Stadtbibliothek, Rottenburg a. N.
„Das Haus ist überzeugend einfach entworfen und konstruiert: Dickes einschaliges Mauerwerk formt ein städtebaulich hervorragend wirksames Volumen, schafft gut proportionierte Innenräume und erfüllt alle statischen und bauphysikalischen Anforderungen. Man spürt, dass Gebäudehöhe und eingeschnittene Öffnungen auf intelligente Weise die Grenzen des Materials ausloten – und möchte mehr darüber wissen.“ DBZ Heftpaten Ansgar und Benedikt Schulz
Enge Gassen, weite Plätze und Bauwerke aus mehreren Jahrhunderten prägen das Bild der schwäbischen Stadt am Neckar. Auch die Bauten der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die ihren Bischofssitz seit 1821 vor Ort hat, markieren mit dem bischöflichen Palais gut sichtbar das Entree zur Stadt. Bereits im Wettbewerb war harris + kurrle architekten aus Stuttgart klar, dass an der Schnittstelle zwischen Altstadt und neuer Bebauung ein massiver Bau als Antwort auf die Kleinteiligkeit des Kontexts entstehen sollte. War es zu Beginn noch die Idee einer vorgehängten Fassade aus Sichtmauerwerk, entschied man sich später für eine homogene Hülle mit einer Putzoberfläche. Diese Entscheidung erlaubt auch einen perspektivischen Kniff, mit dem die unterschiedlichen Maßstäblichkeiten der Umgebung in Einklang gebracht werden konnten. Die geknickte Form des Neubaus nimmt sowohl die Traufhöhe der niedrigeren Altstadthäuser als auch die des bischöflichen Palais gegenüber auf. „Details aus dem Stadtbild wurden aufgenommen, interpretiert und neu dargestellt, wie z. B. die Farbe der Putzflächen“, erläutert Projektarchitekt Vojtech Bast die Anleihen an die in der Altstadt vorhandenen Materialien. „Auch die Dachfläche aus Kupfer korrespondiert mit der direkten Nachbarschaft.“ Der Anteil der Glasflächen in der Fassade bleibt bewusst reduziert, die Fenster sind unregelmäßig, jedoch in gleichbleibenden Formaten versetzt, was dem Haus eine eigene Identität gibt.
Erdbebenzone 3: Massive Ziegelkonstruktion
Trotz der einfachen Kubatur wurde die Wahl der Konstruktion zu einer Herausforderung für die Planer. Denn die Idylle zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald trügt: Mit Erdbebenzone 3 droht höchste Erdbebengefahr. Bedeutet, die Gebäude zusätzlich zu den auftretenden Windlasten auch gegen horizontale Trägheitskräfte auszulegen, welche wiederum von der Massen- und Steifigkeitsverteilung des Bauwerks abhängen. Ein Faktor, der auch gestalterische Auswirkungen hat. So fiel eine Konstruktion mit Dämmbeton aufgrund der hohen Wandstärke von 70 cm und aus statischer Sicht wegen der Erdbebenzone als Möglichkeit weg. Im Laufe der Planung wurden verschiedene Ziegel und Formate untersucht; wegen der zu geringen Druckfestigkeit wurde ein Wandaufbau aus puren Ziegeln verworfen. Gebaut wurde letztendlich eine massive Ziegelkonstruktion aus 42,5 cm Wandstärke mit einer Rohdichteklasse von 0,8 bei einer Druckfestigkeitsklasse 12 mit integrierter