Digital total? Ja und Nein

„The Cradle“, Düsseldorf

Mit Blick auf die digitale Transformation der Baubranche könnte man meinen, dass diese Entwicklung auch Einfluss nimmt auf die Gestalt der Bauten, die mehr und mehr Ergebnis von digitalen Planungsprozessen sind. Dass das „The Cradle“ am Düsseldorfer MedienHafen ohne digitale Werkzeuge nicht hätte realisiert werden können, sieht man ihm tatsächlich aber nicht an; jedenfalls nicht auf den ersten Blick.

Der Düsseldorfer MedienHafen ist baulich längst noch nicht abgeschlossen; seit Anfang der 1980er-Jahre ist man hier dabei, das ehemalige Hafengelände baulich zu entwickeln. Wichtige Bausteine waren die Umwidmung des Zollhafens zu einem Yachthafen, der Bau des Rheinturms (1982), der Neubau des Landtags (1988, von Eller, Moser, Walter + Partner) und des WDR-Studios. Der 1999 fertiggestellte Gebäudekomplex „Der Neue Zollhof“ nach einem Entwurf von Frank Gehry war damals – und ist es wohl noch bis heute – das bekannteste und werbewirksamste Aushängeschild des neuen Standorts für Medienunternehmen. In der Folge wurde das Entwicklungsgebiet auch für andere Unternehmen geöffnet, es gibt Hotels, Gastronomie, Mode- und Designproduzenten. Und ein paar internationale Architekturbüros, darunter auch HPP Architekten, die mit vielen anderen großen Büros ihren Standort in zweiter Reihe zum Hafenbecken gefunden haben.

Nun rücken HPP mit ihrem „The Cradle“ ganz nach vorne, das multifunktionale Bürogebäude schaut ab Frühjahr 2023 direkt aufs Hafenwasser. Dann sollen hier auf mehreren Geschossen die Kreativen, die Start-ups und alle die eingezogen sein, die an der boomenden Entwicklung teilhaben wollen. Und die ein Haus suchen, das Platz für viele Möglichkeiten des Arbeitens bietet, das Platz hat für Weiterentwicklung und nicht zuletzt eine Adresse bietet, die für ein neues Bauen steht. Wie das?

Cradle to Cradle

Der Projektname „The Cradle“ steht für die Aufgabe, von Anfang an zwar ein Investorenprojekt zu planen, das allerdings in vielerlei Hinsicht den immer noch gegangenen Weg klassischer Architekturplanung verlässt. Ja, der Bauherr Interboden hat (wie immer) auf Architektenhandschrift gesetzt. Und natürlich sollte der Büroneubau nicht irgendein schickes Gebäude werden, wo die Bauten der Nachbarschaft, die exponierte Lage und der schon genannte Bauherrnanspruch bereits nach einer im Kontext entwickelten, singulären Lösung verlangten. Vor allem sollte der Neubau nachhaltig sein, er sollte Innovationen in Sachen C2C bieten und trotzdem vermarktbar sein. Es gab im Jahr 2017 einen geladenen Konzeptwettbewerb, den HPP mit Knippers Helbig und Transsolar als die zentralen Fachplaner für sich entschied. Damals, so Antonino Vultaggio, Projektverantwortlicher auf Partnerebene bei HPP, war das Thema C2C noch gar nicht so weit, Madaster noch nicht geboren, die EPEA – als zentraler Beratungspartner für alle C2C-Fragen – noch nicht „Part of Drees & Sommer“. Aber ein Bewusstsein für all die Bausteine war schon vorhanden und heute ist der „Material Passport“ für die Projektbeteiligten kein Fremdwort mehr. „The Cradle“ als eine Art von Initial auch für die Arbeit von HPP? „Klar, man braucht Eigentümer, die solche Datenschätze [Material Passport] auch zu schätzen wissen“, so Antonino Vultaggio. „Ich denke, dass institutionelle Bauherren diesen Weg verstärkt gehen werden. Hier sehen wir – seit 2018 –, dass dieses Thema ein wachsendes ist und ein ganz anderes Nachhaltigkeitsbewusstsein entsteht. Spätestens mit der ­Fridays-for-Future-Generation wird auch gesellschaftlich die Frage gestellt, was unsere Gebäude für Mensch, Umwelt und Natur leisten.“

Digitale Welt? Noch nicht ganz!

