Sowieso: gute Architektur machen
Ein Gespräch mit Regine Leibinger und Frank Barkow
www.barkowleibinger.com

Gerade eben wurde mit großer Geste der „Tour Total“ von Barkow Leibinger am Berliner Hauptbahnhof/Europaplatz eröffnet. Wie so häufig bei Bauten dieser Dimension stellen sich viele Fragen; zur Nachhaltigkeit, zur Dominanz im öffentlichen Raum etc. Wir trafen uns mit den Architekten Regine Leibinger und Frank Barkow in ihrem Berliner Büro und sprachen auch über Hochhäuser, in Berlin.

Euer Tour Total wurde gerade eröffnet: Seid Ihr mit allem zufrieden?

Regine Leibinger: Insgesamt sind wir sehr zufrieden. Wir hatten hier eine fantastische Bauaufgabe mit diesem ersten Baustein in der Europacity. Das Einzige, was wir bedauern ist, dass wir die Belegung und Möblierung der Büros aus der Hand geben mussten, genauso wie die Gestaltung des Restaurants im Erdgeschoss. Beim Rundgang draußen habe ich kein Restaurant wahrgenommen. Möglich, es liegt hinter den Kolonnaden an der Nordseite, wir dachten zunächst, es würde ein wichtiger Teil des öffentlichen Raums werden, aber nun ist es ein aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich zugängliches Bistro für die Mitarbeiter von Total. Wenn erstmal ein Café an der Passage im zweiten Bauabschnitt gegenüber des Hochhauses eröffnet, wird das besser funktionieren.


Stühle und Tische aufstellen, vielleicht noch Sonnenschirme: fertig?

RL: Ja!

Frank Barkow: Gastronomie ist dort städtebaulich fast zwingend notwendig. Die Achse zur Minna-Cauer-Straße ist als ein Fußgängerdurchgang geplant, so dass hier [er zeigt auf die Ostfassade des jetzt abgerückt geplanten, für sich stehenden Sockels] sehr gut ein Café platziert werden kann, hier kommt es jetzt auf den Nutzer an.

Kann man auf Stichworte wie Dominanz, Präpotenz etc. allein mit dem Öffnen des Sockels reagieren? Ist das nicht etwas wenig?

RL: Nicht so extrem. In einem der Workshops mit Senat und Bezirk haben wir die Öffnung des Sockels zum Raum intensiv diskutiert, auch über die Verdrehung und die Kolonnaden. Und wir finden, dass sich der Turm über solche Elemente sehr gut mit der Stadt verbindet.

FB: Durch die Trennung des ursprünglichen Sockelbaus vom Turm
haben wir ja sogar zusätzlichen öffentlichen Raum gewonnen.


Hatte die Ablösung des Sockels auch ökonomische Gründe?

RL: Ja, zum Zeitpunkt der Planung wurde klar, dass Total als Hauptmieter nicht die gesamte Fläche einschließlich des Blocks brauchen würde, sie wollten nur in den Turm. Aber dieses Problem hat dann etwas sehr Gutes mit sich gebracht, die Passage als städtisches Element.


Nehmt Ihr, Erste auf dem Baufeld, gestalerischen, vielleicht auch qualitativen Einfluss auf die, die noch kommen?

RL: Wir denken schon. Unser Anspruch, gute Architektur zu machen, war sowieso da. Aber auch der Investor hat ganz klar formuliert, dass der erste Baustein, wenn er überdurchschnittliche Qualität hat, das Niveau des Baufeldes insgesamt heben kann. Eine zentrale Anforderung war von Anfang an, dass der Turm eine DGNB-Zertifizierung in Silber bekommen sollte. Wegen dieses energetischen Standards hat sich das Öffnungsverhältnis von 60:40 ergeben, also 60 Prozent Glas zu 40 Prozent geschlossenen Flächen. Deswegen waren wir sehr schnell bei der Rasterfassade. Für uns etwas Neues! Oder vielleicht auch nicht, denn wenn man schaut, was wir bisher an Fassaden entwickelt haben, kann man über die Jahre Verwandtschaften ablesen bis zum Turm in Berlin. Wir könnten hier zurückgehen bis in die Neunziger Jahre zu einem Projekt in Baar [Verwaltungsgebäude in der Schweiz für Trumpf, 2000-01].Hier sieht man sehr schön die
Fassadenfaltung und deren Tiefe, die sich bis in die Grundrisse hinein auswirkt … auch beim Bürohaus in Korea ist eine ganz klare Verwandtschaft zu erkennen, oder Frank? Hier haben wir auf andere Art und Weise das Thema „variation and repetition“ durchgespielt, also die Arbeit mit einem asymmetrischen Grundmodul, das man dreht und wendet, um damit ein komplexes Muster zu erzeugen.

