Erst die Schönheit, dann das Tragwerk
„Es ist nicht Aufgabe des Ingenieurs, dem Architekten klarzumachen, dass es nicht geht, sondern zu zeigen, wie es geht“. Dieser Satz hängt Prof. Stefan Polónyi wohl auf Ewigkeiten nach. Denn schon in den 1950er-Jahren mussten nach seinem Verständnis Tragwerk, Form und Funktion eine unauflösliche Einheit eingehen und so zu einer ästhetischen Anmutung führen: „Die Schönheit speist sich aus konstruktiver Konsequenz.“ Nur wenige Bauingenieure haben damals – das gilt auch für heute – einen solchen Anspruch formuliert. Nicht alle seine Kollegen waren dieser Meinung, aber alle, die mit ihm zusammenarbeiteten, wussten diesen hohen Anspruch zu schätzen und haben ihn als Bereicherung des eigenen Entwurfsprozesses verstanden.
Wir wollten den Mann kennenlernen, der es schon immer verstand, im Sinne der integralen Prozesse zu wirken und der mit seinem Wissen die Architektur bereichert. Es ist uns gelungen, Prof. Stefan Polónyi für unseren Themenschwerpunkt „Tragwerk“ als Heftpaten zu gewinnen. Prof. Polónyi, gerade 86 Jahre geworden, empfängt uns in seinem Wohnhaus in Köln. Der erste Eindruck bestätigt, hier lebt jemand, der sich für die Schönheit der Architektur, für die Kunst und die Ästhetik des Tragwerks begeistert. Dieser Mann liebt und lebt seinen Beruf als Ingenieur immer noch mit ganzer Leidenschaft.
Wir sprachen mit ihm über den Unterschied von Statik und Tragwerksentwurf: „Es ist nicht die Aufgabe des Ingenieurs, die gelernten statischen Systeme im Bauwerk des Architekten unterzubringen. Ich denke darüber nach, wie der Raum, wie die Form des Daches aus ästhetischen Überlegungen sein soll, und dann können wir darüber reden, wie kriege ich das zum Stehen.“ Und wir diskutierten über das Thema Integrale Planung: „Dass nach wie vor zu wenige Architekten und Bauingenieure – wie man heute sagt – integral zusammenarbeiten, liegt an der Ausbildung. 1973 haben Harald Deilmann, Paul Josef Kleihues, Hermann Bauer und ich an der Universität Dortmund das Dortmunder Modell entwickelt, die gemeinsame Ausbildung von Architekten und Bauingenieuren an einer Fakultät. Das hat sich bewährt und für Verständnis für die Gedanken der anderen gesorgt. Was uns damals nicht gelang in dieses Modell zu integrieren und was bis heute ein großes Manko in der Ausbildung darstellt, ist die Technische Gebäudeausrüstung. TGA-Ingenieure werden nicht oder zu wenig adäquat ausgebildet im Hinblick auf den gemeinsamen Prozess von Architektur, Tragwerk und TGA, um den ästhetischen Anforderungen gemeinsam gerecht zu werden“. Von seinem Traum: „Erst kommt die Schönheit und Ästhetik, dann das Tragwerk und dazu noch die TGA“ sind wir heute leider fast genauso weit entfernt wie 1973.
In seinem Standpunkt auf Seite 20 vertieft er diesen Gedanken. Die Projekte, die wir im Sinne von Schönheit und Tragwerk gemeinsam mit Prof. Polónyi ausgewählt haben, finden Sie ab Seite 22 in dieser Ausgabe. BF