Aber gestartet war die Planungsarbeit für den hybriden Holzbau 2018 ganz klassisch; mit einem digitalen 3D-Modell. Das 3D-basierte Rhino Modell diente der Entwurfsfindung. An dem Modell arbeiteten auch die FachplanerInnen, hier eben die TragwerksplanerInnen von Knippers Helbig und die KlimaingenieurInnen von Transsolar. Die Idee: Ein Haus aus Holz zu bauen, das in seinen Teilen ökologisch einwandfrei zu sein hatte, das sortenrein rückbaubar sein musste und das natürlich im Betrieb auf energetischer Seite zu optimieren war. Hier konnte die Tragwerksplanung mit den KlimaplanerInnen ein Fassadentragwerk entwickeln, das über Simulationen den optimalen Licht- und Wärmeeintrag ins Gebäude erlaubt, das Geschlossenheit mit Offenheit dynamisch kombiniert und dazu mit einer dahinterliegenden Glasfassade geschützte Bereiche anbietet, über die eine natürliche Lüftung auch in der Nacht sichergestellt werden kann, sowie kleine nutzbare Loggien.

Waren die ersten Entwurfszüge zu Ende bearbeitet, mussten die einzelnen Bauteile attribuiert und mittels Revit in die BIM-Planung überführt werden.

„Wir haben“, so der Projektleiter des „The Cradle“ bei HPP, Martin Nienhaus, „zu Hochzeiten mit ca. sieben Mitarbeitern am digitalen Modell gesessen. Unterstützung erhielt dieses Team von der bürointernen BIM-Abteilung. Alle Fachplaner haben auf der Grundlage unseres digitalen Zwillings eigene digitale 3D-Modelle erstellt, die immer wieder mit dem Original abzugleichen waren.“

Gemeinsam mit dem Bauherrn ist HPP in der frühen Entwicklungsphase auf C2C-Projekte in den Niederlanden aufmerksam geworden, zu einem Zeitpunkt, als hierzulande nur wenige in kleinen Expertenzirkeln darüber sprachen. Darüber entstand der Kontakt zur EPEA, mit welcher das C2C-Projekt gemeinsam aufgesetzt wurde. Im Laufe der Projektbearbeitung kam noch Madaster hinzu, die das Projekt als erstes deutsches Pilotprojekt in ihre Datenbank aufnahmen, wodurch zusätzliche Attribute im digitalen Modell im Nachhinein ergänzt werden mussten.

Auf der Grundlage des bauphysikalischen Bauteilkatalogs haben EPEA und Drees & Sommer den Material Passport entwickelt, den HPP mit dem digitalen Modell bauteilbezogen verknüpft hat. Das war, so die ArchitektInnen, ein durchaus iterativer Prozess. Denn längst sind nicht alle Hersteller in der Lage, Auskünfte zu Inhaltsstoffen in ihren Bauteilen, zur Lieferbarkeit oder zu Alternativen aus dem eigenen Bestand zu geben. Tatsächlich war man hier – obwohl wir ja keine drei Jahre zurückschauen – „noch sehr am Anfang einer Entwicklung, die erst in den letzten zwei Jahren eine größere Bandbreite in der Auswahl generiert hat“, kommentierte Martin Nienhaus. So gab es bei der Ausschreibung des Betons für die Sockeleinheit (drei Untergeschosse, das Erdgeschoss und die Stützen dort) noch kaum regionale Anbieter für R-Beton, so dass nur der Erschließungskern in R-Beton ausgeführt wurde. „Für die Stützen und den WU-Beton ist Recycling-Beton nach wie vor in Deutschland nicht zugelassen“, erklärt Nienhaus. Alle Materialien und Bauteile, die im Material Passport verknüpft werden, sind mit eigenen Bauteilnummern versehen. So lassen sie sich bezüglich ihrer Gesundheitsklasse, ökologischen Wirksamkeit, Rückbauoptionen, Recyclingfähigkeit und Trennfähigkeit auswerten. Planende ArchitektInnen können damit Informationen zu einem weiteren Materialeinsatz erhalten, HerstellerInnen können Bauteile nach der avisierten Nutzungszeit zurücknehmen und erneut einsetzen, demontieren oder sortenrein recyceln.

Beim „The Cradle“ hat sich der Holzbauer, die Derix Gruppe, vertraglich dazu verpflichtet, das eingebrachte Holz einmal wieder zurückzunehmen: also die Fassadenstützen, die Brettsperrholzdecken in Elementbauweise und die diese Decken tragenden massiven Holzstützen und Unterzüge. Damit erzielen sowohl Bauherr wie ausführende Firma einen zusätzlichen Wert, der bei der Gesamtbilanzierung positiv zum Tragen kommt. Derix sichert sich zukünftige Rohstoffe und dem Bauherrn wird ein Restwert für die Holzkonstruktion zugesichert.

