Unsichtbarer Neubau
Joanneumsviertel Graz, Graz/A

Das 1811 von Erzherzog Johann gestiftete Universalmuseum Joanneum ist das älteste öffentlich zugängliche Museum Österreichs und das größte Universalmuseum in der Mitte Europas. Eine Arbeitsgemeinschaft aus den Architekten Nieto Sobejano Arquitectos und ihren Grazer Partnern, eep-Architekten, lieferten den Entwurf für die Sanierung des Museumsviertels.

Das Joanneumsviertel besteht aus drei Gebäuden verschiedener Epochen. Es liegt in der Grazer Innenstadt und wird von der Raubergasse, der Kalchberggasse, der Neutorgasse und der Landhausgasse begrenzt. Das neue Besucherzentrum bildet das Herzstück des Viertels. Als zentraler Zugang zu den beiden Museumsgebäuden und der Steiermärkischen Landesbibliothek ist es gleichzeitig ein Informationszentrum und primärer Orientierungsort für den Institutionenkomplex. Die Anlage weist einen tra­pezförmi­gen Grundriss auf, der sich durch die ursprüngliche Lage an der mittelalterlichen Stadtmauer ergab.

Wettbewerb

Anlässlich seines 200-jährigen Bestandsjubiläums im Jahr 2011 sollte das LMJ saniert und modernisiert werden und von einem Ort des „Sammelns, Erforschens und Bewahrens“ zu einem attraktiven Kulturbezirk und einem „lebenden Museum des Vermittelns“ umgewandelt werden. 2006 wurde ein europaweiter Architekturwettbewerb für den Entwurf des neuen Eingangs- und Besucherzentrums, sowie der Generalsanierung der historischen Gebäude ausgeschrieben, der von der Arge Museumsviertel Joanneum mit den madrilener Architekten Nieto Sobejano Arquitectos und ihren Grazer Partnern eep-Architekten gewonnen wurde. Die Wettbewerbsausschreibung sah eine Dreiteilung des neuen Museumsviertels mit den zwei Bestandsgebäuden und einem neuen Besucherzentrum vor. Ein Hochbau zwischen den bestehenden Gebäuden wurde untersagt, wäre aber an der Ecke zum Andreas Hofer Platz hin möglich gewesen.

Teil des ursprünglichen Wettbewerbsprogramms war auch ein Studien- und Sammlungszentrum, das aber später ausgelagert wurde. Das ursprüngliche Raumprogramm sah neben einem dritten Untergeschoss im Neubau den gesamten Ausbau des Dachgeschosses in der Raubergasse vor.

Entwurf

Der Entwurf der Architekten begnügt sich mit einem einzigen, direk­ten Eingriff, der in der urbanen Umgebung praktisch verschwindet und damit das Ensemble der historischen Gebäude gleichzeitig in das Stadtbild und das Bewusstsein der Besucher zurückholt. Während das historische Zentrum von Graz besonders wegen seiner Dachlandschaft geschätzt wird, entwickelt sich dieses Projekt im Gegensatz dazu unter dem Boden. Der Entwurf der Arge zeichnet sich durch eine Vielzahl von Qualitäten aus:

– Einem klaren und gut strukturierten Konzept, das den gesamten Neubau zwischen die bestehenden Gebäude und unter die Erde verlegt. So konnte seine primäre Funktion als Bindeglied und zentrale Erschliessung des Ensembles sehr effizient geregelt werden.

– Der Gestaltung eines öffentlich Platzes mit punktuell gesetzten Bäumen. Dieser neue Freiraum wertet nicht nur die Gebäude auf, sondern bereichert die Innenstadt mit einer zusätzlichen Platzqualität. Dieser Platz soll in der Zukunft Raum für künstlerische Intervention bieten.

– Die Einführung der auf den Kopf gestellten Kegel als funktionelle Lichthöfe und als städtebauliche Form, die an diesem Ort nicht existierten.

– Eine einfache Struktur mit längsgerichteten Wandscheiben und den Kegeln, die das Untergeschoss sehr großzügig und als einen fließenden Raum erscheinen lassen.

Kegel

Auf Strassenniveau beschränkt sich der Entwurf auf das Anlegen einer neuen, mineralischen Oberfläche, die den Freiraum zwischen den Gebäuden bedeckt. Der Belag beteht aus sandgestrahltem und wasserdurchlässigem Asphalt – ähnlich dem Flüsterasphalt – mit einer sehr hellen Gesteinsmischung.

Der neue Platz wird von fünf patioartigen, schiefen Kegelstümpfen aus Glas durchbrochen, die natürliches Tageslicht in die Untergeschosse leiten. Zwei der Kegel reichen bis in das zweite Untergeschoss, in dem sich der Bücherspeicher der Landesbibliothek befindet. Jeder der Kegel hat einen unterschiedlichen Radius. In einen der Kegel wurde aus architektonischen Gründen ein stehender Kegel, der bis ins 2. Untergeschoss reicht, eingefügt.

