EXPO2000, Hannover. Ein Besuch u. a. bei „HY_live“

Tatsächlich ist die Hannover Messe die mit dem größten Messegelände der Welt. 466 100 m2 Hallenfläche und knappe 60 000 m2 Freifläche, dazu ein eigener Bahnhof, kilometerlange Fußwege, zahlreiche Brückenbauten und Hallennummern, die bis 27 reichen. Das beschreibt allerdings nur den Kern einer gut funktionierenden Ausstellungsapparatur. Es gibt noch einen Appendix: das ehemalige EXPO2000- Gelände. Wir haben uns diesen Messe-Anhang einmal angeschaut und waren überrascht von der dort spürbaren unternehmerischen Energie und bestärkt in der Ahnung, dass dort zugleich viel Stillstand ist.

Zuletzt war ich im September 2000 auf dem EXPO-Gelände. Die Bertelsmann Fachzeitschriften, Profitcenter eines Mediengiganten und einer der großen Player auf der EXPO, hatte in den Rundling „Planet M“ (M wie Medien) eingeladen (Architekten: Triad Architekten und Becker Gewers Kühn & Kühn Architekten). Das Thema: „Die Sinnhaftigkeit von EXPO Veranstaltungen für die Architektur“. Was nicht nur sperrig klingt, es kam auch wenig dabei heraus. Die historische Rückschau zeigte Kontinuität und grundsätzliche „Erschöpfung“ eines kreativen wie ökonomischen Potenzials solcherart Veranstaltungen (Wolfgang Pehnt): „so, wie der Mensch seinen Blinddarm mit sich herumträgt, so wird er sicherlich auch an der Weltausstellung festhalten“ (Pehnt). Er hat, bzw. die folgenden Welt-EXPOs haben es gezeigt.

Pavillon Finnland (Architektur: Sarlotta Narjus und Antti-Matti Siikala, Helsinki), heute Firmensitz vieler kleiner Start-ups.
Foto: Benedikt Kraft

Pavillon Finnland (Architektur: Sarlotta Narjus und Antti-Matti Siikala, Helsinki), heute Firmensitz vieler kleiner Start-ups.
Foto: Benedikt Kraft

Die Rolle der Architektur wurde im EXPO-Rahmen als untergeordnet klassifiziert, Architekten wären den Veranstaltern lästig gewesen, ihre Arbeiten hätten lediglich „eine gewisse Attraktivität“ haben müssen, so Meinhard von Gerkan.

Das Motto der EXPO „Mensch – Natur – Technik: Eine neue Welt entsteht“ war dem Millenium-Wechsel geschuldet. In gleicher Weise anspruchsvoll wie zeitgeistig war die Anforderung an die EXPO-Teilnehmerinnen, ihre Beiträge, also vor allem die Bauten, müssten nachhaltig sein. Der Nachnutzen bzw. die Rückbauoptionen musste jede Nation offenlegen, wenn sie mit einem Bauwerk vor Ort war.

Pavillonensemble Dänemark (Architektur: Peter Nysted, Kopenhagen), heute Eventlokation
Foto: Benedikt Kraft

Pavillonensemble Dänemark (Architektur: Peter Nysted, Kopenhagen), heute Eventlokation
Foto: Benedikt Kraft

Tatsächlich wurde da mehr draus, als in der (Autoren-)Erinnerung vorhanden ist. So werden aktuell einige Nationenpavillons von jungen, aber auch schon etablierten Unternehmen genutzt, ein erheblicher Teil auch von der Hochschule Hannover (so beispielsweise Planet M). Transloziert wurden die Nationenpavillons von Jordanien (auf dem Klagesmarkt in Hannover), von Sri Lanka (Lagerhalle in Krefeld), von Mexiko (Bibliothek der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig), von Kolumbien (Allerpark, Wolfsburg) und natürlich der damals sehr und mit Recht gefeierte Schweizer Pavillon (von Peter Zumthor), eigentlich ein bloß kunstvoll aufgeschichteter Holzstapel, ein „Klangraum“, wie ihn die Schweizer nannten, dessen Material als Bauholz beim „Globe of Science and Innovation“ am Schweizer CERN in Meyrin Verwendung fand sowie in Teilen auf der Schweizer Landesausstellung Expo.02.

