Umnutzung St. Agnes, Berlin
In den 1960er-Jahren baute der damalige Berliner Bausenator Werner Düttmann die heute denkmalgeschützte Kirche St. Agnes im Stil des Betonbrutalismus. 2004 wurde sie entweiht und gut zehn Jahre später von den Architekten Brandlhuber+ Emde, Burlon und Riegler
Riewe Architekten durch einen gezielten Eingriff zu einer Galerie umgebaut.
Was den Raum auszeichnet, ist seine konzentrierte Kargheit, heißt es in der Beschreibung des Landesdenkmalamtes über den Andachtsraum der St. Agnes-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Das gesamte Gemeindezentrum wurde 1964 – 1967 als typischer Bau des Brutalismus für die katholische Kirche gebaut. Es sollte ein von der hektischen Welt abgeschlossener Raum der Stille, der Besinnung und der Begegnung mit Gott geschaffen werden, so der Text weiter. Diese Kargheit sowie die durch den Baustil vorgegebene Materialehrlichkeit und architektonische Direktheit nutzten die Architekten Brandlhuber+ Emde, Burlon, um gemeinsam mit dem Büro Riegler Riewe Architekten und dem Bauherrn, dem Galeristen Johann König, den ehemaligen Kirchenraum zu einer Galerie mit Ausstellungsfläche umzunutzen. Mit gezielten, minimalen Eingriffen konnte das Gebäude auf die Anforderungen einer Galerie angepasst und dennoch der Raum in seiner grundsätzlichen Anmutung erhalten werden.
Der Düttmann-Bau
„Werner Düttmann schuf eine Anlage mit klaren geometrischen Formen, die er so um den Hof angeordnet und in der Höhe gestaffelt hat, dass sich immer eine optimale Belichtung der Räume ergibt“, erläutert Projektleiter Thomas Burlon. „Zudem hat er so die Funktionen des Gemeindezentrums auf die einzelnen Kuben verteilt und ablesbar gemacht. Dies sind zwei Merkmale, die dem Brutalismus zugeschrieben werden.“ Ein drittes Kriterium des Baustils wurde allerdings nicht berücksichtigt, nämlich die Ablesbarkeit der Konstruktion, denn es handelt sich bei der St. Agneskirche nicht um einen Sichtbetonbau, sondern um eine Stahlbetonskelettkonstruktion, die fast vollständig mit einem Spritzbeton überzogen wurde. In Sichtbeton wurden nur die Köpfe des Glockenturms, der Kapelle sowie des ehemaligen Altars ausgeführt. In Anlehnung an die Idee des Innenhofes, der durch die Gemeinde, ihre Mitglieder und unterschiedliche Funktionen belebt wird, findet man heute in den Räumlichkeiten neben der Galerie Räume der Kreativwirtschaft, wie ein Architekturbüro oder einen Kunstbuch-Verlag sowie ein kleines Café.
Der Eingang zur Kirche selbst wurde damals wie heute nicht groß in Szene gesetzt. Sie wird fast nebensächlich unter einem Verbindungsdach erschlossen. Der Besucher tritt nun in den Vorraum der Galerie, unterhalb der einstigen Orgelempore. Zur Linken liegen Büroarbeitsplätze und das Schaulager der Galerie. Ausstellungsbesucher gehen rechts vom Eingang die erhaltene Treppe des Glockenturms in das obere Geschoss, das hier durch den eingestellten Beton-„Tisch“ neu entstanden ist.
