Toleranz aus Respekt
Stimmungssammelbecken: der Konvent der Baukultur in Essen 2010

Am 16. April war es sonnig und es war auch finster, eben Aprilwetter, auch in Essen. Auf dem wunderbaren Gelände der Zeche Zollverein, dem Inbegriff der Baukultur schlechthin, tagte ein Konvent zum Thema „Baukultur des Öffentlichen“. Dreihundertfünfzig waren geladen, dreihundertfünfzig gekommen: Architekten, Städteplaner, Kritiker, Medienvertreter, Lehrende, Kulturschaffende, Beobachter, Dezernenten und Amts­leiter, Emeritierte und Aktive, Mitglieder der Landesparlamente und des Bundesparlament, junge, aber wie immer auch noch viel mehr weit jenseits der Fünfzig. Das große Palaver fand nicht statt, nach ein paar Eröffnungsstatements ging es in drei zeitparallele Panels in ortsparallelen Zechengehäusen; Verkehr, Bildung, öffentlicher Raum wurden hier diskutiert. Abschließend gab es ein Plenum wiederum in der Waschkaue von 1907. Die Statements, die Ergebnisse der drei Panels und die der Abschlussdiskussion werden einfließen in den vierten Band des „Bericht der Baukultur 2010“, der mit den gerade erschienen ersten drei Bände im Herbst der Bundesregierung übergeben wird; auch als eine Art von Rechenschaftsbericht.

Doch was werden das für Ergebnisse sein? Auf welche Schlüsselbegriffe wird die Fülle des Diskutierten kondensiert werden, damit sie als Handlungsanleitung überhaupt wahrgenommen wird, von den politisch Verantwortlichen für die Baukultur des Öffentlichen? Ohne die Bereitschaft, Verantwortung für das Gebaute zu übernehmen, da waren sich alle einig, gibt es keine Baukultur (was immer sie jetzt auch sei). Auch müsse man bereit sein, hin und wieder aus dem Schatten der Verordnungen herauszutreten ins Zwielicht des gerade noch Erlaubten aber für diesen besonderen Fall als Optimum Erachteten. Mehr Risikobereitschaft?! Beklagt wurde – nicht nur von Architektenseite – die zunehmende Privatisierung der öffentlichen Verwaltung, der Rückzug des Staates aus ehemals hoheitlichen Planungsaufgaben, und das ohne jede Not. Denn leere Kassen können hier nicht bestimmend sein, Steuergeld wird täglich in Mengen für andere Dinge in unverständlich verschwenderischer Weise bereitgestellt.

Auch die Ausbildung der Architekten wurde für die Misere der Baukultur verantwortlich gemacht, hier rügte insbesondere der Philosoph Julian Nida-Rümelin das Fehlen von Soziologie oder Psychologie als Lehrstoffe, wie er überhaupt eine ethische Diskussion in der Architekturausbildung und darüber hinaus für sinnvoll erachtet. Ethik und Architektur? Eigentlich selbstverständlich, könnte man meinen, doch wer in Panel 3 (Verkehr) über Mobilität und die ästhetische Führerschaft der Architekten hitzig debattieren hörte, dem mussten Zweifel kommen. Ob denn die Architekten überhaupt in der Lage sind, wie einstmals deren Avantgarde, in Manifesten und Proklamationen nichts weniger als die Umformung der Gesellschaft zu fordern. Davon war man in Essen weit entfernt, „Gesellschaft“ hat in der Wahrnehmung einer Mehrheit etwas Anrüchiges bekommen, über das man besser erst gar nicht spricht. Pragmatismus und kleine Schritte statt radikaler Ziele, das wird in den kommenden Monaten ausformuliert und dem politischen Establishment wohlschmeckend konfektioniert; zum möglichst glatten Hinunterschlucken. Nein, es gab keine Forderungen nach der Ablösung einer Ästhetik des Mobilitätszwanges, keine Forderungen nach der Wiederherstellung des Öffentlichen im öffentlichen, sektionierten, mehr und mehr elektronisch überwachten Raum. Keine Aufrufe, Bildung in die öffentlich rechtlichen Medien zurückzufordern, kein Beschluss, Thesen zur Baukultur über ein Referendum in der Bevölkerung auf ihre Relevanz hin abzuklopfen. Der in diesem Zusammenhang ganz unverfroren geäußerte Satz, der Bürger sei vielleicht doch einfach zu dumm für eine hinreichende Baukultur, beschreibt augenfällig das Problem; Partizipation ja, aber ausschließlich in Kulturprojekten auf Stadtteilebene. Und die ganz am Ende sehr überraschend inszenierte Abstimmung durch Handzeichen, ob wir den Oesterlen-Plenarsaal in Hannover behalten wollen oder einen Neu­bau bevorzugen (348 wollten den Oesterlen-Bau) war eine Adhoc-Übung, nach welcher einen das Gefühl beschlich, die Abstimmung wäre aus dem Bewußtsein entstanden, nach fast zehnstündigem Konvent tatsächlich zu keinem Ergebnis mit Konsenscharakter gekommen zu sein.

Am folgenden Tag ging es zu den „Brennpunkten der Baukultur“ im Pott, anhand derer über die erforderliche Qualität des alltäglichen öffentlichen Raumes debattiert wurde. Hier allerdings konnte sich der Blick öffnen auf reale Kontexte, auf das Häßliche im Normalen und das Schöne im Häßlichen; auch auf die Langeweile dieser oder jener Baukultur. Und tatsächlich erschien einem der Konvent vom Vortag unwirklich, die Frage nach Baukultur direkt überflüssig. „Toleranz aus Respekt“ (Nida-Rümelin), und „Hauptsache glücklich“ (Heinz Rühmann), das wäre es schon. Dennoch: Die Initiative der Baukultur ist wichtig, sie ist notwendig, und sie braucht noch jede Menge Input; heute schon. Wir bleiben dran. Be. K.

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