Form follows fun

Downtown Høje Taastrup/DK

Neue Stadtquartiere benötigen auch eine neue Infrastruktur, die den aktuellen Anforderungen an klimagerechtes Bauen standhält. Dadurch erweitert sich die zu gestaltene Fläche – und die Kosten steigen. Was aber, wenn man das Nützliche mit neuen Freizeitangeboten kombiniert? Topotek 1 geht diesen Weg schon seit langem. Mit der Gestaltung des Projekts „Downtown Høje Taastrup“ zeigen sie, wie selbst Versickerungsanlagen einen Mehrwert für die Anwohner und Anwohnerinnen leisten können.
 


Foto: Hanns Joosten

Foto: Hanns Joosten

Høje Taastrup, knapp 20 km westlich von Kopenhagens Innenstadt gelegen, ist eine jener Überlaufsgemeinden, die jene auffängt, die in der Hauptstadt arbeiten, aber nicht leben wollen. Und wie die meisten Gemeinden dieser Art leidet sie darunter, dass sie nicht sukzessive wachsen durfte, sondern in Siedlungsschüben entwickelt wurde: Klinkerkasernen hier, neumodische Apartmentanlagen da, alte Einfamilienhausviertel, Bungalowreihen, vereinzelte Industrieansiedlungen, breitspurige Straßen und dazwischen viel ungestalter Raum.

Einladung zur Aneignung: Der rund 1 km lange Abwasserkanal präsentiert sich entlang der Strecke immer wieder neu und lädt zur Erkundung ein
Foto: Hanns Joosten

Einladung zur Aneignung: Der rund 1 km lange Abwasserkanal präsentiert sich entlang der Strecke immer wieder neu und lädt zur Erkundung ein
Foto: Hanns Joosten

Neues Zentrum in der Peripherie

Nur echtes Zentrum, öffentliches Leben, gab es bislang kaum. Das sollte sich ändern, weshalb die Gemeinde 2011 einen öffentlichen Wettbewerb veranstaltete, um ein zentrales Areal unweit des Bahnhofs neu gestalten zu lassen. Vorrangig ging es dabei um Wohnungsbau. Aber gleichzeitig sollte neuer, identitätsstiftender Grünraum entstehen. Ein neues Zentrum für eine Gemeinde, deren dänischer Wikipedia-Eintrag kaum länger ist als der Deutsche. Kann das gelingen?

Sport und Freizeit: Neben dem Skatepark gehört auch ein Bolz- und Basketballplatz zur Anlage
Foto: Hanns Joosten

Sport und Freizeit: Neben dem Skatepark gehört auch ein Bolz- und Basketballplatz zur Anlage
Foto: Hanns Joosten

„Gemeinsam mit dem Kopenhagener Architekturbüro Cobe haben wir den Wettbewerb damals gewonnen – Cobe war verantwortlich für den Städtebau, wir für die Gestaltung des Freiraums“, erinnert sich Martin Rein-Cano, Gründer von Topotek 1, einem Büro für Architektur und Landschaftsarchitektur mit Büros in Berlin und Zürich. „Dabei hatten wir ziemlich viele Freiheiten. Denn in Dänemark gibt es eine große Tradition des Designs, aus der ein hoher Respekt vor der Arbeit von Gestaltern resultiert.“ Zu den wenigen Vorgaben habe jedoch das Wassermanagement für das Quartier gehört. „Der Boden ist hier sehr lehmig und mit der erwartbaren Zunahme an starken Regenfällen in einer ohnehin schon sehr nassen Region ist Wassermanagement bei jeder Neuversiegelung durch Hochbauten ein wichtiges Thema.“

Californication: Die Skatebassins sind kalifornischen Poolanlagen nachempfunden, die sich Skater ab den 1970er-Jahren angeeignet haben
Foto: Hanns Joosten

Californication: Die Skatebassins sind kalifornischen Poolanlagen nachempfunden, die sich Skater ab den 1970er-Jahren angeeignet haben
Foto: Hanns Joosten