Der eingestellte Tisch
„Die Idee bestand darin, den sakralen, sehr hohen, zu Gott orientierten Raum so in seinen Proportionen zu verändern, dass sein grundsätzlicher Charakter nicht verloren geht, aber dennoch ein angemessener Rahmen für die Arbeit einer Kunstgalerie gegeben ist“, so Architekt Burlon. „Der „Tisch“ übernimmt quasi alle Aufgaben von der Raumteilung über die Statik bis hin zur umfassenden Medienversorgung wie Strom und Fußbodenheizung.“ Höhe und Lage der Ebene orientieren sich dabei an der Orgelempore, wobei die Hauptausstellungsfläche auf Höhe der ehemaligen Emporenbrüstung liegt. Die Fläche wird nun über drei Stufen erreicht. „Das war statisch anspruchsvoll, da die Brüstung Teil der tragenden Konstruktion darstellte. Die Empore wird hier nun über einen Stahlträger abgefangen, der direkt unter den Stufen sitzt“, erklärt Detlef Müller von der ausführenden Firma Wolfgang Bauer Ingenieurbau GmbH.
Auf keinen Fall sollte eine bis an die Wand geschlossene Decke eingezogen werden. Dem Denkmalamt war es wichtig, dass alle Eingriffe reversibel blieben. Zudem schließt auch die erhaltene Empore nicht bündig an die Wand an, sondern mit einem Abstand von 10 cm, so dass noch immer ein Streifen Licht durchfällt. Der Wunsch der Architekten war, diese 10 cm-Fuge umlaufend fortzuführen und den „Tisch“ deutlich von den Umfassungswänden abzurücken. Leider durfte dies aus Sicherheitsgründen nicht ausgeführt und musste auf eine 4 cm-Fuge reduziert werden. Im Bereich der Empore allerdings ist die vorhandene Fuge in ihrer Breite unverändert, da sie unter den Bestandsschutz fällt.
Statisch ruht der „Tisch“ auf schmalen Betonstützen, von denen immer vier in den vorgegebenen Achsen des Bestands stehen. Die Anzahl der Stützen wurde so gewählt, dass die Lasten über Stahlfüße verteilt werden und so kein Problem für das vorhandene Fundament darstellen. Die Erdgeschossstützen sollten ohne Schalungsstöße realisiert werden. Daher wurde der Beton in Kunststoff-Quadratrohre gegossen. Bei der Platte des „Tisches“ wurden mit Film beschichtete Schalplatten für eine besonders glatte Oberfläche eingesetzt. Laut Denkmalamt galt für alle neu eingefügten Elemente, diese als solche erkennbar zu lassen. So sollten auch die neuen Betonoberflächen deutlich als solche ablesbar sein.
Umgang mit dem Bestand
„Alles was neu ist, musste scharfkantig und sehr glatt sein und sich so von dem ursprünglichen Beton absetzen, der mit einer Holzbretterschalung und Dreiecksleiste geschalt worden war“, so Thomas Schütky vom Büro Riegler Riewe Architekten, der das Projekt ab der Leistungsphase 5 betreut hat. „Besonders gut sichtbar ist dieser Unterschied im Erdgeschoss zwischen den neuen Stützen und denen im Bestand.“ Die Sichtbetonköpfe des Turms, der Kapelle und über dem Altarraum hingegen gehören zum Ursprungsbau und mussten entsprechend in ihrer Anmutung erhalten werden. In diesen Sichtbeton-Vorsatzschalen gab es viele Risse und die Bewehrung war stark in Mitleidenschaft gezogen. Insbesondere an der Südseite des Altarkopfes musste der Beton umfassend abgestemmt werden. Er wurde anschließend ergänzt. Wo erforderlich wurde zusätzlich ein Feinspachtel aufgetragen und modelliert, um die ursprüngliche Optik der Bretterschalungsstruktur wieder herstellen zu können. Zum Schluss ist die gesamte Fläche mit einem Oberflächenschutzsystem beschichtet worden.
Übernommen wurde auch der Spritzputz im Innenraum. Hierbei handelt es sich um eine ungewöhnliche Konstruktion mit einer Rabitzwand, die etwa 80 cm vor der eigentlichen Konstruktion hängt und nur mit 6 mm dünnen Stahlstreben stabilisiert wird. In den Zwischenraum wurde seinerzeit warme Luft geblasen, die dann an den Kirchenraum abgegeben wurde. Zudem hat diese Wand eine akustische Wirkung, da sie schwingen kann und nicht starr mit der Konstruktion verbunden ist.
