ALLTAGSBAUTEN

Bauunkultur als Chance

Max Otto Zitzelsberger ist junger Architekt und baut seit 2011 an eigenen Projekten. Ihm scheint die Frage nach der Zukunft des Bauens leicht beantwortbar. Denn diese Zukunft ist gesichert, jedenfalls in Deutschland und da zumindest in den kommenden Jahren.

Die Folgen der Entwicklung sind bekannt. Baufirmen ertrinken in Aufträgen, Konkurrenz entsteht deshalb nur wenig. So nehmen die Baukosten mitunter erheblich zu. Die ohnehin schon enorm hohe Flächenversiegelung steigt ins Unermessliche. Politische Bestrebungen, dieses Phänomen einzudämmen, waren lange Zeit nicht vorhanden. Die Begründung dafür ist bekannt. „Wachstum“ entschuldigt immer alles. Der Baubranche ist diese Entwicklung ganz recht. Auch für mich als junger Architekt ist dies von großem Vorteil. Ein schlechtes Gewissen hinsichtlich ökologischer Folgen bleibt nahezu aus. Einige Teilbranchen sind sogar so schlau und drehen den Spieß um. Da darf man dann als Häuslebauer glauben, man würde etwas für die Umwelt tun, wenn man sein Haus gut dämmt. Ein entsprechendes finanzielles Belohnungssystem ist derart ausgeklügelt, dass der Verbraucher dies im Normalfall nicht mehr in Frage stellt. Die Bewohner solcher Häuser bauen ihre Domizile auf Grund horrender Mieten in Großstädten immer weiter weg von ihren Arbeitsplätzen. Pendlerzahlen und -strecken steigen an und die Abgas- und Lärmproblematik verschärfen sich. Der Umwelt hilft es dann auch nicht, wenn das Einfamilienhaus aus Holz gebaut ist.

Der Glaube, dass Wachstum die einzige Entwicklungsmöglichkeit unserer Gesellschaft darstellt, ist jedoch kein spezifisches Problem der Baubranche. Es ist der innerste Kern aller an der Weltwirtschaft beteiligten Gesellschaften. Man geht davon aus, dass Gesellschaften nur eine Zukunft haben, wenn sie wirtschaftlich wachsen. Man geht des Weiteren davon aus, dass dies schon immer so war. Und gerade bzgl. des zweiten Punkts wird vergessen, dass die Menschheitsgeschichte viele Gesellschaften hervorgebracht hat, die an Wachstum nicht interessiert waren und über Jahrhunderte hinweg oder auch noch länger Großartiges bewirkten.

Mehr ist besser als weniger. Groß ist besser als Klein. Neu ist besser als Alt. Das ist unser Glaubensbekenntnis. Interessant ist, dass wir aus unseren Fehlern nicht lernen.

Es gibt gut geschriebene Bücher, die intelligente Vorschläge machen, wie man aus einem derartigen Schlamassel wieder herauskommt. Doch diese Ideen fruchten nicht. Peter Sloterdijk spricht in seinem Buch „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ in dem Zusammenhang von „Nullpunktphantasien“. Er erklärt nüchtern, man hätte nun auch in „progressiven Lagern gesehen, dass das Chaos die Regel ist, von der die Ordnung die unwahrscheinlichste aller denkbaren Ausnahmen darstellt.“

Und der Glaube an große Ordnungen, die alles regeln, ist unkritisch betrachtet gefährlich. Das 20. Jhd. ist diesbezüglich getränkt von desaströsen Entwicklungen. Sloterdijk kommentiert in seinem oben erwähnten Buch: „War die Moderne das Zeitalter der Projekte, erweist sich die Postmoderne zunehmend als das Weltalter der Reparaturen.“

Genau diese Idee der Reparatur erscheint mir ein sinnvoller und zukunftsträchtiger Ansatzpunkt, um zumindest andeutungsweise den monströsen Entwicklungen der Weltwirtschaft im Allgemeinen und der Bauwirtschaft im Speziellen einen kleinen Schritt entgegenzutreten.