Entwässerungskanal und Halfpipe

Bei insgesamt 570 Hektar Entwicklungsgebiet war klar, dass die Infrastruktur für das Regenwassermanagement einigen Raum einnehmen würde. Die Frage war nur, wie sollte man diese in den geplanten, rund 1 000 m langen Grünzug, der das Quartier in der Nord-Ost-Achse durchquert, integrieren? Die einfachste Lösung wäre sicher gewesen, sie möglichst unauffällig zu verbuddeln – aus den Augen, aus dem Sinn. „Wir haben jedoch bewusst den gegenteiligen Ansatz gewählt“, erklärt Architekt Rein-Cano. „Denn wir betrachten alle Projekte – egal, ob es sich um Hochbau oder Landschaftsarchitektur handelt, immer holistisch. In Deutschland neigt man hingegen dazu, Projekte unter einem bestimmten Vorzeichen zu entwickeln, das gerade politisch gewollt ist.“ Habe man früher Städte aus der Sicht und anhand der Bedürfnisse von Autofahrern entwickelt, plane man nun „Ökoautobahnen“, bei denen die Bedürfnisse der Menschen auf der Strecke bleiben. „Beide Ansätze sind falsch, denn es gibt in beiden Fällen eine Multiplizität der Bedürfnisse und Nutzungen. Eine Straße ist nicht nur eine Straße, auf der Autos fahren, sondern auch gesäumt von Häusern, in denen Menschen leben und arbeiten. Fahrradfahrer, Fußgänger und Rollerfahrer nutzen dieselbe Straße. Ebenso ist es mit Parks: Wilde Bioreservate in der Stadt werden niemals wirklich respektiert und bewahrt werden. Die Menschen müssen sich die Grünräume aneignen können, dann erleben und verstehen sie Bedeutung von nachhaltiger Stadtentwicklung.“

Grünzug: Mit 1 km Länge trägt die Anlage als Frischluftschneise auch zum Mikroklima im Quartier bei
Foto: Hanns Joosten

Grünzug: Mit 1 km Länge trägt die Anlage als Frischluftschneise auch zum Mikroklima im Quartier bei
Foto: Hanns Joosten

Es sei das hedonistische Bedürfnis von Menschen, für den Preis, den sie für den Naturschutz zahlen müssen, auch einen Gegenwert zu bekommen. Vergrabene Entwässerungsanlagen leisten diesen Mehrwert nicht. „Deshalb haben wir den hybriden Ansatz gewählt und uns gefragt, wie man diese Infrastruktur im Sinne der Allgemeinheit zugänglich machen können.“ Vorbild dafür seien verwaiste Pools in Kalifornien gewesen, die sich Skater ab den 1970er-Jahren als Übungsplätze angeeignet haben. Aus dem „Pool-Riding“ sind später die professionalisierten Wettbewerbe in Half­pipes entstanden. „Sie haben bereits den Wert architektonischer Strukturen für ihren Sport erkannt.“ Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt, die Ablaufkanäle für das Regenwasser als Tummelplatz für Skater, BMXer und Rollerfahrer zu entwickeln.

Knotenpunkt im Quartier: Rad- und Fußwege sorgen für die Durchwegung und Anbindung der Parkanlage an die angrenzenden Stadtquartiere
Foto: Hanns Joosten

Knotenpunkt im Quartier: Rad- und Fußwege sorgen für die Durchwegung und Anbindung der Parkanlage an die angrenzenden Stadtquartiere
Foto: Hanns Joosten

Knotenpunkt im Quartier

Wenn die Anlagen ihrem zweiten Zweck nachkommen – das  Wasser sammeln und in einen nahgelegenen Natursee zur Verdunstung ableiten – sind sie nicht nutzbar. Das habe man man bewusst in Kauf genommen. „So bilden wir einen natürlichen Zyklus ab, in dem die Anwohner je nach Jahreszeit und Witterung anderen Beschäftigungen nachgehen, das schafft eine Verbindung zur Natur und ihren Einfluss auf die Menschen“, so Rein-Cano. Und das Freizeitangebot bestehe ohnehin ja nicht nur aus der Skateranlage. Zusätzlich gibt es einen Bolzplatz mit Basketballkörben, vielfältige Sitzgelegenheiten, öffentlichen Plätzen am westlichen und östlichen Ende sowie Wiesenflächen und flexible Spielanlagen für Kinder. Eine Durchwegung mit Rad- und Fußwegen sorgt dafür, dass die Grünfläche ihrer Bedeutung als Knotenpunkt der Gemeinde gerecht wird.

