Exkurs – Reinraumplanung für die Industrie

Form follows function – bei kaum einer planerischen Aufgabe ist dieses Postulat so wahr wie bei der Planung von Produktionsstätten für Halbleitertechnik, der Luftfahrt oder Pharmaprodukten. Dabei gilt es nicht nur, die Luftqualität im Blick zu behalten, sondern auch Materialien, Infrastrukturen und angrenzende Bauteile auf ihre Auswirkung auf die gewünschte Produktionsqualität hin zu beurteilen. Hier ein Überblick.

Text: Lukas Holzinger

Reine Luft zum Schutz des Produkts: Blick in den Reinraum zur Satellitenintegration im ITC
Foto: RSE+ / Markus Guhl Architekturfotografie

Reine Luft zum Schutz des Produkts: Blick in den Reinraum zur Satellitenintegration im ITC
Foto: RSE+ / Markus Guhl Architekturfotografie

Spätestens seit der Bekanntgabe des Intel-Engagements in Deutschland ist die Reinraumtechnik in den Fokus gerückt. Allerdings ist diese Art der Produktionsumgebung schon lange in vielen Branchen verbreitet und die Anwendungsfälle werden immer vielfältiger. In der Pharmaindus­trie, der Medizintechnik und der Halbleiterindus­trie ist sie schon lange gang und gäbe. Allerdings werden auch in anderen Branchen die Anforderungen an Präzision und Reinheit immer höher. Was in diesem Artikel nicht behandelt werden soll, ist die Rolle von Reinräumen in der Medizin, wie etwa in Operationssälen. Hier handelt es sich um ein eigenes Aufgabengebiet, mit eigenen Regelwerken und Vorschriften. Wir beschränken uns hier auf Produktionsgebäude. Aber was ist ein Reinraum und was bedeutet er für die Planung und Umsetzung eines Gebäudes?

Bei Reinräumen liegt der Fokus, wie der Name schon sagt, offensichtlich darauf, die Luft im Raum und den Raum selbst möglichst frei von Partikeln zu halten. Was erst einmal einfach klingt, ist in der Realität ein unter Umständen sehr komplexes Unterfangen. Zuerst muss geklärt werden, was im Reinraum gemacht oder hergestellt werden soll. Man unterscheidet zuerst einmal, unter welches Regelwerk der jeweilige Reinraum fällt. In der Medizintechnik, der Pharma- und der Lebensmittelindustrie bewegt man sich in der Regel im Rahmen der EU GMP Richtlinie, der „Good Manufacturing Practice Guidelines“. In technischen Reinräumen, wie in der Mikroelektronik oder der Raumfahrt, ist die DIN EN ISO 14644:2015 das maßgebende Regelwerk.

Unterschiede zwischen GMP und ISO

Die GMP-Richtlinien haben, vereinfacht gesagt, das Ziel, den Patienten/Kunden vor Schaden durch Produktionsfehler zu schützen. Bei ISO-Reinräumen gilt es, das Produkt vor Schaden zu schützen, um möglichst wenig Ausschuss zu produzieren. Das sind selbstverständlich sehr unterschiedliche Motivationen in der Herangehensweise. Die Gemeinsamkeiten sind, dass beide Regelwerke Reinräume je nach der Anforderung an die Reinheit der Luft in verschiedene Klassen einteilen und Regeln setzen, wie diese Anforderungen im Betrieb überprüft werden sollen. Auch gibt es in beiden Regelwerken Angaben zur Reinigung, zur Kleidung und zum Verhalten im Reinraum.

Die Reinraumklassen nach GMP sind A, B, C und D, wobei A die höchsten Anforderungen an die Reinheit hat. Die Reinraumklassen haben Maximalwerte für Partikel ≥ 5 µm und ≥0,5 µm pro Kubikmeter Luft. Diese werden in zwei Varianten angegeben, jeweils im Ruhezustand und im Betrieb. Für einen Reinraum der Klasse A sind zum Beispiel im Ruhezustand nur 29 Partikel ≥ 5 µm pro Kubikmeter Luft erlaubt. Wenn man bedenkt, dass das Umweltbundesamt die Grenzwerte für solche Partikel in der Umgebungsluft mit einer Gewichtsangabe regelt, kann man sich vorstellen, welche Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Luft im Raum so sauber zu halten.

