Kaspar Kraemer Architekten über ihre Erfahrungen mit virtueller Darstellungstechnologie im Büroalltag

Virtual Reality und Augmented Reality in der Planung

Der Einsatz von VR-Brillen oder Tablet-PCs, mit denen der Bauherr durch ein 3D-modelliertes Gebäude schweift oder die Verbindung von echtem Baugrundstück und digitalem Planungsmodell, sind dabei nur der Anfang. In wenigen Jahren wird der Bauherr die sogenannten „walkthroughs“, also das Laufen durch das virtuelle Gebäudemodell, als Standard von einem fortschrittlichen Architekturbüro erwarten. Es ist also Zeit, sich einmal umzuschauen: Welche VR- und AR-Anwendungen im Architekturbüro sind bereits möglich und wo liegt ihr Nutzen für den Architekten und das Projekt?

Virtual Reality (VR) hat ihren Ursprung in den ers­ten 3D-Fotoaufnahmen, die fast so alt sind, wie die Fotografie selbst. Mit einer speziellen Brille, im passenden Abstand vor die Augen gehalten, verschmelzen zwei perspektivisch leicht verschiedene Bilder im Gehirn zu einem Stereobild. So gesehen hat sich seit fast 180 Jahren nicht mehr viel bis zur heuten virtuellen Realität verändert: Moderne VR-Anwendungen nutzen ebenso das Einspielen von zwei Bildern über den Monitor einer VR-Brille, die dann zu einem stereoskopischen Bild in unserem Kopf „montiert“ werden.

VR-Technik wird alltagstauglich durch die Spieleindustrie

Was bei spieleverrückten „Gamern“ längst etab­liert ist, die VR-Brille, kommt nun langsam in der Architektur zum Einsatz. Die Technik, die Software dahinter, ist im Prinzip die gleiche wie in einem 3D-Spiel. Das stellt Oskar Molnar heraus, BIM-Manager bei Kaspar Kraemer Architekten in Köln. Das renommierte Büro plant seit 2012 modell­orientiert, setzt seit gut fünf Jahren VR und in den letzten drei Jahren immer wieder AR in Projekten ein. Eine 3D-Planung ist dabei stets Basis für den Einsatz von VR. Oskar Molnar zu den Beweggründen: „VR vereinfacht die Abstimmungen, denn nicht alle Bauherren können 2D-Pläne lesen. VR hilft, unsere Entwurfsideen für sie greifbarer und erlebbarer zu machen.“

Virtual Reality schafft Verständnis für den Entwurf

VR kommt bei Kaspar Kraemer Architekten bereits in der Wettbewerbsphase zum Einsatz. Da das Büro ­jedes Projekt in Archicad 3D-modelliert, ist es einfach, einen Animationsfilm auf Basis des Entwurfsmodells zu erstellen. Ohnehin sind umfassende Visualisierungen oder Filme für Wettbewerbseinreichungen inzwischen der Standard. Für die Präsentation beim Bauherrn nimmt Oskar Molnar dann gerne die VR-Brille mit: „Wir legen sie demonstrativ auf den Besprechungstisch, nur so als Option. Dann fragen die Bauherren, wofür die Brille dort liegt – und wollen damit direkt durch unser Modell laufen.“ Hinzu kommt, dass der VR-Einsatz inzwischen durch verschiedene kostenfreie Viewer wie BIMx oder spezielle Lösungen für die digitale Bemusterung, z. B. Twin­motion, für den Architekten großen Nutzen bedeuten kann. Ein Beispiel: War früher für eine Fassade ein bestimmter Ziegel geplant, ließ sich die Anmutung in der Fläche nur schwer darstellen. Hierfür wurden dann Musterfassadenflächen aufgemauert und über den passenden Ziegel erst endgültig am Rohbau entschieden. Mit einer digitalen Bemusterung ist dies sehr viel einfacher: Das Modell wird mit der entsprechenden Oberfläche und dem passenden Fugenbild „belegt“ und der Bauherr kann „vor dem virtuellen Gebäude stehend“ die optische Qualität bemustern.

Selbst Flächen von mehreren hundert Quadratmetern oder größer sind im VR-Modus simpel darzustellen. Hinzu kommt, dass die Entscheidung für die Fassadenbekleidung deutlich früher im Planungsprozess fällt. Eine kurzfristige Änderung, z. B. von einer Ziegel- zu einer Naturstein- oder Holzfassade, ist mit wenig Aufwand möglich oder kann direkt beim Bemusterungsgespräch als ergänzende Variante vorgestellt werden. Kostensteigerungen durch höhere Materialpreise einmal ausgenommen, schafft dies zügig Klarheit über den Preis der Fassadenbekleidung – einem Bauteil, das nicht unerheblich für die Gesamtbaukosten ist. So erreichen die Architekten bei Kaspar Kraemer eine hohe Kos­tensicherheit, die bereits in der Entwurfsplanung entsteht und nicht erst mit der Ausschreibung.

