Sozio-kulturelle Qualität
von NachhaltigkeitGreen Building und
Barrierefreiheit
Barrierefreiheit
Mit dem Brundtland-Bericht wurde 1987 das erste Konzept für eine nachhaltige Entwicklung vorgestellt und damit ein wichtiger Grundstein gelegt. Die wachsenden Anforderungen an Energieeffizienz und das größere Bewusstsein für Nachhaltigkeit spiegeln sich auch im Immobilienmarkt wieder. Auf der Investorenseite wird die Gebäudequalität in Bezug auf Nachhaltigkeit zu einer wichtigen Vermarktungsvoraussetzung. Verschiedene Zertifizierungssysteme sind aus dieser Anforderung heraus entstanden. Sie ermöglichen, nach standardisierten Kriterien die Nachhaltigkeit von Gebäuden objektiv zu bewerten.
Internationale Zertifizierungssysteme
Zertifizierungssysteme von unabhängigen Organisationen schaffen Transparenz und Vergleichbarkeit der nachhaltigen Qualität von Gebäuden. Aufgrund von regionalen Besonderheiten, wie klimatischen, baulichen oder kulturellen Bedingungen sowie nationalen gesetzlichen Vorgaben sind verschiedene län-
derspezifische Bewertungssysteme entstanden. International weit verbreitet sind das britische BREEAM (Building Research Etablishment Environmental Assessment Method) und das amerikanische LEED (Leadership in Energy und Environmental Design). Bereits über 100 000 Gebäude sind weltweit bspw. mit BREEAM zertifiziert. Im Fokus dieser beiden Bewertungsmethoden stehen die ökologischen Faktoren von Nachhaltigkeit.
Deutsche Bewertungssysteme
In Deutschland und zunehmend in Zentraleuropa etabliert sich das „Gütesiegel Nachhaltiges Bauen – DGNB“. Es bezieht sich in Deutschland auf deutsche Normen und Regelungen. Die Anforderungen liegen jedoch über den gesetzlichen Standards. In den internationalen Varianten gibt es entsprechende länderspezifische Anpassungen. Das deutsche Zertifizierungssystem berücksichtigt nicht nur ökologische Aspekte von Nachhaltigkeit auf Basis von Lebenszyklusanalysen, sondern es werden auch ökonomische und sozio-kulturelle Faktoren in die Bewertung mit einbezogen. DGNB beurteilt zudem die Prozessqualität – so werden bspw. integrale Planungsan-
sätze besonders positiv bewertet. Mit der Einbeziehung der Prozessqualität wird deutlich, dass Nachhaltigkeit mit dem Entwurf beginnt und ganzheitliche Planungsprozesse voraussetzt. Das deutsche System gilt als das umfassendste. Es beinhaltet sechs Beurteilungskategorien:
– ökologische Qualität (22,5 %)
– ökonomische Qualität (22,5 %)
– sozio-kulturelle und funktionale Qualität (22,5 %)
– technische Qualität (22,5 %)
– Prozessqualität (10 %)
– Standortmerkmale (fließt nicht in die Zertifizierung mit ein)
Entwickelt wurde das System von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB). Zertifziert werden können privatrechtliche Bauten sowohl als einzelnes Gebäude oder als Stadtquartier. Für Bundesbauten (Verwaltung, Forschung, Bundeswehr etc.) wird das BND-Gütesiegel vergeben. Das BND (Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude) wurde vom Bundesbaumi-nisterium in Kooperation mit dem DGNB entwickelt. Die Kriterien und Bewertungsmethoden entsprechen denen des DGNB.
Nutzungsprofile bestimmen die Anforderungen
Grundsätzlich wird im DGNB-System zwischen Neu- und Bestandsbauten unterschieden. Das Nutzungsprofil des Gebäudes bestimmt die Anforderungen. So sind bspw. die Vorgaben an die barrierefreie Gestaltung in Gesundheitsbauten umfangreicher als z. B. die für Büro- und Verwaltungsgebäude, da Krankenhäuser oder Rehakliniken hauptsächlich von Menschen mit körperlichen Einschränkungen genutzt werden. Zur Zeit besteht eine Unterteilung in 13 verschiedene Gebäudetypen (Büro- und Verwaltungsgebäude, Bildungsbauten, Handelsbauten, Industriebauten, Wohngebäude, Mischnutzung, Gesundheitsbauten und Stadtquartiere). Die Nutzungsprofile werden von der DGNB kontinuierlich weiterentwickelt, so sind weitere Profile in Planung.
Drei Aspekte von Nachhaltigkeit
Die DGNB bewertet die ökologische, ökonomische und sozio-kulturelle Qualität des Gebäudes gleichberechtigt. Damit geht das deutsche Gütesiegel über die vornehmlich ökologischen Aspekte von BREEAM und LEED deutlich hinaus. Es werden nicht einzelne Maßnahmen zur Bewertung herangezogen, sondern die Leistungsfähigkeit des Gebäudes (Performance) in Bezug auf definierte Zielvorgaben bewertet. Bauherren und Planer haben so einen größeren Spielraum bei dem Erreichen der Zielvorgaben.
