Wie werden wir 2050 bauen?
Wir fragten Klaus Bollinger, Sou Fujimoto, Martin Haas, Hermann Kaufmann und Matthias Sauerbruch
Martin Haas (haas cook zemmrich STUDIO2050): „Unsere Welt ist im Wandel. Der steigende Wohlstand einer wachsenden Anzahl Menschen führt zu einem sprunghaften Verbrauch unserer Ressourcen. Uns dämmert, dass wir die Art, wie wir leben, ändern müssen, um unsere Lebensbedingungen zu erhalten. Die Debatte um eine verantwortbare Lebensqualität ist auch Ausdruck eines grundlegenden Gesellschaftswandels [...] Unsere Gesellschaft ist auf der Suche nach einem neuen Wertekanon und neuen Definitionen von Lebensglück. Wir suchen andere Wege des Wirtschaftens. Es gilt Mensch, Raum und Umwelt wieder in Einklang zu bringen. Es ist der richtige Zeitpunkt, vieles in Frage zu stellen. Wie werden wir 2050 bauen? Welche Art von Architektur wird 2050 gebraucht? Die Frage ob in einem Gebäude gearbeitet oder gewohnt wird ist 2050 nebensächlich. Denn der Lebensstil einer ubiquitär vernetzen Wissens- und Informationsgesellschaft unterscheidet kaum noch zwischen Beruf und Freizeit. [...] Architektur sollte „gesund sein“ und nicht nur funktionieren. Es gibt erste Erfolge in der Entwicklung reagibler Materialien. Einer Art Stoffwechsel erlaubt die Anpassung der Gebäude im Jahreswechsel wie im Austausch mit anderen Häusern. [...] Wir werden Planen und Bauen nicht mehr so trennen. Entwurfs- und Herstellprozesse sind miteinander verknüpft. „Rapidprototyoping“ erlaubt eine kostengünstige, nichtserielle Produktion in unterschiedlichen Maßstäben. Die Grenze zwischen Gebäude und Umgebung sind fließend. Unsere gesamte gebaute Umwelt ist vernetzt und erfordert neue Besitz- und Verantwortungsmuster. Gesundheit und Lebensqualität sind die Motoren dieser neuen Welt.“
Univ. Prof. Hermann Kaufmann (Architekten Hermann Kaufmann ZT GmbH): „Ich gehe davon aus, dass die Naturkatastrophen, die vorausgesagt sind, abgewendet werden konnten und dass wir eine Lösung gefunden haben, wie die Migration die gesellschaftliche und wirtschaftliche Weiterentwicklung fördert und beflügelt ohne Verlust des sozialen Friedens auf unserem Kontinent. 2050 wird das Bauen im Bestand die bauliche Hauptaufgabe sein, also die Weiterentwicklung und die Umorganisation unserer Städte und Regionen. Ressourcenschonung wird das zentrale Thema sein, es wird nur noch möglich sein, mit nachwachsenden oder recycelten Materialien zu bauen. Die Energiefrage wird nach wie vor die Architekturkonzepte beeinflussen, wenngleich die energetische Versorgung voll auf erneuerbarer Energien basiert. Die Architekten haben zurückgefunden zu ihren Wurzeln, Bauen ist Dienst an der Gesellschaft unter Beachtung aller relevanten Fragen in Bezug auf Sozialverträglichkeit und Angemessenheit der architektonischen und städtebaulichen Lösungen. Damit werden die Lösungen vielfältig werden, denn das genaue Eingehen auf den Kontext wird sehr differenzierte und regional unterschiedliche Formensprachen bewirken, der Internationalismus ist überwunden. Die nachwachsenden und regionalen Rohstoffe prägen das Baugeschehen, Holz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung wird in unseren Breitengraden der Hauptbaustoff sein, ebenfalls hat der Lehmbau in den Kontinenten Afrika und Asien endlich zurückgefunden in das normale Bauen. Die Architekten wird es noch geben und sie haben das alte baumeisterliche Selbstverständnis wiederentdeckt, denn die Bauweisen verlangen das. Und wenn das 2050 noch nicht der Fall ist, ist was schiefgelaufen.“
