Stadtwerke Neustadt in Holstein
Für den Neubau der Stadtwerke-Niederlassung vor den Toren Neustadts in Holstein wünschte sich die Bauherrin, vertreten durch Werksleiterin Vera Litzka, ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept, das im Lebenszyklus die Herstellung des Gebäudes, seinen Betrieb und den Rückbau optimiert. Erklärtes Ziel war nichts weniger als ein CO2-neutrales Nullenergiegebäude.
Prof. Ingo Lütkemeyer und Mathias Salbeck von IBUS Architekten gliederten in ihrem Entwurf die Funktionsbereiche nach ihren energetischen Bedarfen und ordneten die daraus resultierenden drei Einheiten (Verwaltung, Werkstätten und Fahrzeughalle) als Einzelgebäude um einen zentralen Betriebshof an. Durch ein gemeinsames Materialkonzept werden die unterschiedlichen Funktionseinheiten architektonisch zusammengeführt.
Haus A ist das Verwaltungsgebäude und auf einem polygonalen Grundriss aufgebaut. Durch die Anordnung der Büroflächen um einen innenliegenden Versorgungskern konnten die Planer hohe Nutzungsflexibilität sicherstellen. Die ausgewogenen Grundrisse und Gebäudebeziehungen stellen kurze Arbeitswege und ein gemeinsames Arbeiten sicher, denn um die Kernzone sind die Kommunikations- und Verkehrsbereiche angeordnet.
Ressourceneffizienz
Das Nachhaltigkeitskonzept von IBUS sieht eine klare Priorisierung in drei Schritten vor: 1. wiederverwendbare Bauteile; 2. Recycling-Produkte; 3. nachwachsende Rohstoffe. Neben dem Einsatz von weitgehend nachwachsenden Rohstoffen sollte die Wiederverwendung gebrauchter Bauteile und der Einsatz von Recyclingbaustoffen genutzt werden. Zum Einsatz kamen Bürotrennwände aus einer Abbruchmaßnahme sowie eine Fassadenbekleidung als altem Eichenholz. Die Bodenbeläge sind aus Recyclingfasern hergestellt, ein Großteil der tragenden Bauteile besteht aus Holz, die Fassadendämmung aus Holzfasern. Auch die Konstruktionsweise ist weitgehend demontierbar und recyclingfähig. Bei der Haustechnik entschied man sich für kurze Leitungswege, kleine Leitungsquerschnitte und geringe Brandschutzanforderungen. Durch den geringen Materialverbrauch konnten die Verteilnetze ressourcensparend optimiert werden. Zusätzlich wurden sämtliche Leitungsführungen unter dem Gesichtspunkt der Revisionstauglichkeit und der Rückbaubarkeit geplant.
Konstruktion mit Speicherkapazität
Aufgrund der leichten Hanglage und der Baugrundgegebenheiten erhielt das Verwaltungsgebäude einen massiven Sockel aus Stahlbeton. Die beiden Obergeschosse sind als Holzbau mit massiven Brettsperrholzwänden, Stützen und Unterzügen ausgebildet. Die Decken werden im Kernbereich von einer Massivholzdecke, die Decken über den Büroflächen von modularen Holz-Beton-Verbunddecke-Elementen gebildet. In der Kernzone werden die Versorgungsleitungen unter der Decke geführt, die Decken sind abgehängt. In den Büroräumen dagegen bleiben die Decken sichtbar, um die Speicherfähigkeit der Betonelemente nutzen zu können. Um diese Effekte wirksam zu verstärken, wurden in den Büroräumen auch noch speicherfähige und schalldämmende Stahlbetonbauteile in die tragende Holzkonstruktion integriert. Die vorgefertigten Stahlbetonbauteile wurden kraftschlüssig mit der Holzkonstruktion verschraubt und übernehmen auch tragende Funktionen.