Reine Seite der Personalschleuse: Die notwendige Infrastruktur für die Beschäftigten ist ein weiterer, wichtiger Bestandteil der Layoutplanung
Foto: RSE+ / Markus Guhl Architekturfotografie

Reine Seite der Personalschleuse: Die notwendige Infrastruktur für die Beschäftigten ist ein weiterer, wichtiger Bestandteil der Layoutplanung
Foto: RSE+ / Markus Guhl Architekturfotografie

Zudem werden in GMP-Reinraumklassen Vorgaben zu Keimen gemacht. Es wird also nicht nur geprüft, dass so wenig wie möglich Partikel in der Raumluft sind, es dürfen auch nur wenige Bakterien und Viren enthalten sein. Beides wird im laufenden Betrieb permanent überprüft und dokumentiert. In ISO-Reinräumen sind Keime einfach nur Partikel und auch für diese sind in den ISO-Klassen 1 bis 9 strenge Werte vorgegeben. Die oben genannte Vorgabe eines in Ruhe befindlichen Reinraums der GMP-Klasse A entspricht den Anforderungen der Klasse ISO 5. Partikel dieser Größe dürfen in den Reinraumklassen ISO 1-4 gar nicht vorkommen.

Spezifikationen frühzeitig klären

Nun wird langsam klarer, warum es so aufwändig ist, eine Halbleiterfabrik, die in der Regel Reinräume der Klassen ISO 3 bis ISO 5 erforderlich macht, zu planen, zu bauen und zu betreiben. Zu Beginn eines solchen Projekts ist es also unerlässlich zu klären, nach welchen Regelwerken der Reinraum spezifiziert wird. In den meisten Fällen wird es auf Seiten des Bauherrn noch zusätzlich interne Regeln und Vorgaben zur Qualitätssicherung geben. Diese gilt es ebenfalls abzustimmen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass zu Beginn des Projekts die genauen Anforderungen an die Reinraumumgebung und das Projekt aus Produktsicht zusammengetragen werden. Das bedeutet, neben den reinen Flächen- und Raumhöhenanforderungen gilt es, Produktions- und Logistikprozesse zu klären und die genauen Spezifikationen für die Raumluft in Bezug auf Temperatur, Feuchte, Reinraumklasse, mikrobiologische Anforderungen oder Schwingungen festzuhalten. 

Aufwändige Technik: Eine notwendige Luftaufbereitung mit Filter Fan Units beeinflusst das Layout elementar und sollte deshalb bereits im Ideallayout berücksichtigt werden
Foto: RSE+/Markus Guhl Architekturfotografie

Aufwändige Technik: Eine notwendige Luftaufbereitung mit Filter Fan Units beeinflusst das Layout elementar und sollte deshalb bereits im Ideallayout berücksichtigt werden
Foto: RSE+/Markus Guhl Architekturfotografie

Ein besonderer Aspekt ist hier die Vorgabe an Grenzwerte zur sogenannten „Airborne Molecular Contamination“ oder auch AMC, also die Grenzwerte für bestimmte chemische Verbindungen in der Raumluft, zu definieren.  Das ist deshalb so wichtig, da viele Stoffe, die etwa in Dichtstoffen, Lacken oder Klebern vorhanden sind, in manchen Reinraumanwendungen sehr schädlich sein können. Viele Bauprodukte nutzen solche Stoffe, daher müssen die Datenblätter aller verwendeten Materialien auf ihre chemische Verträglichkeit hin untersucht werden. Allerdings müssen alle Materialien, die direkt mit dem Reinraum in Berührung kommen, zusätzlich auf ihre Reinraumtauglichkeit untersucht und zertifiziert worden sein. Hier gibt es mehrere Zertifizierungsstellen, zum Beispiel das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Dazu kommen alle normalen Grundlagen, die für ein Bauprojekt zusammengetragen und analysiert werden müssen.

Reinstmedien und Mikrobiologie

Bei dieser Vielzahl an Anforderungen ist es wichtig, die richtigen Fachleute in das Projektteam zu integrieren. Das gilt nicht nur für die Seite der Planer, die sich unter Umständen mit Reinstmedien, Mikrobiologie oder Baudynamik befassen müssen, sondern ebenso für die Seite der Bauherrschaft. Auch hier müssen die Spezialisten für die einzelnen Themenbereiche mit hinzugezogen werden, damit das Projekt alle notwendigen Informationen, aber auch Entscheidungen erhält. Daher ist die Projektvorbereitung bei Reinraumprojekten so entscheidend. Je mehr dieser Informationen zum Projektstart vorhanden sind, desto besser und effizienter kann mit der Arbeit am Projekt begonnen werden.