Die dritte Dimension: sozio-kulturelle Aspekte
Mit dem Bewertungskriterium sozio-kulturelle und funktionale Qualität stellt das DGNB-Zertifizierungssystem die Bedürfnisse der Gebäudenutzer in den Mittelpunkt. Die Nutzungsqualität des Gebäudes wird vornehmlich durch Faktoren wie Gesundheit, Behaglichkeit, Einflussnahme und Sicherheit der Nutzer sowie funktionale Aspekte, wie Mobilität und Barrierefreiheit bzw. kulturelle Werte (gestalterische Qualität) bestimmt. Unter funktionalen Aspekten werden die Möglichkeit der öffentlichen Nutzung des Gebäudes sowie der Außenanlagen (Zugänglichkeit) als auch die Fahrradinfrastruktur (Fahrradkomfort) und die barrierefreie Gestaltung des Gebäudes erfasst.
Ausschlusskriterium Barrierefreiheit
Die barrierefreie Gestaltung eines Gebäudes nimmt mit rund 2 % (Hotelbauten 1,7 %, Handelsbauten/Geschäftshäuser 2,1 %) der Gesamtbewertung ein relativ geringes Volumen im System ein. Der Aspekt Barrierefreiheit erhält bei der DGNB dennoch großes Gewicht, da es ein Ausschlusskriterium ist. Denn erfüllt ein Gebäude die Kriterien in Bezug auf die barrierefreie Gestaltung nicht, wird es zur Bewertung gar nicht erst zugelassen. Lediglich das Nutzungsprofil „Neubau Industrie“ ist hiervon ausgenommen, da für diesen Gebäudetyp Barrierefreiheit kein Kriterium darstellt.
In der überarbeiteten und vor Kurzem veröffentlichten Fassung des Nutzungsprofils „Neubau von Büro- und Verwaltungsgebäuden“ (Version 2015) wird Barrierefreiheit mit 3,2 % geringfügig höher bewertet als bisher. Hier wird der demografischen Entwicklung Rechnung getragen, die barrierefreies Bauen zu einer gesellschaftlichen Grundvoraussetzung werden lässt.
Bewertungsgrundlagen für die Barrierefreie Gestaltung
Als Ziel für das Bewertungskriterium Barrierefreie Gestaltung gibt die DGNB die uneingeschränkte Zugänglichkeit und Nutzung des Gebäudes unabhängig von den persönlichen Voraussetzungen des Einzelnen vor. Die Zielvorgabe folgt damit dem Grundsatz für barrierefreies Bauen.
Grundlage der Bewertung ist die DIN 18040, der Norm für barrierefreies Bauen. Sie berücksichtigt nicht nur motorische Einschränkungen, die z. B. eine Rollstuhlnutzung oder andere Hilfsmittel erfordern, sondern auch Körperkraft, Motorik und Koordinationsfähigkeit. Zudem werden auch sensorische und kognitive Einschränkungen mit einbezogen. Ziel der Norm ist es, eine individuelle, zukunftsfähige und damit nachhaltige Nutzung von Gebäuden für alle zu ermöglichen. Mit der Zusammenstellung funktionaler Mindestanforderungen wird mehr Gestaltungsspielraum bei der Realisierung von Barrierefreiheit eingeräumt.
Die DIN 18040 ist in den meisten Bundesländern bereits in die Liste der eingeführten technischen Baubestimmungen aufgenommen. Die allgemein anerkannten Regeln der Technik gemäß § 4 und § 8 Absatz 1 BGG und die aktuell gültige Musterbauordnung in Bezug auf die darin enthaltenen Vorgaben zur barrierefreien Gestaltung gelten als Mindestanforderung für die Bewertung durch die DGNB. Bereiche, die als Arbeitsstätten deklariert sind und nicht in den Anwendungsbereich der DIN 18040 fallen, sondern den technischen Regeln von Arbeitsstätten unterliegen (ASR, gemäß § 3a Absatz 2 der Arbeitsstättenverordnung), müssen nach den Vorgaben für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten (ASR V3a.2) ausgeführt werden.
Je mehr Gebäudebereiche inklusive Außenanlagen barrierefrei sind, desto besser fällt die Bewertung durch die DGNB aus.
Mindestanforderungen für die Barrierefreie Gestaltung
Zum Erfüllen der Mindestanforderungen[1] des Kriteriums Barrierefreiheit muss der Zugang in das Gebäude sowohl für Besucher als auch Personal barrierefrei gestaltet sein. Dies bedeutet, dass mindestens ein Eingang schwellenlos passierbar ist und über eine ausreichend lichte Durchgangsbreite von 90 cm verfügt. Vor dem Eingang und ggfs. vor dem Aufzug müssen für Rollstuhlfahrer Bewegungsflächen von 150 x 150 cm einge-plant werden.
