Donauquartier, Passau
Die Zeit der kleinen, introvertierten Ladenzeilen ist endgültig vorbei. RKW Architektur + und die Haas-Unternehmensgruppe bauten die abgehalfterte Donaupassage am Passauer Bahnhof zum Donauquartier um. Das frisch sanierte, gemischt genutzte Haus mit Gastronomie, Geschäften, Fitnesscenter, Büros und Hotel belebt den ganzen Platz.
Text: Isabella Marboe, Wien/AT
Im Norden die Donau, im Süden der Bahnhof von Passau, dazwischen die einstige Donaupassage. Eine brachiale Verkehrsplanung bescherte dem Donauufer eine Schnellstraße in Hochlage und dem Bahnhofsvorplatz eine Unterführung. Die Donaupassage litt unter dem Niedergang kleiner Malls, sie verkam zusehends. RKW Architektur + und der österreichischen Haas-Unternehmensgruppe gelang mit ihrem Umbau zum Donauquartier eine phänomenale Wende. Der ganze Platz lebt wieder auf.
Schwieriges Terrain
Der Bahnhof von Passau ist ein klassizistischer Zweckbau, 1860 durch die Aktiengesellschaft der bayrischen Ostbahn errichtet. Der öffentliche Raum davor ist ein schwieriges Terrain. Linker Hand führen drei Stufen und eine Rampe auf den Europaplatz, der die darunterliegende Unterführung der Bahnhofsstraße mit ihren vielen Bussen überbrückt. Dort setzt das Erdgeschoss der einstigen Donaupassage auf, die heute Donauquartier heißt und mit der Namensänderung eine bemerkenswerte Transformation vollzog.
Der Europaplatz nach dem Umbau zeigt sich deutlich belebter als zuvor. Das liegt zum einen an der Außengastronomie und zum anderen an den Bänken und der Bepflanzung, die die Stadt in Absprache mit den Gastronomen installierte
Foto: Rainer Taepper
Die Donaupassage war ein Kind der 1980er-Jahre, ihr Architekturstil – eine banale Ausformung der Postmoderne – hatte sich ebenso überlebt wie ihre kleine Geschäftsgalerie. Altrosa Putzfassade, lange nicht geputzt, der Eingang zwischen behäbigen, grauen Marmorsäulen war zweigeschossig in die östliche Gebäudeecke eingeschnitten. Eine Rolltreppe führte auf die Galerie mit kleinen Läden, notdürftig von einem dreieckigen Oberlicht erhellt. Im Untergeschoss gab es große Geschäftsflächen und Parkplätze. Zweigeschossige Stahl-/Glaserker, Marmorpfeiler und Garagenzufahrten prägten die bahnhofsseitige Sockelzone. Ein gläserner Einschnitt markierte den Eingang ins Hotel, dessen Zimmer die drei obersten Stockwerke belegten. Die Materialität: grauer Marmor, abgehängte Decken, Spots, kantige Stahl-/Glasfassaden, alles abgenutzt. Seit dem katastrophalen Donauhochwasser 2016 war die Donaupassage nicht nur leer, sondern auch feucht, sie verkam zusehends und war sehr günstig zu erwerben.
Der Europaplatz vor der Sanierung
Foto RKW Architektur +
Bauherrin und Architekt:innen auf gemeinsamer Reise
Die österreichische Haas Unternehmensgruppe kaufte die Immobilie, mit den Architekten von RKW wurde auf Basis einer Standortanalyse ein sehr spezifischer, zukunftsfähiger Nutzungsmix erarbeitet. „Es war immer ein Miteinander,“ sagt Projektleiter Jens Thormeyer von RKW. „So etwas geht nur gut, wenn sich alle gemeinsam auf eine Reise machen.“
Das Hotel war das größte in Passau. Viele Reisegruppen nächtigen dort, es funktionierte gut und sollte erhalten bleiben. Also Um- statt Neubau, in puncto CO2-Bilanz eine verantwortungsvolle Entscheidung. Im Projektverlauf stieg die Lindner-Group ein, übernahm das Hotel und verpasste ihm ein Facelifting. Foyer und Rezeption zeigen sich mit bequemen Fauteuils und einem aufblasbaren Globus in der Treppenspindel sehr trendig, die 128 Zimmer sind neu und ansprechend möbliert, der Frühstücksraum hat Zugang auf die Dachterrasse.
