Uns wohltun
„Evidenzbasierter Gesundheitsbau“ lautet der Untertitel des hier vorliegenden kompakten Bands; eine Entwurfslehre, wie seine Autorinnen die Arbeit verstehen. Was evident ist, was also das unmittelbar Anschauliche – die Wahrheit? – das nun macht die Sache schwierig, denn Evidenz und Erkennen sind subjektive Werkzeuge im Diskurs und wenig geeignet, objektivierbare Bezugspunkte zu definieren.
Das Anliegen ist klar: sogenannte „Gesundheitsbauten“ – eine schwierige Kategorie in der Architektur – müssten so geplant und realisiert werden, dass sie Menschen, die dorthin zur Behandlung kommen, wenigstens nicht kranker machen, bes-tensfalls den Prozess ihrer Genesung sogar unterstützen. Der Blick auf bestehende Krankenhäuser offenbart, dass Handeln angesagt ist, dass PlanerInnen anders über ihre Planung auf diesem besonderen Arbeitsfeld nachdenken sollten. Aber: Ist diese Erkenntnis neu?
Neu ist sie nicht, aber bisher offenbar nicht von umfassenden Verbesserungen gekrönt. Extremer Kostendruck, steigender Altersdurchschnitt der Bevölkerung und damit steigende PatientInnenzahlen engen das Gesichtsfeld der Politik, aber auch der PlanerInnen häufig auf die „Maschine“ ein: auf ein Haus, das funktionieren muss vom Dach bis in den Keller, vom Parkdeck bis in den OP. Damit wir hier endlich besser werden, braucht es – neben aller konsensualen politischen Arbeit möglicherweise – auch eine neue Entwurfslehre. Und die liegt nun hier vor: Ergebnis langer Arbeiten an der TUM in dem Projekt „Münchener Lehrmodell: Architektur als zweiter Körper“.
Aufgeteilt in drei große Kapitel geht die Arbeit in eben diesen drei Schritten systematisch so vor: Zunächst einmal müssen die ArchitektInnen das Gewusste durchbrechen („Durchbrechen“), Begriffe hinterfragen, Zusammenhänge neu erkennen und beispielsweise das „Schöne im Wandel von Form zu Sprache erfahren“ (was ist das Schöne?). Im zweiten Schritt kommt das „Durchmessen“: hier geht es vom explorativen zum schon genannten evidenzbasierten Entwerfen. Und spätestens da – verwundert es? – wird es schwierig, denn nun werden Kriterien wie Geräuschkulisse, Aussicht und Weitsicht, Menschliches Maß oder Orientierung in den immergleichen Kategorien beschrieben: subjektives Erleben, objektive Veränderung der Wahrnehmung, Schädigung der Gesundheit etc. Das setzt die Kriterien sämtlich auf ein gleiches Niveau, ihre Objektivierung wirkt künstlich, aufgesetzt und sehr schematisch, sprachlich schwierig und mit dem Bezug auf philosophische Denk- und Deutungsebenen teils verworren.
Dann kommt, nach einer längeren Analysestrecke dreier Münchener Kliniken („Auf dem Prüfstand“) der letzte Schritt: der Entwurf, die Dokumentation einzelner Masterarbeiten aus dem Studiengang mit Gesundheitsbauten, die möglicherweise die Nachfolger sein könnten der Krankenhäuser, wie wir sie heute kennen, und die – nach Autorinnenauskunft – demnächst aussterben.
So überzeugend die Grundthesen sind, so nachvollziehbar der Dreisprung – Durchbrechen, Durchmessen, Designen – so fragt sich der Rezensent an vielen Stellen, ob ein Lehrbuch für StudentInnen der Architektur und der Psychologie einen derartigen theoretischen und teils verquasten Überbau braucht, der gerne auch selbstreferenziell die Methoden zur Evidenz bringen möchte und sich allzusehr verliert in Themen, die in der Recherchearbeit für solch eine umfassende Studie zwangsläufig auftauchen, die man sich aber hüten sollte, sämtlich mitzunehmen. Damit wird die Arbeit hoffentlich Ausgangspunkt für viele Gestaltungs- und Theorieseminare, wird Arbeitsmittel für das Nachdenken über neue, so noch nicht gedachte Aspekte beim Planen und Bauen von Häusern, die wie alle anderen Bauten auch, uns wohltun und nicht schaden. Be. K.