Viel in Bewegung
Haus der Jugend, Hamburg-Wilhelmsburg

Viel Bewegung drückt das neue Jugendhaus der Architekten Kersten+Kopp in Hamburg-Wilhelmsburg aus und mit Bewegung hat es viel zu tun. Mit ihm entstand ein neuer Typus von Jugendhaus, in dem Jugendliche sich nicht nur treffen und miteinander kommunizieren, sondern sich auch auf vielfältige Weise sportlich betätigen können.

Ein Basketballplatz, eine Kletterwand, ein Fitnessraum, eine Skaterbahn und noch viel mehr bietet das neue Haus in Hamburg. Kompakt musste es sein, aber auch vielen unterschiedlichen Funktionen gerecht werden, die sich hier von der außerschulischen Betreuung über Freizeitangebote bis hin zum Quartierszentrum erstrecken. Und dies im Stadtbezirk Wilhelmsburg, einem Arbeiterbezirk, in dem heute viele Immigranten und ihre Kinder ­leben.

In einer Randzone des Ortsteils Kirchdorf zwischen hohen Siedlungs­bauten und Einfamilienhäusern wollte man 2005 mit einem offenen Wettbewerbsverfahren für ein Jugendhaus ein Zeichen des Aufbruchs setzen. Und Zeichen setzt das von Minka Kersten und Andreas Kopp geplante Haus. Von Süden nach Norden steigt sein Volumen mit der großen, dynamischen Geste eines mehrfach abgekanteten Keils an, um unter sich viel Außenraum für ein Basketballfeld zu schaffen, das nun abends effektvoll beleuchtet wird. Dabei wan­delt sich materialreich seine Erscheinung von Metall zu Beton, womit es ganz nebenbei ­seinem Nachbarn der brutalistischen Maximilian-Kolbe-Kirche Referenz erweist.

Als eine Art Tor zum kleinen Park an der Schönefelder Wettern will es verstanden werden; dort, wo sich sein Vorgänger-Proviso­rium befand. Unterschnitten und eingeschnitten wurde sein Volumen, das zur Stadtseite überaus demonstrativ mit seinen Sportan­geboten wirbt. Der gewaltige Einschnitt im Süden gibt den Blick frei auf eine Skaterbahn, die dem Haus vorgeschaltet wurde, aber immer wieder hinter den Metallpanelen des Hauskörpers verschwindet. Eingerahmt von einem kleinen Wald schräger Betonstützen gibt wiederum das sechs Meter hohe Basketballfeld den Blick frei auf den Park, aber auch zu den Lern­räumen darüber, durch die zwei Lichthöfe gestanzt wurden. Gegenüber ihrer metallisch-gläsernen Glätte erscheint dabei im Norden der rein aus einer Subtraktion ­gewonnene Kletterturm mit seinem rauen Beton wie eine Skulptur von André Bloc.

Minka Kersten und Andreas Kopp wagten ein Spiel der Ver- und Enthüllung, das die Grenzen von Außen und Innen in Abhängigkeit vom Material definiert. Metallisch verkleidet und damit verhüllt sind alle ihre Flächen zum Außenraum, während das Innere, der Kern dazu bewusst als Kontrast in Beton definiert wurde. Der Kletterturm erscheint hinter der Bolidenhaut weniger als eine Außenfläche als das weiche, überraschend wie ebenso demonstrativ nach Außen gestülpte Innere eines Hauses, das erkannt und enträtselt werden will.


Beton trägt

Für seine Konstruktion wurde eine komplexe Collage heterogener Tragsysteme und -elemente entwickelt. Für den dreigeschossigen Südteil setzte man auf tragende und aussteifende Stahlbeton-Wandschotten und Flachdecken. Über das Basketballfeld spannt sich eine Stahlbeton-Hohldeckenkonstruktion, deren Unterseite weitgehend dem Kräfteverlauf folgend gevoutet und auf Stahlbetonfertig-stützen aufgelagert wurde. Zur Aufnahme der Skaterbahn kragt die Hohldecke zur Stadtseite aus, auf die die Skaterbahn als Ortbetonvorsatzschale elastisch aufliegt. Die Halfpipe der Skaterbahn wurde mit zwei Betonfertigteilen eingehängt. Zur Gewichtsreduzierung wurden die Stützen im Obergeschoss des Lerntraktes als Stahlverbundstützen ausgeführt, welche in die Dachkonstruktion eines Stahlträgerrosts überleiten, in den Porenbetonplatten eingelegt sind. Zwischen Ortbeton und Fertigteilen wechselt die Konstruktion beständig, die zudem sehr unterschiedliche Oberflächenbehandlungen erhielt. So schuf am Kletterturm Spritzbeton eine griffige, ­expressive Oberfläche. Viele andere Flächen wurden in Sichtbetonklasse 2 ausgeführt, ­deren kalkulierte Rauheit der Schalung an die Oberflächen der Siebziger Jahre erinnert. Im Bereich der Skaterbahn erhielt die Betonstruktur eine rote Lasur, welche vierfach aufgetragen dem Beton eine Samt ähnliche Erscheinung verleiht. Farbe als Gestaltungsmittel kam großzügig zum Einsatz, wie bei den lackierten MDF-Verkleidun­gen im Innern oder den neongrün lackierten Aluminiumpanellen entlang der Lichthöfe. Frech, effizient und undogmatisch ist diese Architektur, die der Jugend im heterogenen Wilhelmsburg unübersehbar einen Ort eigener Präsenz und Maßstäbe verschafft.

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