Was Nachhaltigkeit ist
Prof. Dipl.-Ing.
Ludwig Rongen zum Thema „Nachhaltiges Bauen“
Seit ich Architekt bin (wahrscheinlich war es auch schon früher so, und ich habe es nur nicht so deutlich wahrgenommen?) wurden in gewissen Zeitabständen immer neue Schlagworte zum Inbegriff für modernes, zeitgemäßes oder zukunftsweisendes Bauen. War es Anfang der 80er Jahre das „Kosten- und flächensparende Bauen“, kam danach das „Ökologische Bauen“ und zeitweise auch das „Bauen nach Feng Shui“, so ist es heute das „Nachhaltige Bauen“.
Im Brockhaus heißt es unter Nachhaltigkeit: „Forstwirtschaft, ein Bewirtschaftungsprinzip, das dadurch charakterisiert ist, dass nicht mehr Holz geerntet wird, als jeweils nachwachsen kann“. „Nachhaltige Entwicklung (engl. sustainable development), eine ökonomische, soziale und ökologische Entwicklung, die weltweit die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne die Lebenschancen künftiger Generationen zu gefährden.“ Unter Architektur heißt es im Brockhaus: „Unter Architektur versteht man im Allgemeinen den Hochbau, in dem sich, im Unterschied zum Tiefbau, Zweckerfüllung mit künstlerischer Gestaltung verbindet.“
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist inzwischen in aller Munde, und das ist auch gut so! Aber: Nachhaltigkeit ist längst auch als Schlagwort zur gezielten Vermarktung nicht unbedingt immer nachhaltiger Produkte entdeckt worden. Nachhaltigkeit im ursprünglichen Sinne hat aber nichts mit der Steigerung des Konsums zu tun, im Gegenteil: Es geht darum, Ressourcen zu schonen, und dazu ist es in erster Linie notwendig, den Konsum unserer überlebensnotwendigen Ressourcen in Grenzen zu halten.
Die Gefahr, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ zu einer inflationären Worthülse verkommt, ist inzwischen mehr als gegeben. Auf dem „Fundament der Nachhaltigkeit“ gründen inzwischen weltweit zahlreiche Zertifizierungssysteme, die sich zum Teil gegenseitig heftigste Konkurrenz machen und so immer neue, teils objektiv nicht messbare Bewertungskriterien erfinden. Sie wollen eben auch ihren Marktanteil steigern. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben und diese Systeme im Einzelnen bewerten zu wollen, sind dies international unter anderem LEED (USA), HQE (Frankreich), MINERGIE (Schweiz), BREEAM (England), CASBEE (Japan). In Deutschland wären das beispielsweise das von der dena (Deutsche Energieagentur) seit dem 1. Oktober neu kreierte „Energieeffizienzhaus“ und das „Deutsche Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen“, das für sich den Anspruch erhebt, das „beste System auf dem Globus“ zu sein.
Welches Zertifizierungssystem wir Architekten unseren AuftraggeberInnen auch immer empfehlen: Für uns sollte es dabei immer um „Gute Architektur“ gehen, wobei zu klären wäre, was unter „Gute Architektur“ zu verstehen ist. Gute Architektur hatte schon immer den Anspruch, mehr als nur oberflächliches Design zu verkörpern. Gute Architektur war schon immer eine möglichst optimale Synthese aus Funktion, Konstruktion, Ökonomie, Ökologie, Wohlbefinden der Nutzer und vor allem durch ihre ästhetische Qualität ausgezeichnet. Gute Architektur hat auch immer schon Lösungen auf Herausforderungen ihrer jeweiligen Zeit angeboten. Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist es, den weltweiten Energieverbrauch drastisch zu senken, und es kann auch keine Lösung sein, aufzuzeigen, wie künftig möglichst billig Energie produziert werden kann, wenn dabei nicht auch der Schwerpunkt auf wirkliche Nachhaltigkeit gelegt wird.
Am eindrucksvollsten wird dieses Ziel für mich aktuell durch das „Passivhaus“ verfolgt. Hierbei geht es in erster Linie um die Reduzierung von Energieverbrauch und nicht um irgendwelche Wachstumsraten, und ganz nebenbei wird ohne jegliche Zusatzmaßnahme auch noch der Aufenthaltskomfort für seine Nutzer verbessert. Beeindruckend, dass auch Passivhäuser selbstverständlich zertifiziert werden können, aber nicht müssen, um sich so nennen zu dürfen; Indiz für mich, dass Prof. Dr. Wolfgang Feist, Passivhausinstitut Darmstadt, es ehrlich meint mit seinen gesteckten Zielen.
Der Architekt
Ludwig Rongen, geboren 1953, Techn. Zeichner, Maschinenbau, 1973-1977 Konstrukteur im Maschinenbau. Studium an der FH Aachen und der RWTH Aachen je mit Diplom. 1982 Gründung des eigenen Architekturbüros (seit 1992 gemeinsam mit Dipl.-Ing. Architekt Friedhelm Lindgens und Dipl.-Ing. Architekt Reiner Wirtz. 1992 Professur an der Architekturfakultät der FH Erfurt (Baukonstruktionslehre mit dem Schwerpunkt Altbausanierung). 1993 Aufbau des Fachbereichs Restaurierung, FH Erfurt. 2004-2006 Dekan der Architekturfakultät der FH Erfurt. 2008 Aufbau konsekutiver Masterstudiengang Master of Arts „Passivhaus +“, verantwortlicher Studiengangsleiter. Verschiedene Gastprofessuren in China. U. a. Vorstand „Deutsch-Chinesisches Kompetenzzentrum Bau“. www.rongen-architekten.de