Zum Haupteingang des Ensembles im ersten Untergeschoss gelangt man über eine Rolltreppe im größten, 13 m im Durchmesser messenden Hof. Die anderen Patios sind leer. Die rundum verglasten Einschnitte besitzen die Qualitäten eines normalen Fensters, da einerseits Regen und Schnee eindringen kann und sie andererseits den Blick auf die historischen Gebäude ermöglichen.

Jeder Kegel besitzt eine lotrechte Seite, die eine zusätzliche räumliche Dynamik einbringt. Sowohl die Architekten als auch der Bauherr bestanden auf die Umsetzung dieser komplexen Form, in der jede Scheibe ein Unikat ist, weil sie die das gesamte Ensemble zu etwas Besonderem machen. Die schrägen Glasflächen spiegeln das Sonnenlicht tief in das Untergeschoss und erhellen sogar Teile unter dem Bestand, die bis zu 10 m von den Patios entfernt liegen. Das Hauptfoyer im ersten Untergeschoss bildet das Bindeglied des Joanneumsviertels. Zusätzlich zu den Kassen und einem Info-Point findet man hier einen Museumsshop, Garderoben und Sanitäreinrichtungen.

Neben den Zugängen zur Neuen Galerie Graz und zum Naturkundemuseum bilden die multimedialen Sammlungen erste museale Berührungspunkte. Ausstellungsflächen, die Freihandaufstellung der Landesbibliothek und zwei Auditorien bieten Raum für Vorträge, Workshops, Seminare sowie Aktivitäten der Kunst-, Kultur- und Naturvermittlung. Die zurückhaltende Atmosphäre dort entsteht durch Sichtbetonwände, dunklen Boden­belag und runde, in die Streckmetalldecke eingepasste Deckenleuchten. Die schlichte Innenraumgestaltung wird durch die weitestgehend in Holz gehaltene Möblierung weiter verstärkt.

Fundamente

Die Baugrube und die Stabilität der bestehenden Gebäude wurden mittels des Hochdruckboden­ver­mörtelungsverfahrens gesichert, wofür sich der schotterhältige Boden bestens eignete, es zu keinem Platz­verlust kam und man mit den Außen­wänden des Neubaus direkt an den Bestand herangehen konnte. Auch an den Verbindungspunkten der bestehenden Vertikalerschliessungen mit dem neuen Besuchereingang wurde über das Kellergeschoss das Erdreich mit Hilfe der Hochdruckvermörtelung gefestigt. Heikel war die Anbindung des Prunkstiegenhauses in der Neutorgasse an die darunterliegende, neue Erschliessung sowie die Ausbildung eines logischen und ästhetischen Anschlus­ses, der einer natürlichen Bewegungslinie folgt.

Der Neubau steht im Grundwasser. Aus Kostengründen konnten die in der Norm vorgeschriebene doppelte Abdichtung oder die nachträglich verpressten Kunststofffolien nicht verwendet werden. So griff man zum System der Braunen Wanne, einem günstigeren und arbeitsunempfindlicheren Verfahren, das in Absprache mit dem Bauherrn zum Einsatz kam.

Sanierung

Die Sanierung der historischen Bausubstanz sowie die funktionelle und technische Adaptierung mit der Modernisierung der Sicherheitstechnik, des Brandschutzes, der Haustechnik, ­der barrierefreien Erschliessung und die Anpassung der Museums­ausstattung an heutige Anforderun­gen, gehörten zu den zentralen Aufgaben des Projekts. Neben diversen Trockenlegearbeiten der beiden Bestandsgebäude in der Neutorgasse und Raubergasse umfassten die Arbeiten auch die Sanierung der bestehenden Holzfenster sowie der Fassaden.

Die Schwierigkeit lag darin, die bauphysikalischen Anforderungen in Einklang mit dem Denkmalschutz zu bringen und technische Eingriffe wie die Leibungsheizung im Bereich der Fenster oder die notwendigen elektrischen Leitungen so unsichtbar wie möglich zu halten. Das Gebäude in der Raubergasse musste klimatisiert werden. Unter dem weißen Anstrich fand man grossflächige Wandmalereien, die aufgrund des Denkmalschutzes nur punktuell durchbohrt werden durften. Hier griff man zu einem repetitiven System der vorgesetzten Wand, hinter der man alle Leitungen verbergen konnte ohne die Wand zu beschädigen. Im Zuge der Sanierung wurde ein nachträglich hinzugefügtes Stiegenhaus abgerissen. Dadurch erhielt der vormals dunkle Hof und die Räumlichkeiten eine neue Lichtqualität.

Die Organisation der Anlieferung machte eben­falls einen Eingriff in die bestehende Substanz notwendig. Sie befindet sich an der Nordseite des existierenden Gebäudes und ermöglicht eine stufenlose Anbindung an alle Speicher, Archiv und Ausstellungsflächen. Drei neue Aufzugskerne ermöglichen die Erschließung des gesamten Komplexes.

Das Ziel, den Stellenwert jedes einzelnen Museumteils zu stärken und gleichzeitig die Zugänge und neuen Räumlichkeiten einheitlich zu lösen, ist aufgegangen.

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