Um die Komplexität der Anforderungen und Prozesse richtig in einem Gebäudelayout abbilden zu können, ist es häufig sinnvoll, zuerst ein ­Ideallayout unabhängig von Grundstücks- oder sonstigen Zwängen zu erstellen. Das schafft ein klareres Verständnis über die internen Abhängigkeiten und Prozesse. Wichtig hierbei ist, im Layout die Zonengrenzen zwischen Reinraum- und nicht Reinraumflächen zu berücksichtigen und erste Annahmen zu Schleusenpositionen und -größen zu treffen. Auch sollte das Layout alle Nebenflächen inklusive Technikflächen darstellen. Hierbei ist zwingend darauf zu achten, dass die Anbindung der Technikflächen an den Reinraum so direkt wie möglich ausgeführt wird.

Planen am Ideallayout

Für das Ideallayout ist es wichtig, eine Aussage über die im Reinraum erforderliche Geschosshöhe zu treffen. Auch hier geht es um eine ideale Schichtung der einzelnen Einflussfaktoren, vom Boden oder Doppelboden, über die lichte Raumhöhe des Reinraums unter Berücksichtigung eventueller Krananlagen, die Anordnung der Reinraumdecke und die Medieninstallation darüber. An dieser Stelle sollte auch bereits über Wartungs- und Redundanzkonzepte gesprochen werden.

RSE+ hat das Airbus Defence & Space GmbH Integrated Technology Centre ITC in Immenstaad am Bodensee nach ISO 5 und ISO 8 geplant
Foto: RSE+ / Markus Guhl Architekturfotografie

RSE+ hat das Airbus Defence & Space GmbH Integrated Technology Centre ITC in Immenstaad am Bodensee nach ISO 5 und ISO 8 geplant
Foto: RSE+ / Markus Guhl Architekturfotografie

Im zweiten Schritt wird das Layout nun auf die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Diese Vorgehensweise macht es einfacher, Transparenz in notwendige Kompromisse zu bringen und dokumentiert so auch die getroffenen Entscheidungen. Bei Umbauten im Bestand kommen hier besondere Herausforderungen auf das Planungsteam zu. Bei der Anpassung des Ideallayouts an die örtlichen Gegebenheiten kommen nun weitere Aspekte hinzu. Reinraumproduktionen un­terliegen häufigen Änderungen, das bedeutet, dass das Gebäude ein Höchstmaß an planerischer Freiheit ermöglichen sollte. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Erschließung und das Tragwerk. Stützen, Schächte und Treppenhäuser müssen so angeordnet sein, dass sie spätere Umbauten ermöglichen und das Produktionslayout so wenig wie möglich behindern.

Auch sollte immer untersucht werden, wie das Gebäude oder der Reinraum im Gebäude erweitert werden kann, ohne den Produktionsprozess im laufenden Betrieb zu stören oder zu gefährden. Hierbei spielt auch der Brandschutz eine große Rolle. Es ist empfehlenswert, die Brandabschnitte nach der Industriebaurichtline auszulegen, um große zusammenhängende Flächen zu bilden, die eine maximale Flexibilität bieten.

Reinraumstatus schützen

Allerdings gibt es hierbei mehrere Zielkonflikte zu lösen. Zum einen müssen Entrauchungsanlagen regelmäßig getestet werden. Das Öffnen des Reinraums zur Außenluft hebt allerdings den Reinraumstatus auf, was in der Regel dazu führt, dass Produkte verloren gehen und das ist teuer. Hier müssen intelligente Lösungen gefunden werden, wie die Tests durchzuführen sind, ohne dass der Reinraumstatus gefährdet wird.

Erforderliche Geschosshöhen ermitteln: Die Wartungsebene über der Reinraumdecke benötigt aufgrund der Luftfilteranlagen oft mehr Platz, als das bei gewöhnlichen Industriedecken der Fall ist
Foto: RSE+/Markus Guhl Architekturfotografie

Erforderliche Geschosshöhen ermitteln: Die Wartungsebene über der Reinraumdecke benötigt aufgrund der Luftfilteranlagen oft mehr Platz, als das bei gewöhnlichen Industriedecken der Fall ist
Foto: RSE+/Markus Guhl Architekturfotografie

Auch automatische Feuerlöscheinrichtungen, wie Sprinkler, sind eine Gefahr für den Reinraum. Hier müssen alle Szenarien durchgespielt werden, um sicher zu stellen, dass die Anlage keine Fehlauslösungen produziert, jedoch im Brandfall zuverlässig ihre Aufgabe erfüllt. Fluchtwege müssen direkt aus dem Reinraum, möglichst ins Freie führen. Das führt gleich zu zwei Problemen. Einerseits ist jede Öffnung im Reinraum eine potenzielle Schwachstelle, andererseits hebt ein Öffnen der Fluchttür den Reinraumstatus auf.

