Sind wir alle Astronauten? Zwei Ausstellungen in Herford
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Sind wir alle Astronauten? Reisende auf dem Spaceship Earth? Wo aber sind dann unsere Raumanzüge, wo sind die Blicke zurück auf andere Zivilisationen, die unsere Raumfahrer von ihren Reisen immer mitbrachten: Blicke zurück nach vorne auf den Blauen Planeten Heimat? Unser tatsächlicher Raumanzug ist die Atmosphäre, die das Leben auf diesem Planeten erst möglich macht, doch längst wissen wir, dass dieser Raumanzug erste Löcher hat (die wir mittels weltumspannender CO2-Reduzierung durch so genannte Wärmeschutzisolierung heilen wollen). Viele Jahrzehnte davor – eigenartiger Weise gibt es für viele Probleme heute bereits Lösungen viele Jahrzehnte zuvor, wir sind einfach eine zu träge Masse Mensch – hatte ein Architekt, Ingenieur, Designer, Philosoph und Schriftsteller, Richard Buckminster Fuller, liebevoll auch Bucky genannt, bereits die Gefahr erkannt und mit seinen geodätischen Kuppelbauten, den Domes, Schutzreservate projektiert, die der Menschheit ein Weiterleben auf dem Spacesphip Earth ermöglichen sollten. Realisiert hat er seine Glashauben, einen Mikrokosmos für straff durchorganisierte Lebensgemeinschaften mit dem US-Länderpavillon „Biosphère“ zur Expo 67 in Montreal.

Dem Visionär und genialen Konstrukteur, der sich mit den Themen Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit bereits vor einem halben Jahrhundert ausgiebig befasste – was angesichts eines damals nicht vorhandenen Problembewusstseins in diesen Dingen aber eben auch ein halbes Jahrhundert zu früh kam – wurde 2010 in Madrid eine Ausstellung gewidmet. Kuratiert von Lord Norman Foster und Luis Fernández-Galiano, Architekt, Lehrer und Herausgeber eines Architekturmagazins, kam diese Ausstellung jetzt nach Herford. Das wäre keine ganz so große Sache gewesen, hätte nicht der bekanntere der beiden Kuratoren, der mit Bucky in dessen letzten zwölf Jahren eng zusammen gearbeitet hatte, die Eröffnung und Pressekonferenzen davor mit seiner Anwesenheit geehrt.

Mit Blick auf die in zehn Kapiteln thematisch gegliederte Präsentation von zentralen Ereignissen in Buckminster Fullers Leben und Laufbahn, die sowohl Originalwerke zeigt – Fotografien, Zeichnun­gen, Entwürfe, Modelle und Konstruktionen – wie auch einen Nachbau seines futuristischen Autos „Dymaxion Car #4“, könnte man nach wenigen Sätzen des Berichtens und einer allgemein gehaltenen Reise­empfehlung nach Herford (Ostwestfalen) schnell zur Tagesordnung übergehen; das Meiste des hier gezeigten Materials ist bekannt und in zahlreichen, auch aktuelleren Publikationen gut dokumentiert (so bei Lars Müller, Zürich).

Doch den Ausstellungsmachern war sicherlich bewusst, dass eine reine Werkschau, die sie zudem kuratorisch nicht steuern konnten,
allenfalls Fachpublikum anziehen würde, zu wenig, für ein auf das breite an Kunst interessierte Publikum. So bauten sie um den Fuller im Hauptsaal einen weiteren Fuller-Komplex in den anliegenden Räumen (in Zusammenarbeit mit Markus Richter, Berlin). Und nennen diesen Part „Universum R. Buckminster Fuller im Spiegel zeitgenössischer Kunst“. Hier wird dann ansatzweise aber auch klar zu hinterfragen deutlich, wie sehr Bucky’s Arbeiten in vielen künstlerischen Arbeiten und damit im Bewusstsein der zweiten Entdeckergeneration (nach der ersten Wiederentdeckung Fullers in den späten Sechzigern) präsent ist. Dass einige der Künstler zur Herforder Ausstellung für deren Räume spezielle Arbeiten entwickelt haben, steht diesem Ansatz zwar nicht entgegen, hat allerdings nicht die Beweiskraft der Kontinuität in der Rezeption, die hier behauptet wird.

Spannend ist es aber zu sehen, wie die Erfindungen Bucky’s, seine Leichtbauten, die Körperentwicklungen, die Tensegritätsstrukturen aber auch seine theoretischen Überlegungen zu Überlebensstrategien konkreten Ausdruck finden in Plastiken, Collagen, Maschinen und Faltarbeiten, die vor allem von dem einen Prinzip durchdrungen scheinen: selbstverständlich in allen (Lebens)Dingen vorhanden zu sein.

Dass ihre Lordschaft Norman Foster vielleicht nur „seine“ Ausstellung eröffnete, störte am 10. Juni niemanden: Alle waren glücklich, einem Weltstar der Architektur nahe sein zu können, dessen Geschich­ten über Bucky diesen uns eben doch fernen wie schillernden Exoten der Architekturgeschichte uns Zuhörern etwas lebendiger erscheinen ließen. Die Frage aber, ob wir alle Astronauten sind, wird sich jeder selbst vor Ort beantworten müssen. Heinrich Lee


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