Matthias Sauerbruch (Sauerbruch Hutton): „Wenn alle Voraussagen zu den Fortschritten in der Medizin eintreffen, bin ich im Jahr 2050 95 Jahre alt, die Weltbevölkerung beträgt etwa 10 Milliarden und wir leben im Wesentlichen von hydroponisch hergestellten Lebensmitteln. Solar- und Windenergie haben alle anderen Primärenergieformen weitgehend ersetzt, der Verkehr funktioniert ausschließlich elektrisch. Das Neu-Bauen ist nicht mehr nur energie-, sondern vorallem auch materialbewusst geworden, Recycling, Modularität, Leichtbaukonstruktionen bestimmen das Geschehen. Bestehende Häuser dürfen nicht mehr abgerissen werden. Die Bevölkerungszahl Mitteleuropas ist trotz Geburtenrückgang um 30 % gestiegen, da nach Ansteigen der Meeresspiegel die ersten tropischen Küstenregionen mehr oder weniger geräumt werden und ganze Städte in sichere Regionen unterwegs sind. Ganze Quartiere werden aus mobilen Bauten errichtet, schwimmende Gebäude erleben einen Boom. Die Autoindustrie bietet Komplettlösungen zur mobilen Existenz an. Ich bin gerade in eine Mehrgenerationen-WG in der 20. Etage in einem Hochhausquartier am Alex gezogen, das auf modularer Basis errichtet und von jüngeren Kollegen mit einem individualisierten Erscheinungsbild versehen wurde. Auf dem ehemaligen Marx-Engels Forum wird gerade der Palast der Republik rekonstruiert.“
Sou Fujimoto (Sou Fujimoto Architects): „Die Zukunft 2050 wird wie ein lebendiger Wald sein, der aus Artefakten gemacht ist. Sie wird vielleicht ein höhlenähnlicher, schützender Ort sein, ebenfalls aus Artefakten produziert. Die Übergänge zwischen den von Menschen gemachten Dingen und der Natur werden fließend geworden sein, die Gebäude werden eher generiert als konstruiert, ihr semi-organisches Material wird erzeugt aus einer ausgeklügelt designten DNA, ähnlich einem technologisch konstruierten Korallenriff. Alles Gebaute wird in Bewegung sein und sich periodisch selbst erneuern. Häuser werden Sonnenenergie umsetzen wie die Blätter der Bäume es schon machen. Sie werden zu einer intelligenten, lebendigen Existenz geformt, die aktiv auf Jahreszeitenverläufe reagiert. Klimatisierung geschieht über atmende Oberflächen und das Licht im Haus steuert sich abhängig vom Draußen. Architektur wird sein wie eine Erweiterung der Erde, auf der sie steht, oder wie ein Zwilling der Luft, in der sie atmet. Der Begriff „Funktion” wird übersetzt in „Handlungsschichten” für kreatives Schaffen. Als ein Ort dafür wird uns die Architektur eine Landschaft der Vielfältigkeit zur Verfügung stellen. Und natürlich: Architektur bleibt der Ort menschlichen Seins mit all seinen Ausdrucksmöglichkeiten für ein erfülltes Leben weit jenseits dessen, was wir uns heute vorstellen können. Ich möchte eine solche Zukunft mitentwerfen.“
Klaus Bollinger, (Bollinger & Grohmann): „Das Bauen der Zukunft, ob nun 2025 oder 2075, kann vermutlich nur aus den letzten technischen Errungenschaften und den Erkenntnissen über endliche Ressourcen bestimmt sein. Ersteres scheint uns noch aus den Jahren vor dem ersten Weltkrieg bekannt, als es darum ging, eine neue Kultur überhaupt vorzustellen. „Die imposantesten Änderungen unseres Könnens“, hatte Peter Behrens 1910 geschrieben, „sind die Resultate der modernen Technik. Die Fortschritte der Technik haben eine Zivilisation geschaffen, wie sie so hoch in der Geschichte bisher noch nicht erreicht war, allerdings nur eine Zivilisation, aber nicht, wenigstens bis jetzt noch nicht eine Kultur.“ Die italienischen Futuristen ab 1909, der deutsche Expressionismus mit Scheerbart und Taut, die jungen Russen mit Lissitzky, Malewitsch und Rodtschenko, sie alle beschrieben damals schon in ihren Entwürfen Techniken und Materialien, die uns heute erst seit einigen Jahren faktisch zur Verfügung stehen. Neu für uns und vor allem die unmittelbar nachfolgende Generation wird aber die Frage sein, wie man in geänderten Umständen baut, so man überhaupt noch bauen will und muss. Ökologische Nachhaltigkeit und schonender Umgang mit Ressourcen sind in dieser Hinsicht Aspekte und Herausforderungen, die sich meiner Meinung nach aber mit den schon jetzt verfügbaren Mitteln der Planung und des Bauens bewerkstelligen lassen. Das Bewusstsein wächst und damit auch die Ansprüche, die Visionen und Fertigkeiten in Planung und Ausführung. Allein, es wird auch hier eine neue Kultur brauchen, diesen Anforderungen angemessen zu begegnen. Daran arbeiten wir jedenfalls schon heute, morgen und wohl auch noch in fünfzehn Jahren. Prognosen aber, das wissen wir seit Karl Valentin, sind schwierig; besonders wenn sie die Zukunft betreffen.