Zu allem Überfluss sind die meisten Brandschutzeinrichtungen, wie Brandschutztore oder Förderanlagenabschlüsse, nicht für die Anwendung im Reinraum zertifiziert. Hier müssen mit dem Bauherrn und seiner Qualitätssicherung Lösungen gefunden werden, die den Reinraum und damit das Produkt schützen. Ein weiteres Feld, auf dem es im Team Lösungen zu finden gilt, ist das Arbeitsrecht, insbesondere bei den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR). Auch hier gilt es, widersprüchliche Anforderungen zu vereinen.

Zielkonflikte mit dem Mensch

Zum Beispiel sind in vielen Arbeitsräumen rutschhemmende Fußböden vorgeschrieben. Diese lassen sich jedoch in der Regel nicht gut reinigen, was im Widerspruch zur Reinraum­anforderung steht. Die Anforderungen für ­ständige Arbeitsplätze an die Versorgung mit Tageslicht stehen unter Umständen im Wi­derspruch zu den Anforderungen an die Klimakonstanz. In Schleusenprozessen ist es immer wieder eine Herausforderung, barrierefreie Zugänge und die Hygieneanforderungen unter einen Hut zu bekommen.

Der Reiz der Planung von Reinräumen liegt in der Komplexität der Aufgabe. Über den aus Architektensicht wichtigsten Aspekt haben wir jedoch noch nicht gesprochen. Die Gestaltung. Reinraumprojekte vermitteln auf Grund ihrer technischen Komplexität immer den Eindruck, es ginge nur um die Maschine. Das ist in vielen Projekten sicherlich der Fall und die Menschen, die im Reinraum arbeiten, werden nur als das größte Risiko für den Reinraum betrachtet. Man kann die Aufgabe allerdings auch anders sehen: Gestaltung in Reinraumprojekten sollte aus meiner Sicht vor allem denjenigen zugutekommen, die in diesen Gebäuden arbeiten. Eine Nachtschicht mit Vollschutz-Reinraumkleidung ist anstrengend und der Weg über Umkleide und Schleuse in und aus dem Reinraum ist nichts, auf das man sich freut. Zudem ist jede Handlung im Reinraum definiert und unterliegt, besonders in pharmazeutischen Reinräumen, besonderen Handlungsanweisungen. Das bedeutet, dass ich als derjenige, der für die Gestaltung zuständig ist, die Orte und Bereiche im Projekt finden muss, an denen ich die Arbeitsumgebung für die Mitarbeitenden meines Kunden durch die entsprechende Gestaltung besser machen kann.

Gestaltung wirkt

Das beginnt beim Weg zur Arbeit, bei der Fassade und der Erschließung und führt weiter über die Umkleide- und Schleusenbereiche bis hin zur Gestaltung des Reinraums selbst. Natürlich ist es naheliegend, einen Reinraum komplett weiß und hell zu machen. Das hilft der Beleuchtung, ist leicht zu reinigen und steht auch als Farbe für Reinheit. Aber gerade hier sind wir Architekten und Planer gefordert, mehr zu wagen und unsere Bauherren mitzunehmen. Es ist wichtig, nicht nur den Pausenbereichen in Produktionsgebäuden, sondern vor allem den Reinraumproduktionen ein besonderes Augenmerk zu widmen. Hier müssen wir Planer das Maximum für die Mitarbeitenden herausholen, damit die Pause wirklich die Erholung unterstützt, bevor es wieder zurück in den Reinraum geht.

Die Reinraumtechnik entwickelt sich ständig weiter, inzwischen wird in Branchen unter Reinraumbedingungen produziert, die noch vor wenigen Jahren davon nicht betroffen waren. Auch schreitet die Automatisierung der Produktionsprozesse immer weiter voran. Das führt zu einem immer größeren Bedarf an Fachkräften, die in vielen Bereichen selten geworden sind. Hier kann Gestaltung und kluge Planung helfen, Arbeitsplätze positiv zu beeinflussen und die Personalsuche zu unterstützen. So kann ein Projekt ein Standortvorteil werden.

Autor: Lukas Holzinger ist Architekt und Geschäftsführender Gesellschafter der RSE+ Architekten Ingenieure GmbH. Seit 2022 ist er im Vorstand des DRRI, des Deutschen Reinraum Instituts e.V.
www.rse.plus/de
www. reinraum-institut.de
Foto: RSE+ / David Matthiessen Fotografie

Autor: Lukas Holzinger ist Architekt und Geschäftsführender Gesellschafter der RSE+ Architekten Ingenieure GmbH. Seit 2022 ist er im Vorstand des DRRI, des Deutschen Reinraum Instituts e.V.
www.rse.plus/de
www. reinraum-institut.de
Foto: RSE+ / David Matthiessen Fotografie

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