„Wir bellen am falschen Baum“
Im Gespräch: Dr. Ilka May, LocLab Consulting GmbH

Stimmungsbarometer Digitalisierung in Deutschland / im europäischen Umfeld
Im Gespräch: Dr. Ilka May, LocLab Consulting GmbH


DBZ:  Es wird gerade viel über die Digitalisierung des Bauwesens gesprochen und geschrieben. Woran arbeiten Sie aktuell in diesem Bereich?

Ilka May: Wir arbeiten bei LocLab daran, Betreibern sowie Bauherren objektbasierte, digitale 3D-Modelle von Bestandsgebäuden und Bestandsbauwerken, aber auch ihrer technischen Anlagen zur Verfügung zu stellen. Unser Fokus liegt weniger auf dem Planen und Bauen von etwas Neuem oder dem Umbau des Bestehenden, sondern mehr auf den operativen Prozessen und dem ganzen Lebenszyklus, um die Anlagen besser betreiben und verwalten zu können. 
Es gibt viele Unternehmen, die Datenanalysen und Prozessoptimierung auf Basis alphanumerischer Daten machen. Wir erzeugen ein visuelles 3D-„Frontend“ zum besseren Verständnis der Prozesse und Abhängigkeiten.

DBZ: Zukunftsfähig Bauen ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Digitalisierung des Bauwesens (bezogen auf die eigene Arbeit / Ihr Unternehmen)? Und ist die Pandemie Beschleuniger oder Bremsschuh für Ihre persönliche Arbeit (im Bezug auf die Digitalisierung)?

Ilka May: Eine große Herausforderung ist die fehlende Messbarkeit des Mehrwerts für den Betreiber. Es reicht nicht aus, die Nutzung von digitalen Prozessen vorzuschreiben, wir brauchen auch die passenden Business Cases dafür. Wir gehen immer davon aus, dass die Digitalisierung das Planen und Bauen effizienter macht. Das mag nicht unbedingt stimmen, die Anfangsinvestitionen sind hoch, die Frage nach der Rentabilität stellt sich schnell. Die Menschen müssen den Mehrwert messen und realisieren können. Das ist eine Frage der Strategie, und daran hapert es immer noch. In meiner Wahrnehmung wird der Begriff „BIM“ hinsichtlich des Hype-Faktors durch den des „digitalen Zwillings“ abgelöst – und ähnlich wie bei BIM versteht auch jeder unter „Digitaler Zwilling“ etwas anderes und muss sich den Mehrwert erst erschließen. Wussten vor ein paar Jahren die wenigsten Kunden, was sie von BIM wollen, bzw. wo die Wertschöpfung und der Mehrwert für sie liegen, verstehen sie heute, was der Wert des objektbasierten Modells ist, inklusive der Datenverknüpfungen z.B. in SAP. So langsam verändern sich die Use Cases und damit auch die Geschäftsmodelle. Das ist gut, aber es geht sehr langsam.

Eine weitere Herausforderung ist immer noch die Nutzung von Daten. Sie nur zu erheben, erzeugt noch keinen Mehrwert, man muss sie auch einsetzen. Da stehen dann häufig technische Möglichkeiten oder kommerzielle Anreize im Konflikt mit Datenschutz und Datensicherheit. Nehmen wir das Beispiel der Stadtplanung. Die Planung und der Bau erzeugen zunehmend BIM-Modelle und übergeben Bauwerke wie Schulen, Universitäten, Bahnhöfe, Krankenhäuser oder Gefängnisse an die Gesellschaft. Die Stadtplanung und die öffentlichen Bauherren, die sich zunehmend Gedanken um „smarte“ und nachhaltige Städte und Mobilität machen, müssen sich die Frage stellen, ob die Menschen die Gebäude und Orte so konsumieren und frequentieren, wie es in den ursprünglichen Studien zu Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit mal angenommen wurde. Dazu könnten sie beispielsweise anonymisierte Daten der Telekommunikationsanbieter nutzen, um die Nutzerströme im Stadtraum einzubeziehen. Die Erkenntnisse müssten dann in die nächste Planung oder Umplanung für ein Gebäude oder die städtische Infrastruktur einfließen. Für diese sogenannten „Feedback-Loops“ gibt es aber noch zu wenig Mechanismen, vielleicht auch weil der Lebenszyklus von Bauwerken sehr lang ist.   
Als weitere Herausforderung ist zu nennen, dass die Digitalisierung oft als etwas Technisches wahrgenommen wird. Was die zügige und umfassende Digitalisierung gerade im Bereich Planen und Bauen verzögert, sind aber viel mehr die geltenden Vergabe- und Vertragsgepflogenheiten, analoge Prozesse und die fehlende Anpassung von Standards. Wenn diese Dinge dann einmal geändert und an eine digitale Welt angepasst wurden, müssen sie noch kommuniziert, verbreitet, geschult und angewandt werden.
Die C19-Pandemie ist eine globale Tragödie, und sie geht an uns allen nicht spurlos vorüber. Wir hatten bislang großes Glück, denn wir sind sowohl gesundheitlich wie auch ökonomisch nur gering von der Pandemie betroffen. Viele unserer Auftraggeber sind öffentliche Bauherren, und die Bauprojekte laufen weiter. Allgemein haben wohl viele Menschen durch die Krise gemerkt, dass man anders kann, wenn man es muss.