FB: Eine Rasterfassade ist eine nachhaltige Fassade, sie trägt, wodurch man einen stützenfreien Innenraum bekommt. Sie passt ikonografisch in die Geschichte von Berlin. Eine Glasfassade wie beim neuen „One World Trade Center“ in New York macht aus meiner Sicht heute keinen Sinn mehr, das baute man vor mehr als dreißig Jahren. Unsere Fassade hat eine Tiefe, mit der wir arbeiten können, ganz formal. Wir können hier das Licht kontrollieren, innen, außen. Die Fassade ist opak und transparent, sie ist dynamisch.


Ist der Büro-Turm Euer erstes großes Projekt in der Stadt?

RL: Ja! Unser erstes, auch städtebaulich relevantes Projekt mitten in Berlin. Wir waren bisher immer nur am Rand aktiv, in Potsdam im Park, im Neubaugebiet in Pankow. Darum war es für uns sehr wichtig zu schauen, wie wir im Kontext Berlin reagieren, wie wir uns im so genannten steinernen Berlin verhalten. Auf die vordergründig geführte Diskussion Stein/Glas wollten wir uns nie einlassen. Wir wollten einfach wissen, wie wir, Barkow Leibinger, auf den Ort, den Bauherrn und die Bauaufgabe reagieren, auch auf das Budget, das für die Fassade 800 € pro m2 vorsah, das ist ja nicht sehr viel. Man kann übrigens unser Haus gar nicht mit einem Wort, mit einem Bild beschreiben, schließlich ist es ständig anders, reagiert dynamisch auf unterschiedliche Ansichtspunkte, auf unterschiedliche Lichtverhältnisse etc.


Fassadendynamik … ist das Reden von der Dynamisierung von Immobilien nicht bloß ein Hirngespinst der Architekten? Sieht das ungeschulte Laienauge im starren Betonraster vielleicht gar Gefängnisarchitektur?

RL: Naja, wenn jemand sagt, unsere Fassade sehe leblos aus, dann kann man versuchen, als Architekt Überzeugungsarbeit zu leisten, erklären wie sich die Perspektive ändert, je nach Tageszeit, wenn man sich dem Haus nähert, um es herum läuft. Aber wenn das nicht geht, muss er oder sie einfach damit leben!


Es gibt Menschen, denen ist jedes Hochhaus zuviel. Müssen Architekten/Investoren Hochhäuser nicht auch verkaufen? Mit Ökolabel oder eben Fassadenschwüngen? Müssen Architekten Hochhausbauten rechtfertigen?

RL: Ich glaube, über solche Rechtfertigungszwänge haben wir noch nie nachgedacht … ich zumindest nicht. Ich finde Hochhäuser gut,
es gibt davon in Berlin viel zu wenig.

FB: Unser Hochhaus ist doch ein ganz kleines Hochhaus im Vergleich zu der globalen Idee, was ein Hochhaus ist. Ich könnte genauso gut argumentieren, dass ein Hochhaus nachhaltiger ist, als horizontal zu bauen … sagen jedenfalls Energiefachleute. Gut, es ist Teil eines Images, es ist ein Bürohaus. Aber warum nicht? Wir haben gerade ein Wohnhochhaus an der Spree für einen Wettbewerb entworfen – leider nur der 2. Preis. Das Wohnhaus hat eine völlig andere Artiku­lation als das Bürohaus: begrünte Fassaden, Balkone, maßstäblich ganz anders als der Sitz einer französischen Firma, der aus meiner Sicht sehr überzeugend in ein Bild transformiert wurde. Wir haben auf ein Budget, einen Ort und einen Nutzer reagiert.


Wie sieht denn der nächste Turm von Euch in Berlin aus? Gibt es eine Weiterentwicklung des Tour Total?

FB: Ja und nein. Sicherlich wird der nächste Turm evolutionär gesehen mit dem Tour Total verbunden sein. Wir forschen schon länger auch in andere Richtungen: Keramik und Glas, für eine ganze Fassade. Hier entwickeln wir digital produzierte Fassadensysteme, die customized sind, also eine maßgeschneiderte Serienproduktion … Das will ich machen. So schnell, wie möglich!

RL: In der Entwicklung sind solche Fassaden erst einmal aufwändig, aber wenn man es dann bei einem konkreten Projekt umsetzen kann, wird aus dem Prototypen ein Massenbauteil.

FB: Wir machen noch viele Hochhäuser, und alle werden sie anders aussehen. Aber auf jeden Fall: sehr gut!

RL: Dem schließe ich mich an!

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