Recyclingfassade
Die Fassade besteht aus tragenden Brettsperrholzplatten mit einer Dämmung aus Holzfaserplatten. Das Besondere ist die Bekleidung aus wiederverwendeten Eichenholzbrettern. 1 600 m² Wandverschalung wurden dafür aus alten Eichenbalken aufbereitet und gesägt: 20 mm starke Bretter in verschiedenen Breiten, 7 – 10 und 14 – 17 cm Breite, Kanthölzer 5 x 5 cm, alle zwischen 50 cm und 4,5 m lang. Wegen der hohen Aufbereitungskosten stand das wiederverwendete Eichenholz in der Planungsphase in direkter Konkurrenz zu einer Fassade aus zertifiziertem Lärchenholz. Der Stadtrat von Neustadt in Holstein entschied sich auch deswegen für das ca. 20 % teurere Altholz, weil die Lärchenholzfassade im Lebenszyklus der Gebäude höhere Kosten verursacht hätte. Das alte Eichenholz muss nicht mehr behandelt werden, die Lärchenfassade hätte alle ein bis drei Jahre lasiert werden müssen.
Low-Tech-Energiekonzept
Das erklärte Ziel war ein möglichst einfaches technisches Konzept. Deswegen wurde die Gebäudehülle entsprechend dem Passivhaus-Standard erstellt. Die U-Werte der opaken Bauteile liegen zwischen 0,11 und 0,17 W/m²K, die U-Werte der Fenster liegen bei 0,9 W/m²K. Für die passive Nutzung von Wärme- und Kühlenergien sorgen die thermischen Gebäudemassen in den Bürobereichen.
Das Verwaltungsgebäude wurde in jedem Geschoss in zwei Nutzungseinheiten geteilt, jede erhält eine Lüftungsanlage. Die Erschließungszone kann als Überströmzone für die Luft genutzt werden. Insgesamt erhält Haus A fünf Lüftungsanlagen mit WRG. Die Zuluftmengen werden gering gehalten, alle Räume sind natürlich zu belüften. Die Lüftungsanlagen sind mit reversibel zu betreibenden Wärmetauschern ausgestattet, die die Luft erwärmen oder vorkühlen können.
Die Büroräume erhalten multifunktionale Deckensegel zur Raumkonditionierung. Die unter den massiven Betonverbunddecken aufgehängten Deckensegel vereinen die Funktionen Kühlen, Heizen, Raumluftführung und Schallabsorption in einem System und werden raumweise geregelt. Sie können reversibel zur unterstützenden Kühlung eingesetzt werden, wenn im Sommer über die Erdsonden passiv gekühlt wird. Die Temperierung erfolgt über eine Sole-Wasser-Wärmepumpe, die über elf Sonden von je 100 m Tiefe mit Erdwärme versorgt wird. Die erzeugte Wärmeenergie wird über einen Pufferspeicher ins Wärmeverteilsystem eingespeist. Ein Miniblockheizkraftwerk (BHKW) wird sowohl für die zentrale Warmwasserbereitung für den Sozialtrakt als auch für die Temperaturanhebung des Heizungspufferspeichers eingesetzt, womit der Wirkungsgrad der Wärmepumpe beträchtlich verbessert werden konnte.
Die Dachflächen aller Gebäude wurden in Teilen mit Photovoltaik-Modulen versehen, Gesamtleistung 99 kWp. Der erzeugte Strom wird ebenso wie der vom BHKW erzeugte Strom im hausinternen Netz genutzt. Überschüssiger Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist.
Der Gesamtenergiebedarf wurde nach DIN V 18599 bilanziert. Haus A und B erfüllen die Kriterien für ein KFW-Effizienzhaus 55 und unterschreiten die dafür gestellten Anforderungen um 21 % (Haus A) und 44 % (Haus B, Werkstattgebäude).