Aber warum erst auf das Ende der Lebenszeit eines Gebäudes schauen, wenn man schon in Zyklen denken will? Dann bitte auch in Sanierungszyklen, so Antonino Vultaggio. So sollte man ruhig schon an den Austausch von Oberflächen denken, im Schnitt alle 7 bis 10 Jahre, oder an die Ertüchtigung der Gebäudetechnik alle 25 bis 30 Jahre: „Ausbauthemen sind hier wesentlich relevanter als die Rohbauthemen. Denn den Rohbau wollen wir für die Weiter- und die Umnutzung ja stehen lassen.“ Auch dafür ist die Demontierbarkeit der geschraubten Fassadenelemente durchaus sinnvoll gedacht, kann mit einem Teilrückbau doch das Gebäudevolumen den sich ändernden Anforderungen angepasst werden, ohne gleich komplett verschwinden zu müssen.

Auf die Frage, ob das Digitale denn alles nur beschleunigt, effektiver und kostenoptimiert gemacht habe, kommt von beiden Architekten ein Ja. Und sofort dahinter ein Nein, denn die hohen Anforderungen, die an „The Cradle“ mit all seinen Vorzeigeaspekten gestellt wurden, kamen – auch für die Software-Branche – ein klein wenig zu früh.

Das Digitale ist längst nicht ausgeschöpft

Ohne parametrisches Arbeiten am 3D-Modell wäre kein solcher Hybrid-Holzbau möglich, der, wie Antonino Vultaggio sehr entspannt kommentiert, „ein spezieller Holzbau und ein Unikat ist. Da war das digitale Modell natürlich ideal für den Planungsprozess bis hin zu den Details des Holzbauers.“ Aktuell werde sogar die Werk- und Montage-Planung komplett digital abgewickelt. Die Vorteile sind bekannt.

Auch die Schalung der V-Stützen wurde auf Grundlage des 3D-Modells durch den Schalungshersteller digital entwickelt. Lediglich die Kantenausbildung mit den Eckleisten wurde am analogen Schalungsmodell abgestimmt. Der Betonbauer bestand auf dieser Art der Veranschaulichung, um die spätere handwerkliche Umsetzbarkeit auf der Baustelle zu prüfen.

Kleinere Reibungspunkte gibt es auch bei der Prüfstatik, die die Prüfung der Ausführungsstatik der ausführenden Firma üblicherweise noch auf Papier vornimmt: „Um mehr Sicherheit zu haben, sind zusätzlich zum digitalen Modell noch 2D-Pläne ­notwendig gewesen“ (Antonino Vultaggio). Eine 3D-Planung zweidimensional anzuschauen helfe natürlich auch, Komplexität herauszunehmen. Somit ist eine durchgängig digitale Arbeitsweise nicht gegeben. Das sei, so die beiden Architekten, mit Blick auf das Thema „Digitaler Bauantrag“ symptomatisch: Die Papierform ist noch immer die vorherrschende Form in Bezug auf rechtskräftige Dokumente.

„Im Prozess haben wir gemerkt“, so Antonino Vultaggio, „dass das Digitale gerade auf Seiten der Softwarehersteller noch Luft nach oben hat! Allerdings muss es hier auch auf Gesetzgeberseite noch Nachbesserungen geben, denn die Anforderungen an ein gerichtsfestes Dokument sind noch nicht ausreichend digital gedacht. Ich bin mir sicher, dass man alle Freigaben im Rahmen des digitalen Modells abwickeln könnte. Bis heute allerdings zählt nur das Papier als Dokument.“ Wie auch auf der Baustelle noch Papierpläne im Einsatz sind. „Das ist ein grundsätzliches Thema. Ganz aktuell benötigen wir für das Programm Revit Zusätze, damit es den Anforderungen der Planzeichenverordnung ohne manuelle Nachbearbeitung gerecht wird.“

Auf die Frage, ob denn sämtliche Daten in einer Cloud liegen, kommt ein Jain: Hier in Düsseldorf liegen die Daten auf lokalen Servern. Über eine Cloud werde nur kommuniziert, wenn man standortübergreifend arbeitet. Generell aber sind die Architekten davon überzeugt, „dass der digitale Zwilling – von dem wir hier ja sprechen – der beste Weg ist, sämtliche Themen, die wir berücksichtigen müssen, zusammenzubringen. Über das digitale Modell“, so Antonino Vultaggio, „lässt sich von Anfang an durch digitale Simulationen Anlagentechnik erheblich reduzieren und das Tragwerk optimieren. Ich kann generell den Aufwand auf das fokussieren, was wirklich benötigt wird. Und das alles bis zum Betrieb oder – Stichwort ‚Madaster‘ – bis zum Rückbau. Diese Gesamtschau geht nur über ein digitales Modell.“ Er hoffe, dass die Softwarehersteller die potenziellen digitalen Schnittstellen noch stärker entwickeln: „Es kann nicht sein, dass die Werk- und Montageplanung heute noch über Excel-Dateien freigegeben wird! Überall, wo wir momentan noch auf analoge Prozesse ausweichen müssen, weil diese aufgrund überholter Regularien, Vorschriften oder technischen Möglichkeiten noch nicht erneuert wurden, hoffe ich auf eine stärkere digitale Durchdringung des gesamten Prozesses.“ Und er schließt ab: „Mit der Einführung des CAD ist der Zeichenstift entfallen, mit der Einführung des BIM-Modells sollten wir es schaffen, die Plotter aus den Büros wegzudenken!“