Wertschöpfungskette

Bei einem Projekt in der Oberpfalz habe ich exemplarisch versucht, im Sinne einer konsequenten Kreislaufwirtschaft zu handeln. Es geht um einen alten Stadel, gelegen in Kneiting, einem Dorf nördlich von Regensburg. Zunächst wurde dieses scheinbar nicht wertvolle Gebäude erhalten. Für die Morphologie des Ortes war das von zentraler Bedeutung. Denn der Ort verliert an so vielen Stellen seine stabilen Strukturen und wurde zumindest hier geschont. Das alte Holz der Bretter haben wir größtenteils wieder eingesetzt. Es wurde nur so viel neues Holz verbaut, wie unbedingt notwendig war. Dieses Holz stammt aus dem nahegelegenen Wald, wurde in einer kleinen Säge geschnitten und von regionalen Handwerkern verbaut. Das Projekt ist keine Sanierung, sondern eine Reparatur. In dem Sinne versteht es sich als „schonend“ und „bewahrend“. Nicht weil es zurück schaut und meint, früher wäre alles besser gewesen. Nein, die „Kneitinger Bretter“ stellen die Frage, ob es nicht Wahrheiten aus vergangenen Zeiten gibt, die wir weiter tragen können oder gar müssen, die wir brauchen, um in Zukunft gut leben zu können.

Zur Zukunft der Architektur

Hinter der Ausgangsfrage nach der Zukunft des Bauens steht auch die nach der Zukunft der Architektur.

Als ich im Jahre 2011 mit eigenen Projekten begann, war meine erste persönliche Erkenntnis, dass es in Anbetracht von Stararchitektur und banaler Massenbauunkultur eigentlich einer Mitte bedarf, einer „Alltagsbaukultur“, so wie es sie Jahrtausende lang gab. Und ich gebe ehrlich zu, dass ich auch eine gewisse Zeit lang geglaubt habe, so etwas ließe sich wieder realisieren. Mittlerweile habe ich diesen Gedanken verworfen. Ich bin der Ansicht, dass es in unserem Gesellschaftsmodell eine allgemeine Baukultur im Sinne von Einheitlichkeit nicht mehr geben kann.

Man muss nur sehr oberflächlich die Geschichte studieren und sich ein wenig mit postmoderner Theorie beschäftigen, um zu erkennen, wie gut es ist, dass keine einheitliche Baukultur mehr existiert. Die letzten politischen Systeme, die so etwas versuchten, waren totalitär. Daraus haben wir gelernt. Die gewonnene Freiheit führt allerdings zu einer großen Vielfalt an Auffassungen, was eben Baukultur oder auch Architektur ist oder nicht ist und an manchen Stellen sehen unsere Städte genauso aus. Sie sind bunt. Interessanterweise zeigen sie sich aber meistens banal und uninspiriert. Das ist wohl auch das Ergebnis großer Freiheit: sie überfordert.

Ein kluger Mann hat die moderne westliche Gesellschaft einmal mit einem maroden Schiff verglichen, das unbedingt in ein Dock müsse zur Generalüberholung. Allein, so ein Dock steht nicht zur Verfügung. Und so müssen wir dieses Schiff bei laufender Fahrt immer wieder notdürftig flicken und reparieren.

Was Baukultur in diesem Sinne dann heute sein kann, muss jeder für sich beantworten. Eine allgemeingültige Definition ist jedenfalls nicht mehr möglich. Sollten wir deshalb von Bauunkultur sprechen? Vielleicht hat es ja immer nur Bauunkultur gegeben? Meine Erkenntnis: Architektur im Sinne einer guten Alltagsarchitektur spielt keine Rolle mehr. Sowohl private als auch öffentliche Bauherren sind mit wenigen Ausnahmen an „gutem“ Bauen, was auch immer das sein möge, nicht interessiert.

Und jetzt? Braucht es dann noch Architekten?

So wie die allgemeine Krise für Philosophen und Soziologen der Nährboden ihrer Arbeit ist, so könnte auch die Bauunkultur in deutschen Landen Nährboden architektonischer Arbeit sein. Und wenn es tatsächlich so schlecht um uns Architekten bestellt ist, dann dürfen wir froh sein, dass sich niemand für uns interessiert, denn so können wir endlich machen, was wir wollen – ganz nach dem Motto „Die Architektur ist tot, lang lebe die Architektur.“

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