Der Eingang an der Bahnhofstraße öffnet sich hell und einladend und ist auch über die Beleuchtung des auskragenden Vordachs deutlicher sichtbar. In den oberen drei Geschossen befindet sich das Hotel, das von der Lindner Group übernommen und modernisiert wurde. Es ist das größte in Passau und profitiert von der Nähe zum Bahnhof
Foto: Rainer Taepper
Neue Ausrichtung
„Als wir das Gebäude kennenlernten, gab es nur noch einen Mieter,“ sagt Thormeyer. „Das Haus befand sich in einem tragischen Zustand, keiner wusste, was tun.“ Kleine, innenliegende Passagen funktionieren heute nicht mehr, überbordend gestaltete Einkaufszentren gibt es in Richtung Zentrum an der Bahnhofsstraße genug. „Einkaufszentren sind etwas aus der Zeit gefallen, heute geht es mehr um eine Ergänzung des Stadtkörpers“, so Thormeyer. RKW überlegten, welcher Nutzungsmix in die bestehende Struktur passen könnte. Das Stammklientel am Bahnhof ist nicht das wohlhabendste, dazu kommen Reisende. Was hier fehlte, waren Discounter, günstige Nahversorger und Restaurants, wo man auch draußen sitzen kann. Liegt die Bahnhofsstraße schon im Schatten, scheint am westlichen Ende des Donauquartiers immer noch die Sonne.
Der Bestand: wenig einladend
Foto: RKW Architektur +
„Wir legten die Fokussierung vom Inneren nach draußen. Läden und Gastronomie sollten die Straße beleben. Außerdem war es wichtig, beide Geschosse zu verklammern“, so Thormeyer. Die Architekten veränderten die statische Struktur nur unwesentlich, konzentrierten sich auf die Materialität und in erster Linie auf die Außenhülle. „Wir erneuerten die Fenster, die Haustechnik, dämmten ordentlich und brachten alles auf heutige Standards.“ Die weiß verputzte Fassade macht aus der starken Wärmedämmung eine Tugend: Wie flache Trichter ziehen sich Faschen zu den unterschiedlichen Fensteröffnungen hin. „Diese tektonische Ausarbeitung macht aus einem banalen Haus etwas Besonderes“, sagt Thormeyer. Davon profitiert auch die lange, rückwärtige Nordfassade an der Donau, in deren Fensteröffnungen sich Sondernutzungen abzeichnen.
Die Architekt:innen veränderten die statische Struktur des Gebäudes nur geringfügig. Sei erneuerten die Fenster, die Haustechnik und dämmten die Außenhülle. Im Inneren sorgen helle hinterleuchtete Decken, hellgraue Fliesen für eine einladende Atmosphäre. Rote Lamellen markieren die Treppen
Foto: Rainer Taepper
Markantes Vordach
Die Fassade wurde konsequent horizontal gegliedert. Im Glas der Sockelzone spiegelt sich die Umgebung, darüber zieht sich ein zackiges, großes, dreidimensional ausformuliertes Vordach über die gesamte Gebäudelänge. Sie setzt an den Hausecken Akzente und verweist auf den Eingang in der Mitte. Am östlichen Gebäudeende sind die vormals behäbigen Stützen marmorfrei und schwarz, jetzt angenehm erschlankt. Die Geometrie des Vordachs ist bis zur Kante am Eck so geschickt hochgezogen, dass es wirkt, als sei es am Abheben. Hier kragt es am weitesten aus, die weißen und grauen, rautenförmigen Aluminiumplatten der Untersicht erinnern an Schuppen. Unter diesem hellen, hohen Baldachin sitzt man witterungsgeschützt vor der italienischen Osteria.
Weiter neigt sich das Vordach über dem Discounter etwas abwärts, über dem Haupteingang zu den Geschäften im Untergeschoss und den Büros im ersten Stock kragt es weiter aus und formt ein flaches Satteldach, um über dem Glaspavillon mit dem asiatischen Lokal wieder abzuheben. Die schuppige Untersicht des Vordachs zieht sich hier und am Haupteingang ins Donauquartier nach innen weiter, ein Deckendurchbruch erzeugt im Foyer über der Rolltreppe einen dreigeschossigen Luftraum, den herabhängende Kugelleuchten inszenieren. Die hinter dem Fenster im darüberliegenden Fitnesscenter spürbare Bewegung belebt den Raum.
Die Gastronomie am Europaplatz
Foto: Rainer Taepper
Weiße, abgehängte, hinterleuchtete Decken, naturweiß strukturierte Wände, hellgraue, großformatige Fliesen und schwarz gerahmte Glaswände schaffen in der finsteren Gebäudemitte eine freundliche Grundstimmung. Diese setzt sich auch in den Geschäften fort. Rote Lamellen betonen die Treppen, auch das Interieur des American Diner setzt auf rot und weiß. Es hat im Foyer einige Tische stehen, an einem sitzt an diesem Nachmittag ein junges Paar.
Aufgeräumter Platz
Das Donauquartier ist weit mehr als eine Mall, es ist ein gemischt genutztes Haus, das auch den öffentlichen Raum massiv aufwertet. Auf den Terrassen der Lokale sitzen Menschen im Freien, die Discounter sind bestens besucht, auch das Fitness-Studio ist mit der bisherigen Entwicklung sehr zufrieden. Einige Studentenwohnungen und Büros gibt es auch, darunter das Honorarkonsulat der Republik Kroatien. Der Bahnhof hat endlich ein freundliches Gegenüber, Reisende und Einheimische schätzen den neuen, aufgeräumten Platz und das Angebot des Donauquartiers. Die Stadt begleitete das Verfahren sehr gut, möblierte den Europaplatz mit runden Bänken neu und sprach sich bei der Bepflanzung mit den Gastronomen ab. Alle Beteiligen nahmen an den Schnittstellen aufeinander und auf die Architektur Rücksicht. So geht Stadtumbau.