Wärmedämmung aus Mineralwolle. Ergänzt wurde diese durch aussteifende Stahlbetonstützen und Stahlbetondecken und einen Dachstuhl aus Holz mit Ziegelausfachungen und einer Kupferdeckung. „Wir haben lange gesucht, um ein Produkt zu finden, das allen Ansprüchen gerecht wird“, führt Bast aus. „Ein einheitlicher Putzgrund mit minimierter Rissgefahr war uns wichtig. Der Hersteller der Ziegel hat viele standardisierte Systemkomponenten für Verkleidungen von Stürzen, Decken und Stützen im Programm, sodass wir ohne kostenintensive Sonderanfertigungen arbeiten konnten.“
Um die Schwächung des Tragwerks durch die 2 x 2 m großen Lesefenster zu verringern, wurden diese von Stahlbetonelementen gerahmt und mit Formteilen aus dem Wandrepertoire verkleidet. Damit konnten zusätzliche Bauteile wie Dämmung vermieden werden, deren Materialunterschied sich in der Fassade abgezeichnet hätte. Da für die Architekten kein Wärmedämmverbundsystem in Frage kam, musste der erforderliche Dämmwert über die Füllung der Hochlochziegel mit Mineralwolle gewährleistet sein (Wärmeleitfähigkeit des Ziegels: λ = 0,10 W/(mK). Das verputzte Mauerwerk entspricht der ortstypischen Materialität, ist jedoch in Farbigkeit und Textur durch die Ausführung als Besenstrichputz neu interpretiert. 10 mm Kalkzement-Leichtunterputz und 5 mm mineralischer Leichtarmierungsputz im flächigen Gewebe wurden direkt auf die massive Außenwand aufgebracht. In einem zweiten Schritt wurde der grau getönte Oberputz aufgetragen, manuell als Besenstrichputz bearbeitet und mit einem helleren Farbton durch das Abrollen der Kornspitzen beschichtet. Dies verleiht der Fassade eine besondere Haptik und Tiefe, die je nach Lichteinfall einen speziellen Akzent setzt oder den Neubau wie selbstverständlich mit dem Stadtraum verschmilzt.
Das Monolithische im vielgestaltigen Kontext
Als Gegenstück zur bestehenden Nachbarbebauung wählten die Architekten eine abgeknickte Form für den Neubau, die einen räumlichen Dialog zwischen den Baukörpern entstehen lässt. Zugleich setzt dieser Schachzug den mittelalterlichen Stadtgrundriss durch die neu entstehenden Plätze und kleinen Gassen auf verschiedenen Höhenniveaus geschickt fort. „Im Spannungsfeld zwischen dem Kontext und der Architektur wurde eine möglichst klare und wirkungsvolle Position formuliert, die als Zusammenspiel, aber auch Weiterentwicklung des Umfelds wirkt“, erläutert Projektarchitekt Vojtech Bast die Intention des Wettbewerbsentwurfs. „Wir haben ein selbstbewusstes Gebäude entwickelt, das sich trotz des historischen Bestands mit seinen vielfältigen Schichten nicht wegducken muss.“ Dazu gehört auch der Verzicht auf spektakuläre Gesten. Die großflächige Verglasung im Erdgeschoss symbolisiert das Selbstverständnis der Bibliothek als offenes Haus für die Bürger und verschränkt den Stadtraum mit dem Innenleben: über ein Café, das zugleich als Veranstaltungsraum genutzt werden kann, und den von außen einsehbaren Empfang der Bibliothek.
