Es geht immer um ganzheitliche Betrachtung
Die Immobilienwirtschaft steht vor vielfältigen Herausforderungen. Wie kann man bezahlbaren Wohnraum schaffen? Wie den Reglementierungswahnsinn stoppen? Für die Zukunft muss man für die digitale Transformation gewappnet sein. Innovation und Digitalisierung spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Lieber Gunther, Du warst Staatssekretär im Bundesbau- und Umweltministerium sowie im Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat. Seit März 2024 bist Du Mitglied der Geschäftsführung des Zentralen Immobilien Ausschusses ZIA. In welcher der Funktionen kann man Deiner Meinung nach Baukultur und die gebaute Umwelt wie gestalten?
Gunther Adler (GA): Die kann man, wenn man Verantwortung in der Verwaltung, im Ministerium hat, gestalten. Die kann man aber ganz genauso in meiner jetzigen Funktion gestalten. Ich war nicht nur Staatssekretär, sondern mit Freude und mit Leidenschaft Stiftungsratsvorsitzender bei der Bundesstiftung Baukultur. Ich habe das wirklich mit großer Liebe getan, ich hänge diesen Themen, diesen Aufgaben nach wie vor an und freue mich sehr, dass der ZIA auch Mitglied im Förderverein Bundesstiftung Baukultur e. V. ist. Ich nehme am Konvent der Baukultur teil und war zu Gast bei den Ettersburger Gesprächen. Kurz: Die Themen haben mich damals beschäftigt, die Themen beschäftigen mich immer noch und das Netzwerk besteht fort. Deshalb würde ich nicht sagen, dass es da einen Bruch gegeben hat, sondern das setzt sich mit großer Kontinuität bei mir fort.
Ina Scharrenbach, die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, hat 2024 auf der Messe digitalBAU in Köln die Initiative „Bürokratie am Bau? Ciao!“ vorgestellt. Es geht bei dieser Initiative um die Punkte „günstiger, schneller sowie innovativer Bauen und Planung Vereinfachen“. Was müsste sich deiner Meinung nach an den aktuellen Rahmenbedingungen ändern? Wie bekommen wir mehr Geschwindigkeit, mehr Dynamik in das Planen und Bauen?
GA: Da muss sich viel ändern, weil sich im Laufe der Jahrzehnte enorm viel aufgetürmt hat. Ein Mehr an Vorschriften, an Normen, an Standards. In den allermeisten Fällen ist das verbunden mit Kostensteigerungen. Mein Credo war immer „Günstiges Bauen heißt günstiges Wohnen“. An den heutigen Neuvermietungsmieten stellen wir fest, wie sehr die Baupreise in die Höhe gegangen sind.
Ich musste eben spontan an den Gebäudetyp E denken, eine Initiative der Bundesarchitektenkammer und der Architektenkammern der Länder. Wie steht der ZIA dazu?
GA: Der Gebäudetyp E nimmt bei uns einen ganz breiten Raum ein. Mit Tine Fuchs, unserer Abteilungsleiterin Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen beim ZIA, reden wir mehrfach wöchentlich darüber. Dabei steht im Fokus, unsere Mitglieder und die politischen Entscheidungsträger aktiv in die Debatte einzubinden. Das hat in den letzten Monaten, eigentlich seitdem ich beim ZIA bin, enorm viel Raum eingenommen, viele politische Gespräche mit den Abgeordneten in Bund und in den Ländern. Das Thema spielt in den Ländern eine genauso große Rolle wie im Bundesbauministerium, im Justizministerium, im Bundeswirtschaftsministerium. Wir stellen eine gewisse Bereitschaft fest, die aber sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Das Ende der Bundesregierung setzt da im Moment erstmal die Ampel auf Rot. Beim Gebäudetyp E verbinde ich die Hoffnung damit, dass die neue Bundesregierung nochmal kritisch prüft, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist oder ob man nicht insbesondere bei dem, was aus dem Justizministerium kommt, nochmal neu justieren muss. Wichtig ist die Haftungsfrage, auf die es auch ankommt, wenn man dieses Thema einfacher und damit für alle Beteiligten verlässlicher beantworten will.
Du hast die neue Bundesregierung ab Anfang 2025 angesprochen. Aktuell haben wir mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen ein eigenständiges Ministerium und es ist nicht mehr so, wie vor der Ampelkoalition, wo das Thema Bauen irgendwo angedockt war. Braucht es nach Meinung des ZIA ein eigenständiges Ministerium?
GA: Der ZIA tritt für ein starkes Bauressort ein, nach Möglichkeit mit mehr Zuständigkeiten. Wir haben es bei der letzten Regierungsbildung begrüßt, dass es ein eigenständiges Bauressort gab. Aber wir haben auch in den letzten drei Jahren gesehen, dass es da an Zuständigkeiten mangelte. Ein eigenes Ressort ist kein Selbstzweck, sondern es muss mit Kompetenzen ausgestattet sein. Und wenn dann zum Beispiel Zuständigkeiten im Mietrecht, im Digitalisierungsbereich, in der gesamten Förderlandschaft und auch im energetischen Gebäudebereich dazukommen, dann wäre das wirklich ein wirkungsstarkes Ministerium.