Im Erdgeschoss gab es einen Holzboden im ursprünglichen Kirchenraum, der wegen fehlender Instandhaltung durch die katholische Kirche nicht erhalten werden konnte. Er wurde durch einen Betonboden ersetzt, der – wie auch der „Tisch“ im Obergeschoss – möglichst glatt und fugenlos in Erscheinung treten sollte. Dazu der Denkmalpfleger der unteren Denkmalbehörde: „Tatsächlich ist jede denkmalfachliche Entscheidung eine Einzelfallentscheidung, die von vielen Faktoren beeinflusst werden kann. Es treten demzufolge fallweise auch Gründe auf, die von einer Rekonstruktion Abstand nehmen lassen. Im Falle des Fußbodens: Kostenfrage, Nutzungserfordernisse; insoweit wurde hier einvernehmlich mit dem Landesdenkmalamt von der Forderung nach einer Rekonstruktion abgesehen.“
Besonders beeindruckend ist die Tageslichtführung im jetzigen Ausstellungsraum, die im Prinzip aus dem Bestand erhalten werden konnte. Oberlichter sowie zwei vertikale Lichtbänder tauchen den Raum in sehr weiches Licht. Selbst die grobe Spritzputzoberfläche der Wände erhält eine fast samtige Weichheit. Fällt das Sonnenlicht direkt ein, entsteht ein schönes Spiel mit Licht und Schatten in wiederum klaren geometrischen Formen. Der Besucher erlebt, was der Architekt des Bestandbaus vorgegeben und die Sanierungsarchitekten erhalten konnten: einen kargen, aber doch sinnlich anmutenden Raum, der eine emotionale Wirkung hat, egal, ob man ihn als Andachtsraum erlebt oder als Raum für das Erfahren von Kunst.
Der Entwurf des Umbaus gehört zu den gelungenen Projekten, bei denen mancher veranlasst ist zu denken, dass sei so einfach, das hätte er auch gekonnt. Stimmt aber nicht. Dass es so einfach und schlüssig daherkommt, bedarf einer großen Empathie für das Vorgefundene, Sensibilität für das Material und Erfahrung bei der Umsetzung. Nina Greve, Lübeck
Baudaten
Standort: Alexandrinenstraße 118 – 121, 10969 Berlin
Typologie: Kunstgalerie
Bauherr: St. Agnes Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft mbH, Berlin, Johann und Lena König
Nutzer: König Galerie
Architekten Lph 1 – 4: Brandlhuber+ Emde, Burlon, Berlin, www.brandlhuber.com
Architekten Lph 5 – 9: Riegler Riewe Architekten GmbH, Berlin, www.rieglerriewe.de
Team Brandlhuber+: Peter Behrbohm, Klara Bindl, Tobias Hönig, Cornelia Müller, Markus Rampl, Paul Reinhardt
Team Riegler Riewe: Ladislaus von Fraunberg, Götz Lachenmann, Thomas Schütky, Jan Thoelen
Bauleitung: Wolfgang Meier-Kühn, AGP* Architekten, Berlin, www.architekten-agp.de
Bauzeit: 2014 – 2015
Fachplaner
Brandschutzplaner: hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH, Berlin, www.hhpberlin.de
Bauphysik: Ingenieurbüro Axel C. Rahn GmbH Die Bauphysiker, Berlin, www.ib-rahn.de
Elektroplanung: Ruß Ingenieurgesellschaft mbH, Berlin, www.rusz.de
Projektdaten
Baukosten
Hersteller
Dach: Icopal GmbH, www.icopal.de
Oberlichter und RWA-Flügel: RAICO Bautechnik GmbH, www.raico.de Dachdämmung: Deutsche Rockwool GmbH & Co. KG, www.rockwool.de
Türen/Tore: Teckentrup GmbH & Co. KG, www.teckentrupp.biz
Beleuchtung: Erco GmbH, www.erco.com
Außenbeleuchtung: BEGA Gantenbrink-Leuchten KG, www.bega.de