbeeinheiten, die für alle den Ort als gemischt genutzten Stadtraum attraktivieren – und all das als Hybridkonstruktion aus Beton und Holzwerkstoffen in einer für Deutschland innovativen Höhe.⇥

DBZ Heftpaten ksw architekten + stadtplaner

Mit seiner Höhe von 34 m ist das SKAIO in Heilbronn das derzeit höchste Holzhaus in Deutschland. In Sachen Wohnqualität ist es ein echtes Vorbild, denn beim Entwurf hat das Berliner Architekturbüro Kaden+Lager auf gesunde, nachhaltige Materialien geachtet und eine Architektur entwickelt, die ein bewusstes Miteinander fördert. Das Gebäude besteht vor allem aus Stahl, Beton und Holz, die zu einer Hybrid-Konstruktion sinnvoll vereint wurden. Als Teil der Bundesgartenschau BUGA 2019 in Heilbronn ist es nun taufrisch den neuen Bewohnern übergeben worden.

Neue Siedlung in der Stadt

Am Westeingang zum BUGA-Gelände, von einer Brücke über den Neckar kommend, empfängt den Besucher ein matt-silber schimmerndes Haus, mit dem die Ecke eines Bebauungsblocks definiert wird. Das sogenannte SKAIO ist ein mit Aluminium verkleidetes, kompaktes Gebäude mit doppelgeschossigem Sockelbereich und einer wenig streng gestalteten Lochfassade. Dieser erste Anblick lässt nur schwer erahnen, welche Bedeutung dieses Gebäude eigentlich innehat: Das SKAIO ist mit 34 m Höhe das bislang höchste Haus in Holzbauweise in Deutschland. Freilich, global gesehen ist das nicht viel, immerhin plant man in Tokio derzeit ein 350 m hohes Holzhochhaus. Bauvorschriften und Normen allerdings machen das Errichten eines solchen Bauwerks in Deutschland zu einer gewissen Herausforderung.

Ein Grund mehr für die Architekten und Ingenieure von Ka­­den+Lager aus Berlin, sich dieses Themas anzunehmen. Das 34 m hohe Eck-Hochhaus mit 10 Geschossen in Heilbronn nun beherbergt auf einer Grundstücksgröße von nur 750 m² ganze 60 Wohnungen mit gemeinschaftlichen und öffentlichen Bereichen, womit die Bauherrin Stadtsiedlung Heilbronn GmbH dringend benötigten Wohnraum in der Stadt schafft, der zudem idyllisch am Neckar und fußläufig zum Hauptbahnhof liegt.

Wohnen in der Gemeinschaft

Bei einer oberirdischen BGF von 5 685 m² stehen im Innenraum rund 3 300 m² Wohnfläche zur Verfügung, was die Architekten in offene und helle ein bis zwei Zimmer große Mietwohnungseinheiten mit rund 40 – 90 m² Wohnfläche übersetzt haben. Vier davon sind als Wohngemeinschaften der Aufbaugilde, ein diakonisches Unternehmen zur Unterstützung wohnungs- und arbeitsloser Menschen, sowie der Offenen Hilfe, einer Hilfsorganisation für Menschen mit geistiger Behinderung und deren Familien, vorbehalten. 25 Wohnungen sind öffentlich geförderte Einheiten. Damit die Wohnungen für alle Altersstufen und Lebensphasen funktionieren, sind die Geschosse modular aufgebaut, also so, dass sich Wohnflächen individuell zusammenlegen und wieder trennen lassen. Die oberen Stockwerke ab der großzügigen Zwischendachterrasse im 6. Obergeschoss sind während der Laufzeit der BUGA zunächst einer Ausstellung vorbehalten. Sie werden später in Wohnraum umgewandelt und bieten dann Raum für eine Wohngemeinschaft mit acht Zimmern für sechs Bewohner, die einen direkten Zugang auf eine großzügige Dachterrasse haben werden.

Dieser Idee der bunten Mischung aus normalem Wohnen für Alleinstehende und Familien, aus Wohngemeinschaften und aus gefördertem Wohnen für Menschen mit besonderen Problemlagen geben die Architekten immer wieder halböffentlichen Raum, in dem die Menschen zusammenfinden können. So gibt es im Sockel einen großzügigen Gemeinschaftsraum, der als Waschraum mit Waschmaschinen ausgestattet ist, sowie eine vollwertige Küche, die dem gemeinschaftlichen Kochen und als Treffpunkt für die Bewohner dienen soll. Außerdem wird es zwei möblierte Dachterrassen inklusive bewirtbaren Gemüsegärten für die Bewohner geben, von denen aus man einen herrlichen Blick über die Stadt genießen kann.

