Breuer-Komplex
Warum verbinde ich Marcel Breuer immer nur und an erster Stelle mit seinem B9? Oder dem Wassily Chair? Und natürlich dem Bauhaus, dem in Weimar. Wahrscheinlich ist der Architekt und Designer ungarisch-jüdischer Herkunft wegen seiner immer lukrativer handelbaren Möbelentwürfe mehr im Gespräch als über sein gebautes Werk. Und das ist riesig, teils sehr prominent und – anders als die Originalmöbel – mehr und mehr gefährdet. Vom Abriss, Umbau oder schlicht dem Verfall.
Da kann man es einen glücklichen Zufall nennen, wenn jetzt bei Phaidon eine wirklich beeindruckend umfassende Monografie zu Werk und auch Leben Breuers erschienen ist, die tatsächlich beides schafft: mit Vorurteilen aufzuräumen und das ganze Werkspektrum sehr übersichtlich aufzufächern.
Sehr übersichtlich heißt hier, in klarem Design und streng chronologisch voranschreitend. Durch die Arbeiten hindurch, die überraschenderweise gleichsam mit Breuers Lebensabschnitten zu korrelieren scheinen. „Am Anfang der Moderne“ steht am Anfang und hier kommt der Breuer ins Blickfeld, der am Bauhaus wirkte und dessen Seiten wir (scheinbar) bestens kennen. Es folgt der Bezug auf die schon etablierte „Tradition der Moderne“, dann das „Bauen mit einfachen Formen“, die „Perfektionierung“, die „Klärung der Themen“ bis hin zu den „Variationen“. Der Ausblick nach der Tour durchs Werk ist einer auf „den Letzten der ersten Modernen/Ersten der letzten Modernen“, eine Art von Zusammenfassung des Vorhergesagten. In jedem der sieben großen Kapitel werden einzelne Bauten sehr ausführlich und eingehend erzählerisch dokumentiert, meist vor den dann folgenden längeren Bilderstrecken. Leider sind Texte und Fotos so getrennt, dass man beide manches Mal regelrecht zusammensuchen muss. Andererseits ist die Konzentration auf Text oder Bild (Fotos und meist Originalgrundrisse) dadurch erleichtert.
McCarters Verdienst ist es ganz sicher, dass er mit dieser Arbeit erstmals einen kompletten Überblick über das Œuvre Breuers gibt, dass sein Text informativ und nicht selten von unterhaltsamer Leichtigkeit ist. Die ausgewählten und im Detail vorgestellten Arbeiten – der Schwerpunkt liegt auf der Architektur, öffentlicher wie privater – stehen tatsächlich für Werk- und Lebensperioden und können – und werden es hier – sehr wohl als Ausdruck ihres jeweiligen Zeitkontextes interpretiert.
Dass es für ein vielleicht neues Verständnis der Arbeiten Breuers nicht ausreicht, sich durch diesen Breuer-Berg hindurch zu lesen, gibt der Autor selbst zu bedenken: Nur wer sich viel Zeit in den Bauten Breuers nimmt, sie auf sich wirken läßt, dem eröffnet sich der ganze Breuer-Komplex. Wer die Zeit dazu nicht hat, kann es in dieser Monografie mit dem Werkverzeichnis und ganz bestimmt mit dem umfangreichen Verzeichnis der Stichwörter probieren, die diese Arbeit auch zu einem echten Arbeitsbuch macht. Be. K.