Schnittstellen, Schwellen, Übergänge

Eine Wohnung kann mehr sein als lediglich ein Rückzugsraum für das Private. Grundrisse und ­Öffnungen entscheiden darüber, ob und wie die BewohnerInnen mit den Nachbar­Innen, den ­PassantInnen und der Stadtgesellschaft kommunizieren. Das Langhaus Braunsfeld in Köln ist ein Beispiel für eine Wohnarchitektur im Spannungsfeld zwischen ­Innen- und Außenraum, zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Haus und Straße, zwischen Architektur und Stadtplanung.

Die Wohnungsfrage ist in Köln – wie in vielen anderen deutschen Großstädten auch – seit vielen Jahren das beherrschende Thema der Stadtplanungsdebatte. Obwohl Köln ein reiches Erbe an genossenschaftlichem Wohnungsbau hat und trotz aller Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren ergriffen wurden, fehlt Wohnraum. Auf Anregung des damaligen Planungsdezernenten F. J. Höing und in Zusammenarbeit mit der Stadt Köln vereinbarten Kölner Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsgesellschaften im Jahr 2015, die Entwurfswerkstatt „Zukunft Wohnen – Weiterentwicklung von Bestandssiedlungen in Köln“ durchzuführen. Das besondere Potenzial, das die Siedlungen aus den 1920er-, 1930er- und 1950er-Jahren für eine behutsame Weiterentwicklung bieten, sollte in diesem außergewöhnlichen Verfahren aufgezeigt werden. Insgesamt wurden acht Standorte von sieben Wohnungsgenossenschaften und ­Wohnungsgesellschaften ausgewählt und von 26 Architekturbüros erfolgreich bearbeitet. Der Beitrag Langhaus Braunsfeld für die Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft „Die Ehrenfelder“ am Standort Scheidtweilerstraße wurde mit einem 1. Preis ausgezeichnet und zur Beauftragung empfohlen.

Der Stadtteil Braunsfeld gilt einerseits als eines der bevorzugten Wohnviertel in Köln. Man wohnt verkehrsgünstig und zentrumsnah. Im Süden grenzt der Stadtteil an den Stadtwald, eines der beliebtesten innerstädtischen Naherholungsgebiete. Andererseits umfasst der Stadtteil Flächen kleiner und mittlerer Industrie- und Gewerbebetriebe. Das 165 m lange und nur 20 m breite Baufeld liegt kaum 300 m Luftlinie entfernt von einer der Top-Wohnlagen und grenzt dabei auf der gesamten Länge an den großen Betriebshof der Kölner Verkehrsbetriebe – mit dem entsprechenden Geräuschpegel eines Straßenbahndepots. Das Umfeld ist sehr heterogen, geprägt von der kleinteiligen Block­­randbebauung aus den 1950er-Jahren, sowie von mehreren Büro-Großbauten und einem Hotelkomplex.

Der Kontext wirft eine Vielzahl von Fragen auf. Allen voran jene, wie auf dem schmalen Grundstück an der Schnittstelle zum lärmbelasteten Sondernutzungsgebiet qualitätvolles Wohnen ermöglicht werden kann? Wie sich eine Bebauung mit dem heterogenen städtischen Kontext verweben und welche Körnigkeit sie haben sollte? Und überdies, was Architektur, über die Frage des Wohnens hinaus, für die nachbarschaftliche Gemeinschaft, den öffentlichen Raum, die Gesellschaft, leisten kann? 

Übergänge und Möglichkeitsräume

Das Langhaus Braunsfeld in der Scheidtweilerstraße bildet einen durchgängigen Gebäudekörper aus, schließt die Raumkanten des Straßenzugs und verleiht diesem so eine neue Urbanität. Gleichzeitig nimmt der Baukörper die Körnung und Kleinteiligkeit der näheren Umgebung auf. Obwohl die Außenhaut durchläuft, wird das Volumen über verschiedene Geschossigkeiten, unterschiedliche Öffnungsgrade und Ordnungen der Fenster in fünf Segmente differenziert.