Fazit

Für HPP ist das voraussichtlich im Frühjahr 2023 fertiggestellte Projekt am Düsseldorfer MedienHafen ein ­Einstiegsmodell in das Thema C2C. Die Digitalisierung der Planungsprozesse sehen sie als wesentliches, aber noch längst nicht ­ausgeschöpftes Potential, das C2C-Thema voranzutreiben; bei Inves­torInnen, BauherrInnen und der Softwareindustrie. Und: Das Analoge wird bleiben. Auf die Frage, ob der 6B-Stift endlich ausgedient habe, kommt ein klares Nein: „Wir haben noch KollegInnen, die ganz viel skizzieren und in unterschiedlichsten Konzeptbereichen unterstützend arbeiten“, so Antonino Vultaggio. Und er fährt fort: „Dieses Handwerk bleibt weiterhin nötig, weil es authentische Momentaufnahmen schafft, die offener für spätere Entwicklungsschritte sind. Beim 3D-Modell gilt ‚What you see is what you get‘. Eine gute Skizze ist da evolutionärer, bietet Raum für Assoziationen, für das Weiterdenken. Also werden wir das als Architekten beibehalten, ganz sicher. Andererseits ist das realistische dreidimensionale Abbild, die digitale Visualisierung, eine Unterstützung, um mit der Planung sehr konkret zu werden, Dinge zu Ende zu denken und umzusetzen. Denn irgendwann muss das Skizzenhafte zu etwas Konkretem werden, sonst gäbe es keine Schlüsselübergaben! Und auch das Digitale kommt rein technologisch schon mal an seine Grenzen. Es gibt Großprojekte, deren Planungsprozesse analog kaum zu handhaben sind, die in ihren Dimensionen aber selbst digital an Grenzen stoßen. Hier ist ein großes und erfahrenes Team notwendig, um Daten nachzuführen oder Rechenwege zu prüfen. Aber: Wir lernen aus solchen Projekten wiederum eine Menge und ich glaube, die Softwarehersteller ebenfalls!“ Be. K.

Baudaten

Objekt: The Cradle

Standort: Speditionstraße 2, Düsseldorf-Medienhafen, Baufeld MI3

Bauherr: INTERBODEN Innovative Gewerbewelten® GmbH & Co. KG, Ratingen

Architektur: HPP Architekten GmbH, Düsseldorf

Team: Gerhard G. Feldmeyer (Senior Partner), Antonino Vultaggio (Senior Partner), Martin Nienhaus (Projektleiter), Paul Schildt, Kateryna Maslova, Sophie Werries, Zhengyu Qiu

Fachplaner

C2C-Berater: EPEA GMBH – Circular Engineer Part of Drees & Sommer, Hamburg, www.epea.com

Tragwerks-/Fassadenplanung: Knippers Helbig GmbH, Stuttgart, www.knippershelbig.com

Energieplanung: Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart, www.transsolar.com

TGA: Bähr Engineering GmbH, Köln, www.baehr.koeln

Brandschutz: nees Ingenieure GmbH, Münster,

www.nees-ingenieure.de

Bauphysik: Drees & Sommer Advanced Building Technologies GmbH, Köln, www.dreso.com

Holzbau: W. u. J. Derix GmbH & Co., Niederkrüchten, www.derix.de

Nutzung: Büro mit Gastronomiefläche und Mobility Hub im Erdgeschoss

Mietfläche: ca. 6 600 m² Büro, ca. 600 m² Gastronomie

Grundstücksfläche: 1 200 m²

Baubeginn: 2020, Fertigstellung Anfang 2023

Beim „The Cradle“ erkennt man deutlich, dass von Anfang an mit digitalen Planungsmethoden entworfen wurde und das dies kein Nachteil für die Gestaltung ist. Im Gegenteil – beide Seiten der Arbeit der Architekten – Gestaltung und technische Umsetzung – gehen hier eine Symbiose ein.« Behm Maasberg Architekten, München

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