Auch das Thema Wohngesundheit ist den Planern und den Bauherren ein wichtiges Anliegen: So werden bei den Neubauten ausschließlich Baustoffe mit geprüfter Zusammensetzung verwendet. Die Überwachung betrifft alle Ausbau-Baustoffe wie Kleber, Silikone und Wandfarben. Um das alles in einen kontrollierbaren Rahmen zu geben und sicherzustellen, dass die Raumluft wirklich gesundheitlich unbedenklich ist, wurde die Qualität der Raumluft nach der Fertigstellung gemessen und von einem Prüflabor untersucht. Der Innenraum ist geprägt von einer Kombination aus den drei Materialien Holz, Sichtbeton und Linoleum. Da das Holz den überwiegenden Teil der Konstruktion ausmacht, sind möglichst viele Holzelemente im Innenraum sichtbar belassen, was sich letztendlich auch ausgleichend auf das Raumklima auswirkt.

Hybrid-Konstruktion

Genau genommen besteht das SKAIO aus einer Hybrid-Konstruktion, bei der die Wände und Decken aus Fichtenholz den überwiegenden Teil der Konstruktion ausmachen: Brettsperrholz für die Decken und nichttragenden Wände sowie Brettschichtholz für die Stützen, allesamt FSC-zertifiziert und überwiegend aus deutschen Wäldern. Wo es statisch anspruchsvoller wird, kommen andere Materialien ins Spiel. So bestehen das Sockelgeschoss sowie der gebäudehohe Erschließungskern aus Stahlbeton. Aus Stahl schließlich bestehen die Unterzüge, auf denen die Decken aufliegen. Die meisten Teile und Elemente konnten vorgefertigt werden, was nicht nur eine hohe Genauigkeit der Bauteile mit sich bringt, sondern auch einen handfesten Zeitvorteil. „Wir bauen ein Stockwerk pro Woche“, schwärmt Markus Brandl, Projektleiter bei Züblin Timber. Auch die Nasszellen werden als fertiger Baustein geliefert und müssen eingesetzt ins Bauwerk nur noch angeschlossen werden.

Holzbau im Brandfall

Bei einem Holzbau dieser Dimension drängt sich natürlich die Frage nach dem Brandschutz auf: Alle tragenden Elemente entsprechen der Feuerwiderstandsklasse F90, was teilweise mit mehrlagigen Bekleidungen aus Brandschutzplatten erreicht wurde. Bei statisch relevanten Holzbauteilen wie den Stützen war der Abbrand maßgebend, also die Menge an Holz, die innerhalb von 90 Minuten abbrennt und verkohlt. Was dann übrig bleibt, muss immer noch tragfähig sein. Von zentraler Bedeutung ist auch der Umgang mit dem Rauch, der nicht ins Fluchttreppenhaus mit Feuerwehraufzug gelangen darf, was eine sorgfältige Abdichtung der Hybrid-Konstruktion zum Trep­penhaus hin erforderte. Spezielle Ventilatoren sorgen im Brandfall zusätzlich für einen Überdruck im Treppenhaus, wodurch der Rauch hinausgedrückt wird. Ergänzt wird das Brandschutzkonzept schließlich durch eine Hochdruck-Feinnebel-Löschanlage, die einen Wassernebel erzeugt, der die Flammen sofort erstickt. So ist das Holzhochhaus SKAIO gleich mehrfach für den Brandfall gerüstet.

Beitrag zum nachhaltigen Wohnungsbau

Die Architekten von Kaden+Lager haben mit dem SKAIO in Heilbronn ein Haus geschaffen, das vieles, was Architektur und Bauen heute können, zu vereinen sucht. Dass sich dabei hie und da ein vermeintlicher Kompromiss ergibt – etwa im zusätzlichen Einsatz von Stahl und Stahlbeton, in der Virtuosität des Entwurfs oder im Fassadenmaterial Aluminium – ist kein Manko, sondern ein wichtiger Schritt zu einer nachhaltigen Bauweise. Die Hybrid-Konstruktion ist da nur ein konsequenter Baustein. Beim SKAIO kommt noch das Cradle-to-Cradle-Prinzip dazu: Alle Details sind so geplant, dass der spätere, sortenreine Rückbau und somit eine Wiederverwertung möglich sind. „Hier wird“, resümiert Wolf-Dieter Sprenger, Abteilungsleiter Projektmanagement bei der Stadtsiedlung Heilbronn GmbH, begeistert, „ein neuer Weg beschritten, ökologisch nachhaltigen Wohnungsbau zu entwickeln und zu standardisieren“.⇥Thomas Geuder, Stuttgart

Baudaten

Objekt: SKAIO

Standort: Stadtausstellung Neckarbogen, Heilbronn

Typologie: Wohnungsbau, Hochhaus, Holzhybridbau

Bauherr: Stadtsiedlung Heilbronn GmbH

Nutzer: 60 vermietete Wohnungen (Mieter) und eine Bäckerei

Architekt: Kaden + Lager, Berlin, www.kadenundlager.de

Mitarbeiter (Team): Tom Kaden, Markus Lager, Tabea Huth (Projektleitung 05/18-03/19), Jutta Kliesch (Projektleitung 02/16-04/18), Eva Bontzol, Sebastian Dammeyer, Isabel Eckstein, Lena Fischer, Michael Gaßmann, Ilse Jendro, Lisa Seibert, Rahel Zerling