Sind es tatsächlich die Baupreise, die das Bauen so teuer gemacht haben, oder auch ein Stück weit das Thema mit dem Boden bzw. wie man mit der Bodenfrage umgeht?
GA: Es ist die Summe aus allem. Zinsbelastung, Baupreise, fehlende Fördermittel, hohe Grundstückspreise und weitere Faktoren. In der Summe hat sich das alles hochgeschaukelt und deshalb sollten wir wieder bei jeder Stellschraube nachsehen, wie wir das Bauen gerade mit dem Blick auf Wohnungen und innerstädtische Immobilien wieder günstiger machen können. Wir benötigen im Grunde genommen ein Zinssubventionsprogramm, um diese Kosten abzusenken. Wenn die KfW Bauförderprogramme auflegt, ist das Zinsniveau ein ganz entscheidendes. Unsere Kritik ist, dass wir keine Zinsstabilität in den Förderprogrammen haben. Also wenn bei einem Förderprogramm innerhalb von 18 Monaten der Zinssatz mindestens 15-mal angepasst wird, dann ist keine Verlässlichkeit im Spiel.
Du hast das Thema Förderpolitik angesprochen. Der ZIA lehnt die Erhöhung des Neubaustandards ab, der ab 1.1.2025 erfolgen soll. Und zwar auf EH40 Niveau beziehungsweise EH 70 Standard für Bestandsgebäude. Wieso eigentlich? Warum spricht sich der ZIA dagegen aus?
GA: Der ZIA begrüßt eindeutig, ohne Wenn und Aber, die Pariser Klimaschutzziele. Die Frage ist, wie erreichen wir sie? Wie können wir so effizient wie irgend möglich, also auch kosteneffizient, den größten klimapolitischen Nutzen erreichen? Da gibt es Kostenentwicklungen, die am Ende nicht zu den entsprechenden CO₂-Einsparungen führen. Zum anderen: Viel entscheidender, und glücklicherweise setzt sich ja so nach und nach diese Einsicht durch, müssen wir uns die Lebenszykluskosten anschauen – und nicht diese Schnelleffekte, die erzielt werden durch ein Mehr an Dämmung oder andere Baustoffe. Das bringt nicht den Nutzen, den man eigentlich zum Erreichen der Ziele braucht.
Das Stichwort der Lebenszykluskosten würde ich gerne als Überleitung nutzen, damit wir uns über das Thema Bauen im und mit dem Bestand unterhalten. Müssen wir den Bestand nicht noch viel stärker fördern, damit wir unsere Klimaschutzziele, die sehr ehrgeizig sind, umgesetzt bekommen?
GA: Es geht immer um die ganzheitliche Betrachtung. Wir haben beispielsweise enorme Potenziale durch Dachgeschossausbauten beziehungsweise Dachaufstockungen. Laut einer Studie von Professor Tichelmann von der TU Darmstadt ist von einem Umbaupotenzial von 750 000 Wohneinheiten in Deutschland auszugehen, die sich dadurch erreichen lassen. Diese Wohnungen würden in der aktuellen Wohnungsnot enorme Erleichterung bringen. Doch weder der Ausbau von Dachgeschossen noch die Umnutzung von Gewerbeflächen oder Kaufhäusern zu Wohnungen allein können die Angebotsdefizite beseitigen – auch wenn all diese Maßnahmen wertvolle Beiträge zur Entspannung der Lage auf dem Wohnungsmarkt leisten können.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner haben beide völlig recht, wenn sie sagen: „Wir brauchen auch neue Wohnviertel.“ Ich weiß, dass es immer mit einer Belastung von Natur und Umwelt verbunden ist. Aber wenn wir von bald 800 000 Wohnungen in Deutschland sprechen, die wir benötigen, wenn wir weiter einen hohen Zuzug haben aus den Kriegs- und Krisengebieten genauso wie von dringend benötigten Fachkräften, dann werden wir nicht mit diesen Insellösungen zurechtkommen, sondern dann muss wirklich massiv neu gebaut werden. Umgekehrt darf man nicht allein auf den Neubau setzen, sondern wir müssen immer schauen, auch wegen der Klimaschutzziele, was wir durch Umbau lösen, wo wir ressourcenschonend bauen können.
Du hast die Zahlen der benötigten Wohnungen angesprochen. Wir brauchen in Deutschland 800 000 Wohnungen. Was hast du gedacht, als du damals die Aussage von Klara Geywitz mit dem Ziel 400 000 Wohnungen im Jahr zu errichten, gehört hast?
GA: Als ich noch im Bundesministerium Verantwortung hatte, habe ich ebenfalls Zielzahlen genannt, die allerdings etwas niedriger waren. Dadurch, dass es damals Gründe gab und wir schon zu der Zeit nicht so bauen konnten und nicht so gebaut haben, ist der Bedarf weiter gestiegen. Bei dieser ganzen Zahlenakrobatik bin ich der Meinung, dass es für die neue Legislatur, die neue Bundesregierung wichtig ist, eine Zielmarke zu setzen. Nur muss man die Bauwirtschaft in Deutschland überhaupt erst in die Lage versetzen, 400 000 Wohnungen bauen zu können.
