„Vorfertigung kann den Bauprozess erleichtern und optimieren“
Schon der Begriff „Studentenwohnheim“ weckt Assoziationen: winzige 11 m²-Boxen, die sich um gemeinschaftliche Badezimmer und Küchenzeilen gruppieren, abblätternder Putz und flackerndes Neonlicht – das alles in einem kostengünstigen Plattenbau untergebracht. Nicht mehr zeitgemäß, dachten Christian Lehmkuhl und Christian Straube und widmeten sich in ihrer Diplomarbeit dem studentischen Wohnen. Ergebnis waren die „Interactive Adaptive Moduls“, ein
adaptives, modulares Wohnsystem für den angehenden Akademiker von heute.
Ihr Entwurfsansatz besteht aus den drei Leitmotiven Mobility, Network und Mass Customization. Erläutern Sie uns bitte das Konzept.
Ausgehend von einer umfassenden Bestandsaufnahme der existierenden Lösungen im Bereich des studentischen Wohnens wurden die gesellschaftlichen und hochschulpolitischen Entwicklungen und ihr Einfluss auf die Lebensrealitäten der Jungakademiker analysiert. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse wurden in drei Leitmotiven – Mobility, Network & Mass Customization – manifestiert, welche programmatisches und gestalterisches Leitwerk für den weiteren Entwurf sein sollten. Die Anwendung der thematischen Agenda auf unterschiedliche Prinzipien des Wohnens mündete in der Entscheidung für eine modulare Bauform und generiert eine örtlich flexible Lösung mit geringer temporärer Bindung. Die Integration soziologischer Werkzeuge, wie Sinusstudien und Bedarfsanalysen, führte zu vertieften Kenntnissen über die potentiellen Nutzer und ihre spezifischen Anforderungen.
Die Kategorisierung und Verknüpfung dieser Bedürfnisse mit einem Katalog zuvor definierter räumlicher Entsprechungen resultiert in einer Matrix von 108 ineinander überführbaren Varianten des Wohnmoduls. In Abhängigkeit von seiner Ausformung hat jede Box dabei ein bestimmtes Maß an Konnektivität, welches es ihm erlaubt, unterschiedliche Verbindungen mit anderen Modulen einzugehen und dabei – auf Kosten des kollektiven Gebrauchs – räumliche oder funktionale Erweiterungen zu etablieren. Dieses Prinzip der Verknüpfung objektiver Vorteile mit positivem sozialen Verhalten dient als Anreiz zur schnellen und einfachen Bildung persönlicher Netzwerke.
Auch für den Innenraum haben Sie ein System entwickelt, wie sieht dieses aus?
Um die Umsetzung der Multioptionalität über die Objekthülle hinaus zu gewährleisten, wurde ein Innenraumkonzept entwickelt, welches auf Grundlage eines pneumatischen Systems die Ausformung des Interieurs mittels eines beweglichen Mäanders erlaubt. Verschiedene Settings ermöglichen hierbei nicht nur die freie Gestaltung des Individualraumes, sondern sind auch Grundlage der möglichen Vernetzung der einzelnen Module miteinander. Additive Elemente, bestückt mit pneumatischen Muskelpaaren, bilden die Grundlage dieser wartungsarmen und kostengünstigen Konstruktion. Das Ansprechen der Komponentenkette erfolgt über eine integrierte Steuereinheit, welche sowohl vorprogrammierte Einstellungen als auch die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung anbietet.
Vorfertigung und Individualität – wie lassen sich diese beiden Charakteristika miteinander verbinden?
Vorfertigung ist eine Variante des Produktionsprozesses, die gewisse Vor- und Nachteile beinhaltet, letztendlich aber Bauteile hervorbringt. Wenn man die Fertigungstoleranzen bei der On-Site-Production nicht als Merkmal der Individualität betrachtet, geht nicht unbedingt etwas verloren. Die Krux liegt in der bisweilen mit der Präfabrikation verbundenen (Groß-)Serienherstellung. In unserem Projekt wird die Mass Production durch die Mass Customization ersetzt, um individuellen Bedürfnissen zu entsprechen. Bei der Umsetzung dieses Prinzips kommen sowohl adaptive Konzepte als auch Baukastensysteme in Betracht, die beide Charakteristika in sich vereinen können.
Wird sich das Aufgabenfeld des Architekten durch Vorfertigung verändern?
Vorfertigung kann den Bauprozess in vielen Belangen optimieren, Bauzeiten können reduziert und Qualitätsstandards erhöht werden. Allerdings sind im Gegensatz zum Automobilbau die Entwicklungskosten sowie das Produktionsvolumen zu gering und die spezifischen Anforderungen zu hoch, um großflächig auf standardisierte Serienelemente zu setzen. Damit bleibt der Entwurfsprozess hoch komplex und individuell sowie der Architekt mit seinem Aufgabenspektrum weiterhin unverzichtbar. Allerdings werden dem Architekten durch den Einsatz projektspezifischer, vorgefertigter Bauteile zusätzliche Planungskompetenzen bei der konstruktiven Entwicklung und organisatorischen Integration der entsprechenden Elemente abverlangt.