Das Fitness-Studio ergänzt den Nutzungsmix des Donauquartiers und erschließt neue Zielgruppen. Street Art Künstler haben die Räume gestaltet, die relativ wenige Fenster zur Donau haben. Sichtbar gelassene Installationen passen zum rauen Erscheinungsbild
Foto: Rainer Taepper
Grundriss EG 01, M 1 : 1 500
1 Parkaus
2 Touristinfo
3 Gastro
4 Fitnesss-Studio
5 Hotel/ Foyer Hotel
6 Büro
7 Lager
8 Discounter
9 Einzelhandel
10 Bank
11 Europaplatz
RKW Architektur +
Projektteam Donauquartier
www.rkw.plus
Foto: RKW Architektur +
Projektdaten
Objekt: Donauquartier, ehemals Donaupassage
Standort: Passau
Typologie: Altbau (Revitalisierung) – Büro-/Verwaltungsbau / Handel / Hotelbau
Bauherr/Bauherrin: Haas Vermögensverwaltung GmbH / Lindner Group
Nutzer/Nutzerin: MK-Hotel, die LÓsteria, John Reed, Gastronomie, American Diner, Tasty Donuts, Go-Asia, Netto, Profamilia, Büro Honorarkonsuls von Kroatien, Wohnungen, Arztpraxen
Architektur: RKW Architektur+, Düsseldorf, www.rkw.plus
Ausführungsplanung: Wagner Architekten, Dingolfing,
www.wagnerarchitekten.net
Team: Matthias Pfeifer, Jens Thormeyer, David Hambuch, Andreas Möller, Ariadna Lafuente, Blanca Mota, Ermelinda Halilaj, Annette Kappert, Sebastian Henrich und Jorge Hernández
Bauleitung: Lindner Group, Arnstorf, www.lindner-group.com
Generalunternehmung: Lindner Group
Bauzeit: 05.2019 – 06.2021
Grundstücksgröße: 8 094 m²
Grundflächenzahl: 1,0
Geschossflächenzahl: 4,28
Nutzfläche gesamt: 34 715 m²
Brutto-Grundfläche: 16 825m²
Brutto-Rauminhalt: 70 275 m³
Fachplanung
Tragwerksplanung: AHW, Münster, www.ahw-ing.com
TGA-Planung: HPS Haustechnik Planungsbüro Schumacher GmbH, Rheinbach, www.hps-ingenieure.com und Lindner Group
Fassadentechnik: Willi – Richard Brombacher Ingenieurdienstleistungen VBI, Nürnberg, www.wrbi.de
Lichtplanung: Inlux Lichtplanung, Hamburg, www.inlux-hamburg.de
Brandschutz: IRL Ingenieurgesellschaft mbH, Passau, www.ib-irl.de
Innenarchitektur: RKW Architektur + (außer Mieterausbau)
Akustik: GIB Gesellschaft für Innovatives Bauen, Manama/BH,
www.gib.com
Energieplanung: Lindner SE
Energie
Primärenergiebedarf: 125,63 kWh/m²a nach EnEV
Endenergiebedarf: 195,19 kWh/m²a nach EnEV
Energiekonzept
U-Werte Gebäudehülle:
Außenwand = 0,19 W/(m²K)
Fassadenpaneel = 0,75 W/(m²K)
Dach = 0,13 W/(m²K)
Fenster (Uw) = 0,75 W/(m²K)
Haustechnik
Anschluss an das öffentliche Wärmeversorgungsnetz, Erzeugung durch KWK mit Primärenergiefaktor 1,0, Einbau 16 neuer Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung von bis zu 90 %, Ertüchtigung aller Leitungsnetze incl. Dämmung gemäß EnEV, Austausch der kompletten Elektroinstallation incl. der Beleuchtung in LED Standard
Hersteller
Fassade/Fenster: Schüco International KG, www.schueco.com
Unterdach: Prefa GmbH,
www.prefa.de
MSR: Sauter AG,
www.sauter-cumulus.de
Dämmung: Bachl, www.bachl.de
Lüftung: robatherm GmbH + Co. KG, www.robatherm.com
Dachabdichtung: Paul Bauder GmbH & Co. KG, www.bauder.de, Sika AG, www.deu.sika.com
Bewusst stellen wir ein Projekt vor, das wir lehrreich ambivalent finden. Vorbildlich ist der Anspruch, das Konzept und die Konsequenz, mit der eine desolate Fläche revitalisiert wurde. Andererseits wird eine inhärente Gefahr der Revitalisierung deutlich: Wer zu viel Adrenalin spritzt, holt den Patienten zwar zurück, aber der schlägt um sich. Er ist übervitalisiert. Und gefährdet mit seiner Kraft die stadträumlichen Proportionen.
DBZ Heftpartner Caspar Schmitz-Morkramer