Fassadenansichten
Die Fassade trennt in der Regel das Innere vom Äußeren. Vergleicht man ein Bauwerk mit einem Organismus, wäre sie dort die schützende Haut für den verletzlichen Körper. Da sie bei einem Bauwerk aber von innen wie von außen erlebbar ist, wird sie von beiden Seiten formal und funktional wirksam und müsste treffender als Bekleidung bezeichnet werden. Ihre Bedeutung ist für die Betrachter:in und die Nutzer:in gänzlich unterschiedlich. Die funktionalen Aspekte und Qualitäten interessieren die Betrachter:innen nur bedingt. Sie reagieren auf die Haltung des Gebäudes im jeweiligen Kontext mit Zustimmung, Ablehnung oder auch Gleichgültigkeit.
So ist die Fassade Repräsentantin für einen Prozess der Abwägung, etwa zwischen Leichtigkeit und Stabilität, Offenheit und Geborgenheit, Ordnung und Störung, Angemessenheit und Opulenz oder auch Konvention und Innovation. Sie ist damit ein Spiegel der jeweiligen sozialen, kulturellen und politischen Verhältnisse einer Gesellschaft. In jedem Falle sind, dies reflektierend, Entscheidungen für die Gestalt einer Fassade zu treffen, da explizit in unseren Breitengraden die tragende Konstruktion immer einer Verkleidung bedarf. Dass sich, wie zuweilen in der Moderne manifestiert, die Fassade aus der Struktur ergibt und keine tiefergehende Betrachtung erfordert, ist Koketterie oder mündet in bauphysikalischer Ignoranz. Holzkonstruktionen haben diese Problematik letztendlich ebenso, auch sie können nicht dauerhaft der Witterung preisgegeben werden. Selbst das vermeintlich transparente Glas hat je nach technischen Eigenschaften eine Vielzahl von Erscheinungsformen, die es ästhetisch zu kontrollieren gilt.
Für die Nutzer:innen haben langfristig die funktionalen Qualitäten mehr Gewicht als die Gestaltung. Bildet die Fassade meine Bedürfnisse an die räumliche Erfahrung ab? Kann ich auf Licht, Luft und Temperatur einwirken? Bin ich vor Emissionen geschützt? Wie ist der Bezug zum Außenraum? Für die Bauherr:innen wiederum sind die Kosten für Erstellung und Betrieb und der ökonomische Wert des Bauwerks selbst von besonderer Bedeutung. Und über diese Perspektiven hinaus hat das den derzeitigen Diskurs bestimmende Thema einer umweltgerechten, CO2-neutralen Bauweise auch entscheidenden Einfluss auf die Plausibilität von Fassaden.
Der Notwendigkeit des umweltgerechten Bauens steht allerdings eine zunehmende Komplexität entgegen, die durch widersprüchliche bau - und sicherheitstechnische Anforderungen, überzeichnete Normierungen und wenig innovationsfreundliche rechtliche Bedingungen getrieben wird. Zudem zieht sich eine derzeit in Vollauslastung agierende Bauwirtschaft gerne zur Vermeidung von Risiken auf Standardisiertes zurück.
Grundsätzlich werden wir uns zukünftig die Fragen stellen: Müssen wir überhaupt bauen? Müssen wir neu bauen? Können wir im Bestand bauen bzw. weiterbauen? Daraus werden sich zusätzliche Herausforderung für die Gestaltung einer Fassade ergeben. Der Bestand ist ein Dialogpartner, der gelesen, verstanden und klug interpretiert werden muss. Die Entwurfskonzepte dafür sind so individuell wie die vorgefundenen Gebäude selbst und gerade darin liegt ein enormes gestalterisches und bautechnisches Potenzial. Der Fassade kommt dabei die Aufgabe zu, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft herzustellen, gestalterisch verbindlich und verständlich beiden gegenüber, bauphysikalisch schlüssig und dabei nachhaltig in der Wahl der Materialien und Konstruktionen.
Die Zukunft der Fassade liegt dabei in der Überwindung des gedankenlosen Zugriffs auf die Vielfalt des Möglichen und in einer gleichzeitigen Konzentration auf das substanziell Notwendige und ökologisch Verantwortbare, ohne dabei die Schönheit aus den Augen zu verlieren.
Heftpartner:innen
Prof. Carola Dietrich, Dipl.-Ing. Architektin, Design Direktorin. Architekturstudium an der Universität Kaiserslautern. Arbeitete bei Barkow Leibinger Architekten in Berlin, Efrat-Kowalski Architects in Tel Aviv und MVRDV in Rotterdam, bevor sie 2003 zu allmannwapper kam. Sie hatte von 2007 bis 2016 verschiedene Lehraufträge in Stuttgart und München. Seit 2015 ist sie Partnerin bei allmannwappner und hat seit 2016 die Professur für Entwerfen an der Technischen Hochschule Nürnberg, Georg Simon Ohm.
Prof. Ludwig Wappner, Dipl.-Ing. Architekt und Stadtplaner, Gründungspartner. Bevor Ludwig Wappner 1993 Partner bei Allmann Sattler Wappner Architekten wurde, arbeitete er für Schmidt-Schicketanz und Partner Architekten und als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Gebäudelehre und Entwerfen Prof. Bernhard Winkler an der TU in München. Seit 2010 ist er Professor für Baukonstruktion und Entwerfen am Karlsruher Institut für Technologie KIT sowie Gastprofessor an nationalen und internationalen Universitäten. Er ist Mitglied mehrerer Stadtgestaltungsbeiräte sowie als Preisrichter und Vorsitzender von Architekturwettbewerben und Gutachterverfahren tätig.
Alexandra Wagner, Dipl.-Ing. Architektin, Design Direktorin. Studierte Architektur an der Fachhochschule München und der Columbia University, New York. Sie arbeitet zunächst bei Barkow Leibinger Architekten, Berlin, bevor seit 2001 bei allmannwappner Wettbewerbe und Projektrealsierungen betreut und leitet. Seit 2008 ist sie Mitglied der Geschäftsführung, seit 2015 Partnerin.
Prof. Markus Allmann, Dipl.-Ing. Architekt und Gründungspartner des 1987 gegründeten Architekturbüros Allmann Sattler Wappner Architekten in München, welches seit Dezember 2021 unter dem Namen allmannwappner gmbh firmiert. Seit 2006 ist er Professor am Institut für Raumkonzeptionen und Grundlagen des Entwerfens IRGE der Universität Stuttgart. Er lehrte außerdem als Gastprofessor an der Peter Behrens School of Architecture in Düsseldorf. Autor zahlreicher Publikationen und Beiträge. In dem Schlüsselwerk Optionen – Allmann Sattler Wappner Architekten macht er die fortwährende Suche des Architekturbüros nach adäquaten Lösungen nachvollziehbar. Preisrichter und Vorsitzender von zahlreichen Architekturwettbewerben und Gutachterverfahren.
www.allmannwappner.com