Die Fertigstellungszahlen sind wichtig, aber wir müssen erstmal in die Situation kommen. Wir haben vielfältige Herausforderungen wie Flächenbereitstellungen, Fachkräftemangel oder die fehlende Verfügbarkeit von Baumaterialien und Rohstoffen, die beschafft werden müssen. Die Finanzierungsfrage ist enorm wichtig, ebenso wie das Thema der Vorschriften. Dafür müssen wir zunächst den Rahmen schaffen, dann sehen wir, wie weit wir kommen. Dann bin ich auch optimistisch, wenn wir den Rahmen für den Gebäudetyp E haben, wenn wir eine neue Baugesetzbuchnovelle haben, wenn wir über die TA Lärm für Gewerbe endlich mal zu vernünftigen Lösungen für den Lärm- und Gesundheitsschutz durch das Zulassen von technischen Innovationen kommen, dann werden die Zahlen der neu errichteten Wohneinheiten auch wieder nach oben gehen.
Lass uns über die Themen Digitalisierung und Innovation sprechen. Welche Weichen sollten oder müssten eigentlich gestellt werden, dass die Immobilienwirtschaft in diesen Bereichen zukunftsfähig aufgestellt ist?
GA: Zuerst müssen wir die Fürstentümelei überwinden. Wir müssen durch bundeseinheitliche Regelungen Methoden und Wege finden und nicht auf Bundesländer begrenzt, wie man es im Moment macht. Überspitzt gesagt: Es erscheint ja manchmal wie ein Leistungssport der Bundesländer, möglichst eigene und auf ihre Länder begrenzte technische Möglichkeiten zu suchen und darauf stolz zu sein. Das sollte eher Scham auslösen als Stolz. Es gilt, die Digitalisierung bundesweit im gesamten Prozess zu denken. Ganz klar auf die digitale Bauakte setzen, beginnend bei digitalen Genehmigungsprozessen. Günter Grass hat einmal gesagt: „Der Fortschritt ist eine Schnecke“, aber mit dieser Schnecke kommen wir nicht mehr vorwärts. Um den Anschluss nicht zu verlieren, muss der Fortschritt eher ein Rennpferd sein. Das wird, glaube ich, eine ganz wichtige Aufgabe für das neue Bauministerium sein, dieses Thema zu forcieren.
Der ZIA hat an der Erstellung einer Digitalisierungsstudie mit der Frage „KI – ein Game Changer in der Immobilienwirtschaft?“ mitgewirkt. Was sind die Kerninhalte dieser Studie?
GA: Bei dem Thema der Nutzung von KI im Planungs- und Bauprozess kann ich Parallelen zur Einführung der Planungsmethode BIM in Deutschland vor ca. zehn Jahren erkennen. KI ist ein Game Changer; wenn ich beispielsweise an große Bauleitplanverfahren mit vielen Beteiligungen denke, dann kann der Einsatz von KI helfen, um bei Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren die Anregungen und Einwendungen nach gleichen Argumenten und Hinweisen zu sortieren, damit die Planerinnen und Planer in der Kommune oder bei der jeweiligen Verwaltungsbehörde auf dieser Basis schneller eine qualifizierte Abwägungsentscheidung treffen können. Die Digitalisierungsstudie zeigt weitere Potenziale für die Nutzung künstlicher Intelligenz.
Was verbirgt sich hinter dem ZIA-Innovationsradar?
GA: Das ZIA-Innovationsradar zeichnet jedes Jahr Best-Practice-Innovationen der Immobilienwirtschaft aus. Dieses Jahr unter anderem eine Holz-Lehm-Massivdecke der Leipfinger-Bader GmbH, aber auch eine Lösung des Münsteraner Unternehmens syte, das Maklern, Projektentwicklern, Planern und Behörden KI-gestützte Echtzeitdaten zu Objekten liefert.
Wie würdest Du Dir die Zukunft des Bauens wünschen?
GA: Ich wünsche mir, dass in Zukunft jeder seinen Arbeitsplatz dort antreten kann, wo er imöchte und nicht absagen muss, weil er keine Wohnung findet. Ich möchte, dass jeder dort studieren kann, wo er möchte – und nicht in eine andere Stadt gehen muss, weil er kein Zimmer findet. Ich möchte, dass wir den Menschen, die wir im Rahmen der Fachkräftezuwanderung zu uns holen, angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellen können. Ich möchte, dass wir wieder in der Champions League des Bauens mitspielen, insbesondere was nachhaltiges Bauen angeht. Und ich möchte, dass Baukultur ein integraler Teil unseres Bauens ist.
Mit Gunther Adler sprach DBZ-Chefredakteur
Michael Schuster am 27.11.2024 in Berlin