Ausgehend von dem 131 m langen und 14,75 m tiefen Baukörper verbleibt im Osten und Westen ausreichend Platz für Kinderspielflächen und an den Längsseiten im Norden und Süden des Baufelds ein jeweils etwa 3 m breiter Freiraumstreifen. Auf der südlichen, der Scheidtweilerstraße zugewandten Seite, entsteht eine neue halböffentliche Zone, welche die Übergänge ins Erdgeschoss ausbildet. Hier verwebt sich das Gebäude mit dem städtischen Kontext.

Schwellen und feine Abstufungen zwischen Innen- und Außenraum, zwischen Haus und Straße, organisieren diese räumliche Übergangszone und ermöglichen vielfältige Begegnungen und Aneignungsmöglichkeiten für das gemeinschaftliche Leben. Im Norden ordnet sich ein Weg an, der den Bewohnern einen direkten Zugang zu den Spielflächen ermöglicht und als eine Art Erlebnispfad ausgebildet ist.

Die Kommunikation des Gebäudes mit dem Quartier und der Stadt erfolgt über den urbanen Sockel, der eine Vielzahl an Nutzungen aufnimmt und die Schnittstelle zum öffentlichen Raum belebt. Im Erdgeschoss sind neben  Wohn- und Büroflächen und den  – von den Bewohnern zumietbaren – Plusräumen, weitere Flächen für zwei Kindertagesstätten und eine Altentagespflege vorgesehen. Zwei große Gebäudeeinschnitte bilden einen überdachten Bereich und weiten so die Sockelzone mit einer einladenden Geste auf. Diese halböffentlichen Außenräume, die Stadtloggien, sind vielseitig nutzbar. An diese grenzen die Gemeinschafträume unmittelbar an, der Außenraum ergänzt im Sommer den Innenraum. Eine Stadtloggia ist der Altentagespflege zugeordnet, die andere dient der Bewohnergemeinschaft und dem nachbarschaftlichen Zusammenleben: als Treffpunkt, zentraler Kommunikationsraum, für Hausfeste, für Jugendliche und vieles mehr.

Zwei über dem Straßenraum erhabene Terrassen, die Teil der Stadtloggien sind, ragen bis unmittelbar an den öffentlichen Raum heran und kündigen diese an. Sie bilden feine, aber klare Grenzen zwischen gemeinschaftlich genutzten Freiflächen und dem öffentlichen Raum. Sie können zugleich trennend und als verbindend wahrgenommen werden. Es ist diese Ambivalenz der Stufen und Schwellen, die ohne Zwang Räume und Möglichkeiten eröffnet.

Die Eingänge sind wesentliche Kommunikationselemente, sie beschränken sich nicht nur auf eine  Haustür, sondern verweben räumlich den öffentlichen Bereich. An den großen Einschnitten begleiten die Zugänge die Stadtloggien.

Unterschiedliche Wohngefühle

Die auf dem urbanen Sockel angeordneten „Wohncharaktere“ spiegeln die Diversität des Wohnens in einer Großstadt wider. Jeder Haustyp bietet Wohnraum für verschiedene Lebensstile, individuelle Bedürfnisse und zudem ein eigenes Raumgefühl. Neben großzügig geschnittenen 3-Zimmer-Wohnungen, die als Durchwohntypen organisiert sind, bietet das Objekt ein Laubenganghaus mit 1- und 2-Zimmer-Appartments, sowie ein Haus, das Maisonettewohnungen aufnimmt. Letztere verfügen, als wären sie gestapelte Reihenhäuser, jeweils über eine eigene Terrasse und einen Balkon. Das Langhaus bietet ebenso Wohnraum für Studierenden-WGs als auch Wohnungen mit frei möblierbare Flächen und mittig eingestellten Naßzellen sowie größeren Geschosshöhen. Die verschiedenen Wohncharaktere sind an der Fassade ablesbar und tragen trotz der Länge des Gebäudekörpers zur Identifizierung mit dem eigenen Haustyp bei. Zugleich schafft das Langhaus Braunsfeld durch eine Begrenzung der gestaltbildenden Ausformulierungen einen Zusammenhalt des Baukörpers.

