Unternehmensarchitektur im Wandel –
10 Jahre SCOPE
Wie haben sich Arbeitskulturen und -räume verändert, um neuen Ansprüchen und Technologien gerecht zu werden? Rückblick und Ausblick in Zeiten des Wandels
2010: Alles beginnt mit einer Vision. Zu zweit, in Stuttgart, am Küchentisch. Wenn wir Architektur machen wollen, dann für die Menschen, die sie nutzen. Wir wollen Räume erschaffen, in denen wir nicht nur arbeiten, sondern auch leben. Wir wollen die Bedürfnisse der Nutzung in unseren Konzepten widerspiegeln und ihnen gerecht werden. Wir wollen Verantwortung übernehmen. Für uns bedeutet das, aus einem soziokulturellen Kontext zu entwerfen und die großen Treiber unserer Zeit zu erkennen und deren Bedeutung in unseren Konzepten zu reflektieren. Globalisierung, Digitalisierung, eine veränderte Arbeitskultur und klimatische Veränderungen verlangen nach Konzepten, die diesen Veränderungen gerecht werden.
Mit „Office Space for Teams“ gewinnen wir unseren ersten Wettbewerb und legen den Grundstein für neue Arbeitsplatzkonzepte. Offen, individuell, innovativ, flexibel, kommunikativ und teamorientiert sind die Parameter, mit denen wir der Aufgabenstellung gerecht werden wollen. Aus einem Verwaltungsgebäude der 1990er-Jahre wird so eine neue Arbeitswelt, in deren Mittelpunkt ein kreativer und kollektiver Arbeitsprozess steht. Damit greifen wir eine veränderte Arbeitsmethodik auf und erkennen, dass wir als Architekten und Innenarchitekten den Rahmen für eine sich ändernde Arbeitskultur schaffen können.
Nach den ersten Jahren im Gemeinschaftsbüro beziehen wir 2013 unser erstes eigenes Büro. Unser Anspruch an höchste Qualität bestimmt unsere Arbeitsweise und das lohnt sich. Die Generalsanierung der Stadtwerke Karlsruhe wird zu unserem bis dato größten Projekt. Die Architektur versinnbildlicht den Wandel des Unternehmens vom traditionellen Versorger hin zu einem zukunftsorientierten Dienstleister. Unser Konzept sieht eine Zonierung des Großraums durch eingestellte Raumkörper vor. Sie kanalisieren die Personenströme, schirmen die Teambereiche ab und bieten Raum für Kommunikation, Kollaboration und konzentrierte Arbeiten.
Doch nicht nur die Frage nach der baulichen Qualität, sondern auch, wie wir unseren Anspruch innerhalb des Teams transportieren, beschäftigt uns. Dafür sitzen wir an einem „Tisch“. Unser Austausch findet im Miteinander statt. Schnell etabliert sich ein Führungsteam.
2015 ziehen wir zu fünft in die Römerstraße auf 200 m². Ein bisschen zu groß? Vielleicht ein Risiko. Aber der Mut zahlt sich aus, denn von der anfänglichen Leere und freien Platzwahl an allen Ecken wird bald nichts mehr zu spüren sein.
Mit der Fertigstellung des Innovationcenter 2.0 in Potsdam im Jahr 2016 setzen wir eine Benchmark. Das Projekt setzt Maßstäbe mit einem neuen Verständnis von agilem und flexiblem Arbeiten. Im Fokus steht die Zusammenarbeit in einem kreativen Umfeld. Unsere Lösungen weisen den Weg für viele weitere zukunftsorientierte Bürokonzepte. Im Austausch mit Start-ups und Universitäten adaptieren wir neuste Erkenntnisse aus Innovationsprozessen in ein räumliches Konzept. Es entsteht eine große „Werkhalle“, deren Grundriss dem Entwicklungsprozess der Software folgt. Kreativräume für die ersten Ideenfindung, Projekträume für die Entwicklung von Prototypen und Teambereiche, die lediglich durch eingestellte Besprechungsräume zoniert werden, bestimmen den Grundriss. Die Idee geht auf und unser Konzept macht Schule. Je individueller die Gestaltung, desto stärker ist die Identifikation derer, die sich im Raum bewegen. Und das trägt sich nach außen. Der Raum als Marke.
Mit dem Namen SCOPE setzen wir uns zum Ziel, Unternehmenskultur einen Raum zu geben. Von einer der bedeutendsten Unternehmensberatung erhalten wir den Auftrag zur Neugestaltung ihrer Räumlichkeiten. Im Dorotheen Quartier, Stuttgarts neuer Mitte, entsteht ein Büro, das untrennbar von seinem Standort und den Menschen, die hier arbeiten, geprägt ist. Die Frage nach der Kultur des Standorts und des Unternehmens bestimmt unseren Gestaltungsprozess. Frei nach unserem Credo, in der Kommunikation liegt der Ursprung der Innovation, gestalten wir ein Konzept, an dem alle Berater zusammen an einer riesigen Tafel sitzen, umgeben von einer Vielzahl von kleinteiligen Rückzugsorten, die für vertrauliche Gespräche zur Verfügung stehen.
2019 leitet das Ende der Römerstraße ein. Mit fast 30 Mann auf 200 m² fühlen wir uns inzwischen wie die Sardinen in der Dose. Wir geraten mit unseren Bedürfnissen nach Kommunikation, Konzentration und Kollaboration an unsere Grenzen. Wir müssen hier raus.
Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Bei rund 30 MitarbeiterInnen gibt es auch mindestens so viele Wünsche zu Standortwahl und Ausstattung unseres neuen Büros. Wir wünschen uns Entfaltungsmöglichkeiten und das am liebsten zentral, denn wir sind echte Stadtsardinen. Schlussendlich entscheiden wir uns für Stuttgart Mitte. Dass wir für uns selbst gestalten, wird in der Rosenbergstraße 28 auf 550 m² mit agilen Arbeitsplätzen sichtbar.
2019 übergeben wir das Bürogebäude WDF49 an seinen Bauherrn, die SAP. Mit den Leitlinien Offenheit, Transparenz und Kommunikation verdeutlich der zukunftsweisende Entwurf den Kollaborationsgedanken moderner Arbeitswelten und fördert gleichermaßen die „horizontale und vertikale“ Kommunikation einer teambasierten Unternehmensstruktur. Zentrales Augenmerk ist die großzügige Freitreppe, die von Erdgeschoss bis Obergeschoss reicht und die im Split Level angelegten Open Space Bereiche verknüpft. Damit steht sie als Sinnbild für eine funktionale Verknüpfung von Arbeitsprozessen und Abläufen. Hier wird Kommunikation erlebbar.
Und die Zukunft?
Wir wurden in den letzten Monaten sehr oft gefragt, was sich in der Zukunft verändern wird und was diese Veränderung für uns als Büro mit sich bringt. Die Welt wird in Zukunft eine hybride sein. Wir erleben eine Verschmelzung des Digitalen und Physischen. Je mehr Gewicht die Digitalisierung erlangt, desto mehr muss sich die Architektur ändern. Der physische Raum erlangt eine veränderte Bedeutung. Es wird unsere Aufgabe als ArchitektInnen sein, diese Veränderung zu gestalten und ihr eine Bedeutung zu verleihen. Als Büro bietet uns diese Veränderung auch Chancen. Viele Unternehmen, die versucht haben, diesen Wandel zu ignorieren, werden gezwungen sein, zu handeln und nicht nur ihre Kultur, sondern auch ihre gebaute Umwelt dieser Veränderung anzupassen. Der Markt verlangt nach architektonischen Konzepten, in denen eine ganzheitliche Betrachtung aller Faktoren, die unsere Welt so radikal verändern, Berücksichtigung finden.
Diesen Wandel erleben wir gerade in Echtzeit. Waren Projekte noch zu Beginn des Jahres auf 600 oder mehr Arbeitsplätze ausgelegt, weicht nun ein Teil dieser Plätze dem „neuen Raum“, der notwendig ist, den Wandel zu gestalten. Darunter verstehen wir Raum, der weniger feste Arbeitsplätze erfordert, sondern die wachsende Bedeutung des Büros als Ort der Kommunikation und Kollaboration verdeutlicht.
Die Akzeptanz für das Home-Office wächst und wird auch nach der Krise nicht verschwinden, bringt diese Art der Arbeit doch eine höhere Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit mit sich. Für sachbezogene Arbeiten wird das Büro seinen Stellenwert verlieren. Hierfür wird das Home-Office oder der Co-Working-Space die Erweiterung des Büros darstellen. Wir sind jedoch überzeugt, dass das wichtigste Gut des Menschen in seiner Fähigkeit zur Innovation und zum Fortschritt liegt und ein kreativer Denkprozess in den seltensten Fällen isoliert am Küchentisch stattfindet. Gerade als ArchitektInnen schätzen wir die Vorteile eines gemeinsamen, kommunikativen Kreativprozesses sehr und sind der Auffassung, dass dieser auch fester Bestandteil einer fortschrittlichen Unternehmenskultur bleiben muss.
Der Flächenanteil für solche prozessorientierten Räume wird in Zukunft steigen. Um die Schnelligkeit des Wandels nicht zu unterschätzen, dürfen wir als Architekten nicht in tradierten Denkmustern verharren, sondern müssen offen für neue Ideen sein oder sogar Ideengeber für den Wandel unserer gebauten Umwelt. Die Transformation unserer Arbeitsorte findet vor allem in bestehenden Strukturen statt. Die Gebäude vieler Unternehmen stehen zurzeit leer. War noch vor einem Jahr der Neubau das Mittel, um Wachstum innerhalb einer Organisation zu ermöglichen, steht nun die Transformation der Bestandsimmobilien im Vordergrund und ein Wachstum innerhalb der bestehenden Strukturen wird möglich. Freiwerdende Flächen müssen entsprechend umgenutzt werden. Gerade im urbanen Kontext erfordert dieser Umbruch neue Ideen und bietet Chancen, unsere Innerstädte wieder zu beleben und vielleicht sogar bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dabei wird die Diversität der Konzepte eine entscheidende Rolle spielen, sowohl bei der Umnutzung von Büroimmobilien als auch bei der Revitalisierung von Einzelhandelsflächen, die nicht mehr den Stellenwert innehaben, den sie lange Zeit in unseren Städten hatten. Auch hinsichtlich eines nachhaltigen Bauens macht die Umnutzung bestehender Strukturen Sinn, sparen wir doch pro m³ verbauten Beton 500 kg CO2. Der Abriss sollte also entgegen gängiger Praxis zur Ausnahme werden. Wir sehen darin auch eine große Chance als Büro, das es zum einen versteht, die Entwicklungen unserer Zeit zu deuten und zum anderen aus diesen Entwicklungen nutzerorientierte Konzepte sowohl im Bestand aber auch im Neubau zu realisieren.