Bedienelemente an Eingang und Aufzügen müssen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip gestaltet sein. Dies bedeutet, sie müssen sichtbar und zudem hör- oder tastbar sein.
Zudem muss sich in dem Gebäude min-destens ein barrierefreier Sanitärraum befinden, der für Menschen mit körperlichen Einschränkungen leicht erreichbar ist. Dafür müssen der Flur sowie die Tür zum Sanitärraum mit einem Rollstuhl passierbar sein.
Barrierefreie Gestaltung – Am Beispiel Sanitärraum
Die uneingeschränkte Nutzbarkeit und der barrierefreie Bedienkomfort eines Sanitärraums werden wesentlich durch seine Größe und die Anordnung der Bewegungsräume bestimmt. Die Erfahrung zeigt, dass Sanitärräume häufig zu klein bemessen und un-
günstig ausgestattet sind. Dementsprechend sind sie oftmals für Menschen mit Einschrän-
kungen gar nicht oder nur sehr schwer zu benutzen. Eine ausreichende Bewegungsfläche (150 cm x 150 cm) vor dem Waschtisch und dem WC muss eingeplant werden, damit diese auch für einen Rollstuhlfahrer erreichbar sind. Bei der Planung von barrierefreien Sanitärräumen mit den dazugehörigen Ausstattungsprodukten ist die möglichst selbst-
ständige Nutzung des Raumes unabhängig von körperlichen Voraussetzungen das Ziel.
Der Waschtisch
Die empfohlene Breite eines Waschtisches beträgt 60 cm, er muss eine Tiefe von 55 cm aufweisen. Damit der Waschtisch mit einem Rollstuhl unterfahrbar oder auch im Sitzen nutzbar ist, muss im vorderen Bereich zwischen Boden und Waschtischunterseite ein Abstand von 67 cm eingehalten werden. Durch die Verwendung eines Unterputz- oder Flachaufputzsiphons wird die Verletzungs-
gefahr durch unbeabsichtigtes Anstoßen oder Verbrühungen durch sich ansammelndes Wassers minimiert. Um zu ermöglichen, dass die Armatur auch im Sitzen bedienbar ist, ist es zwingend erforderlich, dass die Armatur mit einem Abstand von maximal 40 cm zum vorderen Rand des Waschtisches montiert wird. Einhebelmischer oder berührungslose Armaturen sind besonders leicht zu bedienen, gerade für motorisch eingeschränkte Nutzer. Armaturen sollten nur in Verbindung mit einer Temperaturbegrenzung installiert werden (max. 45 °C am Auslauf), um Verbrühungen zu verhindern. Seifen- und Papierhandtuchspender sowie Abfallbehälter müssen im Greifbereich des Nutzers angeordnet werden. Die Bedienelemente müssen sich laut DIN 18040 kontrastreich von der Umgebung abheben, damit sie auch für Personen mit eingeschränktem Sehvermögen leicht erkennbar sind. Spiegel müssen laut DIN 18040 mindestens eine Höhe von 100 cm aufweisen. Zudem müssen Spiegel sich in geeigneter Höhe sowohl für sitzende als auch für stehende Personen befinden. Hierfür eignen
sich Spiegel, die bis zur Waschtischoberkante hinunterreichen.
Das WC
Das Aufstehen und Hinsetzen wird erleichtert, wenn die Sitzhöhe des WCs 46 bis 48 cm beträgt. Bei dieser Höhe wird zudem der Kraftaufwand für den Transfer vom Rollstuhl auf das WC reduziert. Damit das WC sowohl für Rollstuhlfahrer als auch Rollator- oder Gehilfennutzer erreichbar ist, sollte eine Bewegungsfläche von 150 x 150 cm vor dem WC eingeplant werden, sodass genügend Rangierraum verfügbar ist. Die Ausladung muss laut DIN 18040 für die Nutzung durch Rollstuhlfahrer mindestens 70 cm betragen, so dass das seitliche Umsetzen vom Rollstuhl auf das WC und umgekehrt möglich ist.
Das Umsetzen erfordert eine seitliche Bewegungsfläche von 90 cm Breite neben dem WC. Stützklappgriffe geben sicheren Halt und erleichtern das Aufstehen bzw. Hinsetzen. Die Norm schreibt Stützklappgriffe links und rechts vom WC vor. Der Stützklappgriff muss 28 cm über der Sitzhöhe des WC montiert sein und mindestens 15 cm über das WC hinausragen. Zwischen den beiden Griffen ist ein lichter Abstand von 65 bis 70 cm erforderlich.
Grundsätzlich wird die Attraktivität von Gebäuden durch barrierefreie Gestaltung erhöht, da hiervon alle Nutzer profitieren. Insbesondere in Bezug auf den demografischen Wandel sollten motorische, sensorische und kognitive Einschränkungen der Nutzer mit in die Planung einbezogen werden.