Problemlöser in der Zusammenarbeit mit den Fachplanern

Ein weiterer Aspekt, der für den Einsatz von VR spricht, ist die Einbindung als Werkzeug in einem fachübergreifenden, kollaborativen BIM-Planungsprozess. Kritische Punkte innerhalb der Planung, die durch das Zusammenführen der verschiedenen Fachmodelle in Archicad im Gebäudemodell sichtbar werden, löst Oskar Molnar unter anderem mit der VR-Brille: „Ein Klimagerät beispielsweise erscheint auf einem 2D-Plan und am Monitor nur als Rechteck. Im virtuellen Raum sehen wir dann: So, wie aktuell geplant, ist es ein störendes Element. An der Integration in den Entwurf müssen wir also gemeinsam weiterarbeiten. Lichteinfall und Reflexionen, Materialität, Tragkonstruktion oder die Dimensionen von TGA-Einbauten lassen sich schnell visualisieren und bewerten.“

Augmented Reality macht Unsichtbares sichtbar

Augmented Reality (AR) bedeutet das Überlagern von realer Umgebung mit ergänzenden, virtuellen Informationen, die übrigens nicht nur die Augen als Sinnesorgane ansprechen können. Einige Anwendungen verwenden wir bereits im Alltag, beispielsweise Kartendienste, die die Smartphone-Kamera einsetzen, um eine Zu-Fuß-Routenführung in das Handydisplay einzublenden. Autohersteller nutzen AR, um auf der Pkw-Frontscheibe die Abbiegespuren anzuzeigen oder auf sogenannten Head-up-Displays die gefahrene Geschwindigkeit sowie weitere Informationen in das Fahrersichtfeld zu bringen.

Auch hier bleibt festzustellen: AR ist nichts Neues. In der Flugzeugtechnik kommt sie seit den 1990er- Jahren zum Einsatz, ebenso beim Militär – und wie schon VR erfreut AR die Spieleindustrie und die Gamer (Pokemon go, 2016, Harry Potter: Wizards Unite, 2019). Die Anwendung im Baubereich ist ebenso möglich wie bei VR. Mit einer Einschränkung: Es muss konsequent modellorientiert gearbeitet werden und sämtliche Anpassungen im ­Planungsprozess sind im Gebäudemodell nachzuführen. Unter dieser Voraussetzung werden beispielsweise Installationen hinter einer Betonwand und auf dem Bau sichtbar, Revisionsöffnungen lassen sich verorten oder Fundamentverläufe unterhalb des Gebäudes visualisieren. Zum Einsatz kommen hier spezielle Brillen, die gezielte Informationen über ein Display beim Träger der AR-Brille einblenden. Darüber hinaus wird AR in Verbindung mit der eingebauten Kamera von Smartphone oder Tablet genutzt.

AR ist sinnvoll in der Bauausführung

Kaspar Kraemer Architekten setzen verstärkt auf Augmented Reality. Wenngleich das Büro aktuell noch im „Testmodus“ ist. Vor allem in der Bauausführung sieht Oskar Molnar Potential: „In Köln haben wir ein Projekt mit 198 Bohrpfählen und prüfen, wie wir die Lage und Bauausführung mit der Hololens gegenchecken können. Die Bauleiter vor Ort bekommen das natürlich mit. Sie sehen, was da möglich wird und wollen es nutzen. Ein Bauleiter müsste zukünftig keinen Ordner mehr über die Baustelle tragen, sondern kann sich alle relevanten Infos auf die Brille projizieren lassen. Er hat so beide Hände bei der Arbeit frei. Es gibt bereits einen Anbieter, der Bauhelme mit kombinierter AR-Brille verkauft. So etwas wird es in den nächsten Jahren immer häufiger geben.

Direkte AR- und VR-Schnittstellen in Planungsprogrammen

Die Prognose von Architekturbüros, die bereits verstärkt auf VR und AR in Planung und Bauausführung setzen, geht von einer simpleren Anbindung an die BIM-Planungssoftware aus. Direkte, synchrone Schnittstellen, wie sie Archicad beispielsweise für Twinmotion bietet, erleichtern die Verwendung von Virtual Reality oder Augmented Reality enorm. Oskar Molnar sieht die Vorteile einer solchen Live-Schnittstelle: „Die Modelle lassen sich direkt auf die Brillen schicken, ganz ohne Umwege und Zeitverzögerung. Mit einem Gestenhandschuh sind dann Änderungen direkt im VR-Modell möglich. Das erleichtert zusätzlich die Arbeit von interdisziplinären Teams, die im virtuellen Raum dezentral an einem Modell planen.“

Die Zukunft rückt ein Stück näher

Diese Idee mag wie ein noch ferner Ausblick erscheinen: Fachplaner und Architekten, die auf der ganzen Welt verteilt und gleichzeitig an einem Gebäudemodell im virtuellen Raum arbeiten. Eine solche Arbeitsweise ist aber nur so lange nicht Realität, solange die nötigen Werkzeuge (Datenhandschuh, AR- oder VR-Brille) noch teuer sind. Diese technischen Werkzeuge werden jedoch immer günstiger und leistungsfähiger. Im Maschinenbau- oder Automobilbau finden dezentrale, virtuelle Designprinzipien bereits länger Anwendung. In der Architektur bieten sich sowohl VR als AR als Werkzeuge an, um einerseits die Entwurfsqualität mit Virtual Reality visuell und realitätsnah darzustellen sowie die Bemusterung zu erleichtern. Andererseits kann Augmented Reality die Bauausführung und den anschließenden Gebäudebetrieb nachhaltig unterstützen.

Tim Westphal fürGRAPHISOFT Deutschland GmbH
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