Wir alle haben diese Mütter gebraucht, die in „FRAU ARCHITEKT“ dargestellt werden
Im Gespräch mit Gesine Weinmiller, Berlin
Sie leitet ihr Architekturbüro Weinmiller Architekten in Berlin, lehrt als Professorin an der HafenCity Universität in Hamburg und ist Ehefrau und Mutter. 1992 wurde sie durch den zweiten Preis für den Umbau des Reichstages bekannt. Heute ist Gesine Weinmiller eine der zwei praktizierenden Architektinnen, die in der aktuellen Ausstellung „FRAU ARCHITEKT“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt präsentiert werden und hat – ihrem Charakter nach – auch zu diesem Thema eine klare Haltung.
Frau Weinmiller, Sie sind jetzt seit mehr als 25 Jahren im Architekturgeschehen. Was hat sich für Sie verändert?
Im Laufe des Berufslebens ändert sich vor allem die Eigenwahrnehmung und das Selbstbewusstsein, mit dem man am Markt auftritt. Im gesamten Baugeschehen hat sich für uns im Büro wenig geändert, weil wir von Anfang an große Projekte bauten. Dies ist zum Glück immer noch die Art und Weise, wie wir arbeiten. Es gibt ja die Bestrebungen von Investoren, Architekten nur noch als Label zu gebrauchen und dann mit Nicht-Architekten Dinge zu realisieren, weil sie denken, das wäre billiger. Mit diesen Leuten haben wir noch nicht viel zu tun gehabt.
Welche Bedeutung haben Hans Kollhoff und Flora Ruchat Roncati für Sie?
Bei Hans Kollhoff habe ich nach dem Studium gearbeitet. Im Gegensatz zum Studium in München habe ich bei Hans Kollhoff gelernt, konzeptionell zu arbeiten. Das war für mich wie eine zweite Lehre. In Zürich arbeitete ich danach als Assistentin bei Flora Ruchat Roncati, einer großartigen Frau, die leider schon verstorben ist. Sie ist für mich nach wie vor ein gutes Vorbild wie man als Frau ganz selbstbewusst seinen „Mann stehen kann“, ohne in Macherallüren zu verfallen.
Wie haben Sie dann Beruf und Kinder unter einen Hut bekommen?
Zu Zeiten des Reichstagswettbewerbs und in den Anfängen meines Büros hatte ich noch keine Kinder. Als ich Ivan, meinen späteren Ehemann, traf, waren wir beide schon so etabliert, dass jeder sein Büro weiterführte. Während der Kleinkinderphase hatten wir eine tolle Haushälterin, die uns den Rücken freigehalten hat. Und ich behaupte, dass ich dadurch die bessere Mutter gewesen bin, weil ich nicht dauernd da war. Für uns war dieser Weg die richtige Variante. Dieser Weg ist in Deutschland leider oft mit „Rabenmutter“ gleichgesetzt. In Frankreich gibt es dieses Wort gar nicht. Man braucht ein starkes Selbstbewusstsein, um solche Vorwürfe nicht so nah an sich ranzulassen. Für unsere Kinder ist die Situa-tion selbstverständlich und sie entwickeln sich zu selbstbewussten, eigenständigen Menschen.
Frauen in der Architektur …?
(lacht) Dieser Titel wäre ein echter Grund gewesen bei „FRAU ARCHITEKT“ nicht mitzumachen! Im Übrigen würde kein Mensch auf die Idee kommen, „HERR ARCHITEKT“ zu machen. Das zeigt schon die Schieflage der Thematik. Aber das haben nicht wir heute zu vertreten, sondern das ist im Grunde genommen der Versuch, etwas gut zu machen, was in den 100 Jahren vorher schiefgelaufen ist.
Ist dieser Versuch, Ihrer Meinung nach, gelungen?
Der Katalog und die Ausstellung sind prima! Der Katalog besonders, der ist wirklich lesenswert. Ich kenne mich in der Architektenszene gut aus, aber durch die Ausstellung wurde mir bewusst, dass ich von den dargestellten Frauen gerade mal ein Fünftel kenne. Das ist ein Armutszeugnis und zeigt, warum diese Ausstellung wichtig ist. Bis dato waren Frauen in der Architektur einfach kein Anliegen. So wie mich das Genderthema persönlich wenig betrifft, glaube ich trotzdem, dass dieser Katalog und die Aufmerksamkeit für die Architektinnen meiner Eltern- und Großelterngenerationen wichtig sind. Ich brauche das Thema nicht mehr, weil ich das Gefühl habe, dass wir Frauen heute die gleichen Startbedingungen haben wie die Männer.
Heißt: Sie mögen das „Mann-Frau-Denken“ in der Architektur nicht.
Wir alle haben diese Mütter gebraucht, die in „FRAU ARCHITEKT“ dargestellt werden, damit wir sagen können „Es ist uns egal“. Gender war eben vor 100 Jahren gar nicht egal. Dass das heute völlig normal ist, dass man als Architektin tätig werden kann, das haben wir diesen Frauen zu verdanken. Ich habe immer sehr lange überlegt und am Ende abgelehnt, wenn es um Genderfragen geht. Weil ich finde, dass in meinem Fall, als Architektin, mein Geschlecht keine Rolle spielt und das ist allerdings nur wegen des Kampfes unserer Mütter so.