DBZ: Die Digitalisierung des Bauens bedingt umfassende Umwälzungen. Welche Unterstützung wünschen Sie sich, um die bei Ihnen anstehenden Aufgaben zu meistern? (Zeitfenster 3–5 Jahre)

Ilka May:
Was im Bereich der Digitalisierung fehlt, ist mehr Führung!
Digitalisierung ist ein hochstandardisierter Bereich. Aktuell sind diese Standards aber zu alt, sie müssen jetzt auf digitale Standards angehoben werden. Dieser Thematik muss man sich annehmen, das geschieht in meinen Augen zu langsam. Und auch nicht mit dem richtigen Verständnis. Es fehlt eine Strategie, die nicht nur Partikularinteressen bedient, sondern die das Wohl des gesamten Bausektors (mit ungefähr 10 Prozent Anteil des Bruttoinlandsprodukts) im Auge hat. Solange dieser Sektor keinen Plan hat, kann das schädlich sein für ganze Industriezweige, für viele Arbeitnehmer, für viele Betriebe. Das impliziert auch eine klare Botschaft an die Politik, denn sie gibt die Leitplanken des Handelns und die Rahmenbedingungen vor. Der Appell geht aber nicht in Richtung technologischer Innovationen oder Forschungsprojekte. Was der Bau braucht, sind Änderungen bei der Vergabepraxis und der Durchführung von Bauprojekten, zum Beispiel die Zulassung von Nebenangeboten und die Förderung von Innovation. Solange sich Planer und Baufirmen bei der öffentlichen Vergabe preislich unterbieten müssen, bis sie sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand stehen, werden sie keinen langen Atem für Innovationen bei der Durchführung von Projekten haben. Damit tut die öffentliche Hand weder ihrem Projekt noch dem Sektor Bau noch der Wirtschaft einen Gefallen.
 
Ich wünsche mir mehr Kompetenz und wieder mehr gesunden Menschenverstand. Die Technologie denkt nicht mit, die Kompetenz liegt bei mir selber; wenn ich Ingenieur bin, muss ich doch irgendwann merken, wann in der Planung der Denkfehler passiert. Ich habe erlebt, wie bei der Bestandsaufnahme einer Rückhaltewand, die seit Jahren der Beanspruchung des Geländes und eines Hangs ausgesetzt war, die Software eine kerzengerade Linie ausgespuckt hat und der Bestand von den Ingenieuren einfach akzeptiert wurde. Erst beim Abgleich mit einer Punktwolke haben sie gemerkt, dass die Software hier interpoliert und die Wand begradigt hat. Klar, in der Planung sind Wände gerade, in der Realität eben nicht. In der Annahme, dass die Technologie es richtet, entstehen falsche Kopplungen. Software wird oft genutzt, ohne zu hinterfragen, ob diese für die Fragestellung überhaupt geeignet ist. Nicht jedes Werkzeug ist universell einsetzbar.

Ich nenne es Menschenverstand, aber es ist noch mehr als das: das Ingenieurwissen, das Architekturwissen, das stadtplanerische Wissen, die ganze Kompetenz, die Erfahrung, die dahintersteht, das alles muss immer noch überwiegen. All das soll sich Daten und Werkzeuge zunutze machen. Aber vor lauter Digitalisierung dürfen wir nicht aufhören zu fragen, warum man etwas tut, und muss sich weiterhin auf Fachkenntnisse besinnen.  


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