Tragwerken
DBZ Heftpartner Alexander Hentschel und Oliver Schwenke, TRAGRAUM Ingenieure, Nürnberg
Tragwerke geben Strukturen Funktion: Sie spannen Räume auf, generieren Flächen oder schaffen Verbindungen. Nur mit der richtigen Wahl der Anordnung seiner Teile in Verbindung mit Materialität entsteht im Tragwerk Standsicherheit, Robustheit und Lebensdauer. Das ist der kreative, meist iterative, aber immer individuelle Prozess des Tragwerksentwurfs. Er ist ein Spiel mit Kräften. Das Ziel dabei ist es, die Wege dieser Kräfte vom Ort ihrer Entstehung hin zu den Auflagern zu steuern und Gleichgewicht zu schaffen.
Der Tragwerksentwurf ist prinzipiell anders als sein statischer Nachweis, bei dem es vorrangig darum geht, für ein bereits planerisch fixiertes Tragwerk die Standsicherheit richtig und nachvollziehbar zu bestimmen.
Die Entwicklung konstruktiver Lösungen wird im Wesentlichen vom architektonisch-gestalterischen Entwurfsansatz und den konstruktiven Randbedingungen geleitet und orientiert sich dabei an wirtschaftlichen Grenzen.
Abgesehen vom reinen Ingenieurbau fordert die nicht zu trennende Verknüpfung von Tragwerksform und Gebäudegestalt eine enge und frühzeitige Zusammenarbeit zwischen ArchitektInnen und IngenieurInnen, da nur so die Synergien aus Funktionalität und Gestaltung in den Entwurf integriert werden können.
Neben den funktionalen und konstruktiven Randbedingungen sind unter der Voraussetzung eines integrativen Ansatzes zahlreiche weitere Einflüsse, unter anderem aus Komfortkriterien, der Wirtschaftlichkeit und des Bauablaufs, zu berücksichtigen.
Innerhalb dieses Rahmens führt die Optimierung der Struktur hinsichtlich der Klarheit der Kraftflüsse fast immer zu einer guten Ablesbarkeit des Kräfteverlaufs. Auf diese Weise entstehen in Abhängigkeit von wirtschaftlichen Überlegungen nahezu unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten.
Dabei ist abzuwägen, ob ein Tragwerk inszeniert werden soll, einfach nur sichtbar ist oder unscheinbar und zurückhaltend nur der Funktion dient. Ziel muss immer sein, dass die Gesamtstruktur die für den Nutzer angestrebte Güte besitzt.
Das Handwerkszeug zum Tragwerken liegt neben dem rein technischen Wissen in der Empathie und dem Verständnis für das Projekt. Strukturen suchen, entwickeln und nutzen wird immer begleitet von der konsequenten Analyse der Randbedingungen.
Dies geschieht immer vor dem Hintergrund der Kenntnis der Tragwerkstypologien mit den Potenzialen oder Defiziten ihrer Mischungen. Materialkenntnis und Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen der Bau- und Fertigungsabläufe sind unabdingbar. Die EDV kann insbesondere bei der Formfindung sehr stark unterstützen, darf aber auch nicht überschätzt werden. Mit ihr kann man alles rechnen– leider aber auch jeden konstruktiven Unsinn. Ein zur Aufgabe passendes Tragwerk wird sie sinnvoll nie alleine generieren können.
Die Aufgaben- und Fragestellungen der Tragwerksplanung sind dabei ganzheitlich auf das Projekt bezogen. Aber wie reagiert die Ausbildung darauf? Hier erwarten wir in den nächsten Jahren wieder ein spürbares Umdenken in der Ausbildung von BauingenieurInnen. Der Bolognaprozess 2003 in Verbindung mit dem Wildwuchs an scheinbaren Spezialisierungen und den zusätzlich seit Jahren niedrigen Studierendenzahlen führte leider zu einem extremen Fachkräftemangel. Zukünftig muss es weg gehen von den unzähligen Spezialisierungen im Master und wieder hin zur Vermittlung des vertieften Grundwissens des Konstruktiven Ingenieurbaus und der Logik des Bauwesens in der Breite.
Bauen geschieht immer im gesellschaftlichen Kontext. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion zum positiven Beitrag des Bauens zu drängenden Zukunftsaufgaben, ergeben sich für die Tragwerksplanung neue und zusätzliche Priorisierungen und damit vermutlich auch wieder eine höhere Wertschätzung für die kreative Planungsleistung. Die Forderung nach materialminimierten und damit ressourcensparenden Tragwerken und materialoptimierten Gebäudestrukturen erzeugt Motivation und Schub. Um dies zu schaffen, wird und muss der Fokus auf kreativeren Lösungen im Umgang mit der Aktivierung und Umnutzung der Bestandspotenziale oder Teilen davon liegen – wenn möglich, ohne Abriss.
Diese Ziele sind aber gemeinsam nur erreichbar, wenn die aus dem bisherigen, verbrauchenden Bauen entstandenen, teilweise überzogenen Erwartungen an Komfort wieder auf ein vernünftiges Maß zurückgehen.
So bleibt das Tragwerken mit der Entwicklung klarer und mutiger Tragwerkskonzepte zwar ein spannendes Tätigkeitsfeld, es muss dabei aber durch Engagement für einen neuen Grad der Angemessenheit in den Konstruktionen seinen Anteil an der Zukunftsfähigkeit für das Bauen im Allgemeinen leisten.