Innenleben im Massiven
In den vier Obergeschossen stehen den Nutzern Flächen zum Lesen und Lernen und in den Medienbereichen digitale Angebote zur Verfügung. Um die Vielzahl der Medien auf der begrenzten Fläche unterzubringen, aber zugleich im Sinne eines zeitgenössischen Wissensspeichers auch Raum für Interaktion und besondere Veranstaltungen anzubieten, wurden die Außenwände mit ihren integrierten Bücherregalen miteinbezogen, was die Wahrnehmung der Wände als sehr massiv zusätzlich unterstützt. Eva Maria Herrmann, München
Baudaten
Objekt: Stadtbibliothek Rottenburg am Neckar
Standort: Rottenburg am Neckar
Typologie: Bibliothek
Bauherr und Nutzer: Stadt Rottenburg am Neckar
Architekt: harris + kurrle architekten BDA partnerschaft mbb, Stuttgart, www.harriskurrle.de
Mitarbeiter (Team): Vojtech Bast, Bertram Wruck, Kristina Herberg, Mirko Schaab
Bauleitung: Göppel Strittmatter Halling, Ludwigsburg, www.gsh-a.de
Bauzeit: September 2015 – August 2017
Fachplaner
Tragwerksplaner: Engelsmann Peters GmbH, Stuttgart, www.engelsmannpeters.de
TGA-Planer: Heimann Ingenieure GmbH, Stuttgart, www.heimann.de
Lichtplaner: Büro für Lichtgestaltung – Hans-Peter Beutelspacher, Staig, www.lichtgestaltung.de
Akustikplaner: RW Bauphysik, Ingenieurgesellschaft mbH Co. KG, Schwäbisch Hall, www.rw-bauphysik.de
Landschaftsarchitekt: Prof. Schmid | Treiber | Partner Freie Landschaftsarchitekten, Leonberg,
Brandschutzplaner: pgk planungsgruppe kuhn GmbH & Co. KG, Sindelfingen, www.pg-kuhn.de
Thermische Bauphysik: TEB – Transferzentrum Energieeffizientes Bauen, Vaihingen an der Enz, www.teb-online.de
Si-Ge-Koordination: IGE weyersberg die geologen gmbh, Bietigheim-Bissingen, www.ige-w.de
Projektdaten
Grundstücksgröße: 764 m²
GRZ: 0,56
GFZ: 2,69
Nutzfläche gesamt
Nutzfläche: 1 350 m²
Technikfläche: 69 m²
Verkehrsfläche: 295 m²
Brutto-Grundfläche: 2 054 m²
Brutto-Rauminhalt: 7 800 m³
Baukosten (nach DIN 276)
KG 200 (brutto): 5 100 €
KG 300 (brutto): 3,75 Mio. €
KG 400 (brutto): ca. 910 000 €
KG 500 (brutto): ca. 220 000 €
KG 600 (brutto): ca. 130 000 €
KG 700 (brutto): 1,17 Mio. €
Gesamt brutto: 6,2 Mio. €
Hauptnutzfläche: 3669 €/m² (KG 300 + 400)
Brutto-Rauminhalt: 597 €/m² (KG 300 + 400)
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 130,7 kWh/m²a nach EnEV 2014
Endenergiebedarf: 80,7 kWh/m²a nach EnEV 2014
Jahresheizwärmebedarf: 45,1 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2014
Energiekonzept
Dach: OSB-Platten/1,5 cm, Konstruktionsholz/22 cm, Rockwool, Dampfbremse, Luftschicht/4,0 cm, Holzschalung/25 mm, darüber Trennlage/Wirrgelege, Kupfer/0,07 cm
Außenwand: 2-lagiges Außenputzsystem/20 mm, Poroton S-10/MW/42,5 cm, Gipsputz innen/10 mm
Boden: Beton armiert/26 cm, Polystyrol/9 cm, Anhydrit-Estrich/9 cm
Gebäudehülle
U-Wert Außenwand = 0,22 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,36 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,22 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 0,76 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,6 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 0,6 W/(m²K)
Luftwechselrate n50 = 0,99/h
Haustechnik
Der Schwerpunkt des Klimakonzeptes liegt in passiven Maßnahmen: maßvoller Glasanteil, Sonnenschutzverglasung, Sichtbetondecken als natürliche Speichermassen
Die Belüftung des Cafés und der Medienräume erfolgt über eine Lüftungsanlage mit optimierter Wärmerückgewinnung und adiabater Kühlung.
Hersteller:
Tragende Außenwände: Wienerberger AG,
Dach: KME Germany GmbH & Co. KG, www.kme.com
Fassadenputz: Sto SE & Co. KGaA, www.sto.de
Fenster: Schüco International KG, www.schueco.com
Glas: INTERPANE GLAS INDUSTRIE AG,
Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE,
Blendschutz: Silent Gliss GmbH, www.silentgliss.de