Detail Grundriss, M 1 : 2 000

Detail Grundriss, M 1 : 2 000


Ein unterirdisches Rohr- und Tunnelsystem sorgt indes dafür, dass der Park mehr ist als lediglich ein überirdisches Abwassersystem mit Freizeitwert. Denn nur der Teil des Regenwassers, der überschüssig ist, wird tatsächlich zur Verdunstung abgeleitet. In Rückhaltebecken entlang der Strecke sammelt sich hingegen jenes Wasser, dass für die Bewässerung der Grünanlagen selbst genutzt wird. Niederschläge von bis zu 6 500 m³ können so nach Spreu und Weizen getrennt abgeleitet werden. Damit sollte die Gemeinde auch mit zunehmenden Starkregen in der näheren Zukunft zurechtkommen. Außerdem belasten weder die bebaute Fläche noch die begrünten Parkanlagen die Wasserbilanz des Quartiers.

Lageplan, M 1 : 10 000

Lageplan, M 1 : 10 000

Detail Grundriss, M 1 : 2 000

Detail Grundriss, M 1 : 2 000

Unbezahlbare Freiheit

Rein-Cano spricht von einem hybriden Gestaltungsansatz, den sein Büro bei allen Bauprojekten vertritt. Schaut man sich in den Grünanlagen jüngeren Datums – sowohl von Topotek 1 als auch von anderen Vertretern moderner Grün- und Stadtraumplanung – um, könnte man sogar noch einen weiteren Aspekt hinzufügen: Als konsumberuhigte Zone ergänzen sie die Städte um Orte, an denen Öffentlichkeit inszeniert wird und die zur Teilhabe an der Gesellschaft einladen. Und: Anders als in den „Rasen betreten verboten“-Parks, Shopping-Malls, Fußgängerzonen  und anderen öffentlichen Räumen der Vergangenheit sind die Nutzerinnen und Nutzer hier dazu eingeladen, sich eine eigene Aneignungsform auszudenken. Das dient im eigentlichen Sinne der Freizeit, die nicht nur Abwesenheit von Arbeit ist. Schlafstädten jedenfalls steht es gut zu Gesicht, ihr Image mit so aufgeweckten Ideen neu zu interpretieren.

Jan Ahrenberg/ DBZ

Der Klimawandel kommt nicht, er ist längst spürbar: Ein Park wie dieser bietet Antworten auf die Herausforderungen extremer Wetterereignisse wie Starkregen oder Hitzewellen. Warum also nicht Funktionen überlagern und Freizeitangebote wie Erholung und Bewegung, das Bedürfnis nach Pufferzonen und Weite mit klimaresilienter Stadtplanung kombinieren?« ⇥DBZ-Heftpartner
⇥Auer Weber, Stuttgart/München

Projektdaten

Objekt: Downtown Høje Taastrup         
Standort:  Høje Taastrup Boulevard / Bornholms Allé, Taastrup, Dänemark
Typologie: Urbane Parks und Grünflächen, Erholungsanlagen, Wassermanagementsysteme, Wege und Verbindungseinrichtungen, Gemeinschafts-, Sport- und Kulturräume
Bauherr/Bauherrin: Høje Taastrup Gemeinde/DK
Nutzer/Nutzerin: Einwohner, Besucher, Lokale Unternehmen
Landschaftsarchitektur: Topotek 1,

www.topotek1.de, in Zusammenarbeit mit Cobe Architects, www.cobe.dk
Team: Martin Rein-Cano (Entwurfverfasser), Francesca Venier, Juan Gomez, Pablo Alfaro

Bauleitung: Cobe Architects, Topotek 1

Bauzeit: 2011 – 2022
Grundstücksgröße:  57 000m²
Baukosten (nach DIN 276):

Gesamt brutto: 10 081 205,22 Euro

Fachplaner

Fachplanung Skateanlage: Glifberg+Lykke, www.glifberglykke.com

Wassermanagement: Ramboll,

www.ramboll.com

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