Bauleitung: ZÜBLIN Timber GmbH, www.zueblin-timber.com

Generalunternehmer: Ed. Züblin AG, Bereich Heilbronn

Bauzeit:  Januar 2018 – März 2019

Fachplaner

Tragwerksplaner, Bauphysik: bauart Konstruktions GmbH & Co. KG, Lauterbach, www.bauart-konstruktion.de

TGA-Planer: IFB Ingenieure GmbH, Teinach-Zavelstein, www.ibf.info

Fassadentechniker: Priedemann Fassadenberatung GmbH, Großbeeren, www.pridemann.net

Innenarchitekt: AAg LoebnerSchäferWeber Freie Architekten GmbH, Heidelberg, www.architekten-ag.de

Berechnung Raumakustik Bäckerei: Ingenieurbüro Langner GmbH, Usingen, www.ib-langner.com

Landschaftsarchitekt: AG FREIRAUM Jochen Dittus + Andreas Böhringer Landschaftsarchitekten PartGmbB, Freiburg, www.ag-freiraum.de

Brandschutzplaner: Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG, Gifhorn, www.kd-brandschutz.de

Werk- und Montageplanung Holzbau: Ingenieurbüro von Fragstein GmbH, Landau in der Pfalz,

www.von-fragstein.com

Nachhaltigkeitsberater: BAUES WUNDER Lambertz & Friesdorf Beratende Ingenieure PartGmbB, Bergisch Gladbach, www.baueswunder.com

Projektdaten

Grundstücksgröße: 775 m² Grundstücksfläche (Anteil Baublock J)

Grundflächenzahl: 0,6

Nutzfläche gesamt: 3 436 m²

Nutzfläche: 3 300 m² (Wohnfläche) 136 m² (Gewerbe)

Brutto-Grundfläche: 5 685 m² (oberirdisch)

Brutto-Rauminhalt: 16 239 m³ (oberirdisch)

Baukosten (nach DIN 276)

Kostengruppe 200 – 700: 4200 € / m² vermietbare Fläche

Das Projekt stellt im Rahmen der Stadtausstellung der BUGA 2019 als Pilotprojekt besondere Bauweisen dar. Diese Bauweisen führen zu Mehrkosten. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen sind die dargestellten Kosten um spezifische Anforderungen bereinigt, wie beispielsweise: Sprinkleranlage, Trockenestrich (Reduzierung der Risiken für Feuchteeintrag), Druckbelüftungsanlage

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 28 kWh/m²a nach EnEV 2013

Endenergiebedarf: 53 kWh/m²a nach EnEV 2013

Jahresheizwärmebedarf: 26,6 kWh/ m²a nach PHPP/EnEV 2013

Energiekonzept

Dach: Gründachaufbau 100 mm, Wurzelfeste Abdichtungslagen, Gefälledämmung 223 mm i. M, Dampfsperre, Brettsperrholzdecke Fichte 260 mm

Außenwand 2.-9. OG (nicht tragend): Vorhangfassade 4 mm Aluminium-Blech inkl. UK 80 mm, Winddichtsheitsebene sd = 0,2 m, GF-Platte 18 mm, Dämmung Mineralwolle WLG 035 inkl. Ständerwerk KVH Nsi 8/28 cm 208 mm, Brettsperrholzplatte Fichte 120 mm

Fenster: Holz-Alu Verbundfenster mit integr. Sonnenschutz, Holzfenster Fichte, Lasur weiß pigmentiert, Aludeckschalen pulverbeschichtet RAL 7021, Leitungsführung verdeckt

Geschossdecke 2.-9.OG (trockener Aufbau): Bodenbelag Linoleum 5 mm, Trockenestrich 25 mm, Flächenheizung mit HoFa 30 mm, Wabenschüttung 30 mm, Trittschalldämmung HoFa 20 mm, Holzfaserdämmung 40 mm, Gipsfaserplatte als Rauchdichtheitsschicht 10 mm, Wabenschüttung als Installationsebene 30 mm, Brettsperrholzdecke, Fichte, weiß pigmentierte Lasur, 240 mm

Gebäudehülle

U-Wert Außenwand Holz = 0,12W/ (m²K) (nicht tragende Holzwand / Gefache)

U-Wert Außenwand Beton =

0,25 W/(m²K)

U-Wert Kellerdecke = 0,44 W/(m²K)

U-Wert Bodenplatte = 1,36 W/(m²K)

U-Wert Dach = 0,15 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster = 0,85 W/(m²K) / Dreischeiben-Isolierverglasung

g-Wert= 0,49

Ug-Wert Verglasung = 0,6 W/(m²K)

Luftwechselrate n50 = 1.00/h

Haustechnik

Fußbodenheizung im Trockenestrich, Natürliche / mechanische Lüftung, Nachströmventile, Feinnebel Sprühanlage

Hersteller

Dach: ZÜBLIN Timber GmbH, www.zueblin-timber.com; Deutsche Foam­glas GmbH, www.foamglas.com, Optigrün, www.optigruen.de

Fassade: Pohl Gruppe,

www.pohlnet.com

Türen/Tore: Novoferm GmbH,

www.novoferm.de

RWA-Anlage: Strulik GmbH,

www.strulik.com

Linoleum: Tarkett Holding GmbH, www.tarkett.de

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