Die Energietechnik ist so dimensioniert, dass sowohl endenergetisch wie primärenergetisch ein ausgeglichenes und CO2-neutrales Gebäudeensemble entsteht. Aus der CO2-Jahresbilanz ergibt sich, dass annähernd 7 % des durch den Energiebedarf des Gebäudes hervorgerufenen CO2-Ausstoßes durch die regenerative Stromproduktion überkompensiert wird. So wird gebaute CO2-Neutralität erreicht und endenergetisch mehr Energie produziert als verbraucht. Für das Gesamtkonzept wurde das Projekt im Rahmen des Ideenwettbewerbs EnEff.Gebäude.2050 in der Kategorie „Konzepte für zukunftsweisende Gebäude und Quartiere“ ausgezeichnet. ISch
Baudaten
Objekt: Neubau der Stadtwerke Neustadt in Holstein
Standort: Neustadt in Holstein
Typologie: Verwaltung, Werkstatt
Bauherrin & Grundeigentümerin: Stadtwerke Neustadt in Holstein, www.swnh.de
Architektur: Prof. Ingo Lütkemeyer mit Mathias Salbeck, IBUS Architektengesellschaft mbH, Bremen, www.ibus-architekten.de
Planung: Arbeitsgemeinschaft IBUS Architektengesellschaft mbH, Berlin/Bremen,
www.ibus-berlin.de; Rissmann & Spieß Architekten, Neustadt in Holstein, www.risp-architekten.de
Bauleitung: Martin Spieß, Rissmann & Spieß Architekten, Neustadt in Holstein, www.risp-architekten.de
Bauzeit: Herbst 2016 – Sommer 2018
Fachplaner
Tragwerk: Prof. Dr. Martin Speth mit Liam Winckler, Drewes + Speth, Beratende Ingenieure im Bauwesen Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hannover, www.drewes-speth.de
Lebenszyklusanalyse/ Nachweis EnEV: Susanne Korhammer mit Kim Maertel, TARA Nordwest GmbH & Co.KG, Varel, www.tara-ingenieure.de
Fachplaner HLS: Taube + Goerz GmbH, Hannover/Eckernförde, www.taube-goerz.de
Fachplaner Elektro: Ingenieurbüro Hornecker GmbH, Lübeck, www.ibhornecker.de
Energiekonzept
Gebäudehülle: Demontierbarer Holzmassivbau (BSP) mit hinterlüfteter Eichenholzfassade auf Stahlbetonsockel mit Verblendmauerwerk, extensive Dachbegrünung, Einsatz von Recyclingbaustoffen und historischen Bauteilen (z.B. gusseiserne Stütze im Foyer, gebrauchte Ganzglasbüro-trennwände oder alte Wandfliesen), Wärmedämmstandard gem. Passivhaus-Standard
Die Integration nachwachsender Rohstoffe, Wiederverwendung gebrauchter Bauteile, Einsatz von Recyclingbaustoffen und der Einsatz demontierbarer, recyclingfähiger Konstruktionen sind wesentlicher Konzeptansatz.
C0₂-Emissionen: CO₂-Neutralität – 4,3 % des durch den Energiebedarf des Gebäudes hervorgerufenen C0₂-Ausstoßes werden im gebauten Zustand durch regenerative
Stromproduktion überkompensiert
Low-Tech-Technikkonzept: Erdreich-Wärmepumpe mit BHKW für Warmwasser und Heizung sowie Temperaturanhebung im Pufferspeicher, hybride Lüftung mittels dezentraler Lüftungsanlagen mit WRG je Nutzungseinheit, Photovoltaikanlagen auf allen drei Gebäuden mit 99 kWp, raumweise regelbare Deckenstrahlplatten zum Heizen/ Kühlen, Grauwassernutzung, Regenwasserretention, individuell regelbare LED-Beleuchtung mit Tageslichtsteuerung
Energiekennwerte (Gebäude A)
Heizwärmebedarf: 34,35 kWh/m2a
Kühlbedarf: 3,42 kWh/m2a
Endenergiebedarf: 16,88 kWh/m2a
Erneuerbarer Primärenergiebedarf: 33,86 kWh/m2a
Ges.Primärenergiebedarf: 52,72 kWh/m2a
Ressourceneffizienz in der Herstellung und CO₂-Effizienz im Gebrauch: Das waren die Ziele, die sich Prof. Ingo Lütkemeyer mit Mathias Salbeck und seinem Planungsteam für die Stadtwerke Neustadt in Holstein gesetzt hatten. Das CO₂-neutrale Gebäudeensemble gilt als Leuchtturmprojekt für klimaneutrale Gebäude und wird für den Einsatz von Recyclingbaustoffen und wiederverwendbaren Bauteilen im Neubau gelobt.