Schallschutzgrundrisse

Alle 75 Wohneinheiten sind als intelligente Lärmschutzgrundrisse konzipiert. Auf Grund der besonderen Lage zu den angrenzenden Gewerbeflächen sind auf der Nord-, West- und Ostfassade keine Immissionsorte nach TA-Lärm zulässig. Das bedeutet, dass öffenbare Fenster zu Aufenthaltsräumen nicht gestattet werden. Die Belichtung der Räume, die an diesen Fassaden liegen, erfolgt über großzügige, festverglaste Fensterflächen. Um den Bewohnern die Pflege der festverglasten Fenster zu ermöglichen und um hohe laufende Reinigungskosten für die Wohnungsgenossenschaft zu vermeiden, wurden einfache Wartungsstege vor den geschlossenen Fassaden konzipiert, die über Nebenräume erschlossen werden. Für die Belüftung der Wohneinheiten wurde ein Lüftungskonzept nach DIN 1946-6 erstellt. Es wurde festgelegt, dass zum Feuchteschutz Einzelraumventilatoren mit integrierten Feuchtefühlern vorgesehen werden. Das Nachströmen der Zuluft erfolgt über schalldämmende Außenwandluftdurchlässe mit einer Normschallpegeldifferenz von 59 dB, die Überströmung über Türunterschnitte bzw. Zargenlüfter.

Um den Bewohnern des Langhauses eine hohe Qualität des privaten Außenraums gewährleisten zu können, wurde die ebenfalls durch Straßenlärm belastete Südfassade als Loggiafassade konzipiert. Schotten in Massivbauweise trennen die Loggien voneinander und sorgen so für größtmögliche Privatheit. Zudem werden viele der Loggien mit einer Schallschutzverglasung ausgestattet oder sind so angelegt, dass das Nachrüsten einer Schallschutzverglasung jederzeit möglich ist. 

Die Schottenausbildung der Südfassade, welche die privaten Freibereiche aufnimmt, bildet zugleich einen wesentlichen Teil des Tragwerks aus. Die gesamte Lastabtragung der Südfassade erfolgt über diese Schotten bis in die Tiefgarage. Deren Grundriss ist wiederum den engen Grundstücksverhältnissen und der Anforderung, eine mittige Fahrgasse im UG auszubilden, geschuldet.

Die beschriebene Komplexität des Grundstücks erforderte einen langwierigen Abstimmungsprozess mit vielen AkteurInnen der Stadt, so dass erst 2022, gut sechs Jahre nach der Entwurfswerkstatt, das Einreichen des Bauantrags erfolgen konnte. Fertiggestellt wird das Langhaus Braunsfeld 2024. An einem von Lärm und Verkehr geprägten Stadtraum zeigt das Langhaus Braunsfeld Potenzial für ein urbanes, gemeinschaftsorientiertes Leben auf und zugleich benutzbaren Raum, der ein Baustein für ein lebendiges urbanes Quartier ist.

Baudaten

Objekt: Langhaus Braunsfeld

Standort: Köln- Braunsfeld

Typologie: Wohn- und Geschäftshaus

Grundstücksfläche: 3 300 m²

Nutzfläche Wohnen: 6 700 m²

Nutzfläche Gewerbe: 1 140 m²

Brutto-Grundfläche: 15 300 m²

Brutto-Rauminhalt: 48 860 m²

Bauherrin: DIE EHRENFELDER Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft eG, Köln

Projektsteuerung: REVIS CG, Köln

Architektur: Damrau Kusserow Architekten BDA, Köln

Projektteam: Karin Damrau, Bernd Kusserow, Sebastian Bauer, Hanna Pasche, Antonia Jansen-Winkeln

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