„Vierzylinder“ von Karl Schwanzer wird 50
Direkt am Olympia-Gelände in München steht die Hauptverwaltung der BMW-Group Deutschland. Der „Vierzylinder“ genannte Bau feiert 50sten Geburtstag und steht – insbesondere für seine Planung, das Tragwerk und seine Realisierung – zu Recht seit 1999 unter Denkmalschutz. Wir haben uns die Architektur von Karl Schwanzer einmal näher angeschaut.
Warum der etwa 100 m hohe Büroturm „Vierzylinder“ heisst, ist zweifach logisch: Einmal zeigt er vier zylindrische, kreuzweise hängende Zylinder, und zum anderen handelt es sich um die Konzernzentrale eines Automobilherstellers, dessen Vierzylinder es bis in die Formel 1 schafften (kurz jedenfalls). Der „Vierzylinder“ am östlichen Rand des Olympiaparks in München stammt vom Wiener Architekten Karl Schwanzer, und ist eine Architektur- und Ingenieurikone, die jetzt ein Jubiläum feiern konnte: Äußerlich fertiggestellt zur Olympiade 1972, eröffnet 1973, steht der weithin sichtbare Bau seit 50 Jahren selbstbewusst am stark befahrenen Petuelring. Seit 1999 mit dem BMW-Museum unter Denkmalschutz, wurde der Büroturm mit Museum 2003–2009 von Schweger Associated Architects saniert (mit Atelier Brückner beim Museum). 2015–2017 wurde, ebenfalls von Schweger (mit pbr AG), das Parkhaus revitalisiert. Neben der frischen Erscheinung und Prominenz der Platzierung bietet der Bau unter ingenieurstechnischen Gesichtspunkten interessante Aspekte. Zentrale Tragstruktur ist ein in einem Betonfundament eingespannter Schaft, in dem Erschließung und sämtliche Ver- und Entsorgungseinheiten untergebracht sind. Der mittels Gleitschalung realisierte Schaft schließt mit einem zu jeder Seite 16 m auskragenden Trägerkreuz, von dem die insgesamt 19 Geschosse der vier zylindrischen Volumen über je eine zentrale Hängesäule abgehängt sind. Die vier Volumen werden über das Technikgeschoss, das als Stahlbetonfachwerk ausgebildet ist, am Turm fixert. Das Technikgeschoss ist von außen als eingezogene, farblich gekennzeichnete Ebene sichtbar.
Der „Vierzylinder“ mit BMW-Museum über dem Petuelring im Norden Münchens
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Nach Fundament und Schaft mit Trägerkreuz wurde das Technikgeschoss so am Boden gefertigt, dass man es am Schaft gleitend in die Höhe ziehen konnte. Auf der noch liegenden Geschoss-ebene wurden die darüberliegenden sieben Geschosse gefertigt. Diese Einheit wurde dann über Seile am Trägerkreuz in 18-cm-Schritten hydraulisch nach oben gehoben; für eine Geschosshöhe benötigte man eine Woche. An die nun schwebende Einheit wurde geschossweise angebaut, angehoben, angebaut ... Parallel zu den Rohbauarbeiten entstand in den fertigen Geschossen (Leichtbetondecken) der Innenausbau.
Dieses damals neuartige und für den zukünftigen Hochhausbau als Standardbauweise charakterisierte Verfahren war dem Bauzeitdruck geschuldet und dem Können des für die Tragwerksplanung verantwortlichen Bauingenieurs Helmut Bomhard, der für die den Bau realisierende Dywidag arbeitete. Dass sowohl die ikonografische Architektur, das Bauverfahren aber auch die runden Grundrisse, die offenen Büroflächen und der Einsatz flexibler Leichtbaukonstruktionen in der damaligen Zeit zumindest polarisierten, mussten auch die Planer:innen erleben, die die Bauherrn von dem damals als revolutionär erachteten Konzept der „gebauten Kommunikation“ erst mit dem Bau eines 1 : 1-Funktionsmodells einer Standardbürofläche überzeugen konnten. So wurde in einem Filmstudio ein Segment einer Bürofläche realistisch nachgebaut, Schauspieler:innen spielten Büroalltag. Der Film überzeugte.
Den „Vierzylinder“ ergänzt seit 2007 die „BMW-Welt“, eine Ausstellungs-, Auslieferungs-, Erlebnis- und Eventstätte von CoopHimmelb(l)au, deren Mitgründer Wolf Prix Schüler von Schwanzer war. Die „BMW-Welt“ ist mit jährlich 2,5 Mio. Besucher:innen deutlich vor Schloss Neuschwanstein die meistbesuchte Touristenattraktion Bayerns. Das Parkhaus wurde erneuert, Anfang 2022 ein Wettbewerb entschieden, der die BMW-Werke-Welt nördlich des „Vierzylinders“ für die Zukunft fit machen soll. Gewonnen hatten den geladenen Wettbewerb „Urbane Produktion“ ex aequo die Büros OMA, Rotterdam, und 3XN, Kopenhagen. Deren Masterplankonzept soll in einem partizipativen Verfahren zur Masterplanung fortgeschrieben werden, welche die Öffnung des Areals in den Stadtraum u. a. mittels eines effektiven Anschlusses an das umgebende Verkehrsnetz leistet. Gleichzeitig sollen Strukturen für „attraktive Arbeitsplätze“ weiterentwickelt werden.
Blick vom aktuell sanierten Parkhaus, wie der Büroturm eine Planung von Karl Schwanzer
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Quartiersplanerisch bewegt sich also eine Menge bei BMW. Der offensichtliche Respekt gegenüber der Architekturgeschichte des Konzerns ist der baulich-räumlichen Qualität und insbesondere (theoretisch) der Offenheit für Nutzungsänderungen des Headquarters zu verdanken. BMW kommentierte das Ergebnis des Masterplankonzept-Wettbewerbs so: „Wir bereiten unser Werk für die Produktion der Modelle der ‚Neuen Klasse‘ vor, unser Schritt in die dritte Phase der Elektromobilität.“ Was diese „Neue Klasse“ auszeichnet, werden wir sehen. Wenn sie an das anknüpfen will, was dem „Vierzylinder“ intern zugeschrieben wurde – „ein Bürohaus der Neuen Klasse“ – können wir einigermaßen zuversichtlich sein. Be. K.