Ist die Ausstellung wichtig?
Der Katalog ist extrem wichtig, weil die darin gezeigten Portraits ein sehr ausführliches Sittenbild ergeben: Wie hat sich eine Frau, die als Architektin tätig sein wollte, vor 100 Jahren durchgesetzt? Man lernt, dass Frauen eben lange nicht studieren durften und meist waren es besondere Lebensumstände, die ihnen zu der Zeit diesen Beruf ermöglichten. Ich glaube, dass wir in der Gesellschaft aufräumen müssen mit diversen Vorurteilen. Wir sind geschädigt von Luther und von den Nazis. Und das sage ich als ehemaliges Ratsmitglied der Evangelischen Kirche. Luther hat den Weg in die Neuzeit geprägt und viel Gutes bewirkt. Er hat aber auch die Frau in das Zentrum der Familie gesetzt und damit in ihrer Rolle als Mutter, aber auch nur als Mutter, festzementiert. Und die Nazis führten das in ihrer Ideologie weiter. Dies ist meines Erachtens ein Grund, warum sich die Deutschen so schwer tun, entspannt über Berufstätigkeit und Kinder zu reden. Uns wurde diese Haltung zur perfekten Mutterschaft in unserer Genetik eingepflanzt. In Frankreich oder Schweden würde einen jeder völlig entgeistert anschauen, wenn man sagen würde „Ich kann Beruf und Familie nicht miteinander verbinden“. Auch heute gibt es noch Stimmen, die sagen, dass es als Frau fast unmöglich sei, den Beruf auszuüben und Kinder zu kriegen. Erst vor kurzem, bei der Eröffnung der Ausstellung, schauten Almut Grüntuch-Ernst und ich uns bei einer solchen Bemerkung verwundert an, weil das Thema Beruf und Kinder glücklicherweise für uns kein Thema mehr ist – gemeinsam kommen wir auf acht Kinder.
Wie vermitteln Sie das in Ihrer Lehre? Schauen Sie da doch mal genauer hin, wenn die Jungs mit ihren tollen Entwürfen nach vorne kommen?
An der Uni ist das kein Thema. Da gibt es geniale Mädels und geniale Jungs und faule Mädels und faule Jungs. Ich selber hatte an der Uni keine weiblichen Vorbilder, an der TU München lehrten nur Männer. Neben der Lehre ist das sicher ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Ich will den jungen Frauen Mut machen, Beruf und Kinder miteinander zu verbinden. Auch wenn man nur einen Euro mehr verdient als die Haushälterin kostet, lohnt es sich, im Beruf zu bleiben.
Wo bleiben am Ende die genialen Mädels?
Es ist ungemütlich, einer Haushälterin ein neugeborenes Baby in die Hand zu drücken und um 6:20 Uhr in einem Flieger nach Düsseldorf zu sitzen. In diesen Momenten scheint es ziemlich verlockend, mit einem Baby selbstbestimmt zu Hause zu bleiben und sich nicht in ein Büro einzureihen. Nach zehn Jahren Babypause in den Beruf wieder einzusteigen, ist in fast keinem akademischen Beruf möglich. Man verliert mit der Zeit die Leidensfähigkeit, die man am Anfang einer beruflichen Laufbahn braucht. In den Berufen, in denen man genug verdient, um sich zuhause unterstützen zu lassen, ist es die Entscheidung der Frauen, diese Doppelbelastung nicht zu wollen. Ich kann aber auch jede Frau verstehen, die meinen Weg nicht attraktiv findet.
Welche Architektin hat Sie in der Ausstellung am meisten überrascht?
Ich habe mich mit Emilie Winkelmann sehr intensiv auseinandergesetzt, weil ich – ohne es zu wissen, dass sie die erste Architektin war – ihr Haus in der Alemannenallee für die Belgische Residenz vor 10/15 Jahren umgebaut habe. Jetzt, nachdem ich ihre Lebensgeschichte nachgelesen habe, hat es mich nochmal gefreut, dass ich an ihrem Erbe weiterarbeiten konnte.
Tauschen Sie und Ihr Mann, Ivan Reimann, sich beruflich aus?
Joa … (lacht) Wir haben ein sehr entspanntes berufliches Nebeneinander. Wir unterstützen uns gegenseitig, wo wir können und auf der anderen Seite macht jeder sein Ding. Ein gemeinsames Büro würde nicht funktionieren, weil wir sehr unterschiedlich arbeiten. Aber die gebauten Projekte haben durchaus eine ähnliche Haltung.
Wie würden Sie ihre eigene Haltung beschreiben?
Es geht immer darum, die klarste Lösung zu finden. Und um mit Karl Valentin zu sprechen: „So einfach wie möglich, aber nicht einfacher“.
Mit Gesine Weinmiller unterhielt sich DBZ-Volontärin Mariella Schlüter am 8. November 2017 in Berlin. Die Büros von Weinmiller Architekten und Müller Reimann Architekten liegen beide im „Bayer-Haus“ am Kurfürstendamm, sodass auch Herr Reimann kurz vorbeischaute.