Soll 2025 Zentrum einer hippen Wohnanlage sein: der ehemalige Nationenpavillon der Niederlande,  oben schon mit Beton statt der Baumstämme (Arch.: MVRDV)
Foto: Benedikt Kraft

Soll 2025 Zentrum einer hippen Wohnanlage sein: der ehemalige Nationenpavillon der Niederlande,  oben schon mit Beton statt der Baumstämme (Arch.: MVRDV)
Foto: Benedikt Kraft

Ehemaliger Nationenpavillon der Niederlande (Architektur: MVRDV)
Foto: Benedikt Kraft

Ehemaliger Nationenpavillon der Niederlande (Architektur: MVRDV)
Foto: Benedikt Kraft

Die Pavillons Rumäniens, Äthiopiens, Italiens, Portugals oder Venezuelas, sie alle gingen in ihr Heimatland zurück und dienen dort bis heute unterschiedlichen Zwecken. Abgerissen wurden nach Vandalismus (und langem Leerstand) bereits die Bauten von Spanien und Polen. Nicht unerwähnt soll bleiben der ökomenische Christus-Pavillon Meinhard von Gerkans, der direkt nach EXPO-Ende abgebaut und im Kloster Volkenroda wieder errichtet wurde. Dort übernimmt er die Funktion des nicht mehr erhaltenen Längsschiffs der historischen Klosterkirche.

Leerstand: türkischer Pavillon (Arch.: Tabanlioglu Architecture & Consulting), rechts der Pavillon Schwedens, in Teilen transloziert
Foto: Benedikt Kraft

Leerstand: türkischer Pavillon (Arch.: Tabanlioglu Architecture & Consulting), rechts der Pavillon Schwedens, in Teilen transloziert
Foto: Benedikt Kraft

Erst die Schönheit der Ruine, dann „HY_live“

Aktuell stehen noch drei Pavillons leer, so die der Türkei und Litauens, beiden bekommen Leerstand und Vandalismus ganz offensichtlich schlecht. Leer stand lange auch das Lieblingskind der damals 18 Mio. Besucherinnen: Der Nationenpavillon der Niederlande, deren Landschaften nach einem Entwurf von MVRDV in die Höhe gestapelt worden waren. Gut 40 m hoch ragt die Beton-Stahl-Holz-Konstruktion heute noch, sie wird aktuell entkernt und Teil einer größeren Neubaumaßnahme. Die Planung hierfür hat der Urheber des Entwurfs, MVRDV, übernommen. MVRDV notiert auf der Webseite zum Projekt länger schon „Schönheit der Ruine“. Der Grundstein wurde im Mai 2023 gelegt, wer sich die Baustelle anschaut, sieht die Randbebauung aus Betonfertigteilen wachsen wie ebenso den komplett entkernten Pavillon. Der ist im Augenblick niedriger, denn der obere Abschluss auf dem Stahlrost fehlt. Ebenso fehlen die – aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass sie zum Einsatz kamen – Eichenstämme, die den Rost samt Aufbauten trugen. Das übernehmen seit ein paar Wochen moderne Betonstützen im sukzessiven Austausch gegen die Holzstämme.

Ehemaliger Nationenpavillon der Niederlande (Architektur: MVRDV)
Foto: Benedikt Kraft

Ehemaliger Nationenpavillon der Niederlande (Architektur: MVRDV)
Foto: Benedikt Kraft

In dem Neubau, der Pavillon und Randbebauung kombiniert, sollen Büros und Gastronomie (Pavilllon) untergebracht werden. Die 386 Mikro-Apartments, von denen bereits mehr als 60 % verkauft sein sollen, kommen in der bis zu neungeschossigen – aber immer noch deutlich niedrigeren – Randbebauung unter. Im dann einigermaßen zentral stehenden Pavillon, der wieder mit seiner charakteristischen, vom Volumen abgesetzten Treppen-/Rolltreppen-Erschließung hergestellt wird, sollen den Eigentümerinnen der Apartments eine große Lounge, Bibliothek, Fitnessraum, Dachterrasse und Bar zur Verfügung stehen. Und natürlich haben die Entwickler, ein Jointventure von DIE WOHNKOMPANIE Nord und der i Live Group, auch an Mobilitätskonzepte wie Car Sharing und E-Bikes gedacht. Der ÖPNV-Anschluss in die City liegt nur wenige Gehminuten entfernt am EXPO/Ost-Bahnhof (Architekten: Bertram, Bünemann & Partner). Von dort dauert es allerdings eine knappe halbe Stunde mit der Straßenbahn ins Zentrum Hannovers.

Ausgebrannt, nun verkauft: Pavillon Litauens (Arch.: Audrius Bucas)
Foto: Benedikt Kraft

Ausgebrannt, nun verkauft: Pavillon Litauens (Arch.: Audrius Bucas)
Foto: Benedikt Kraft

Ausgebrannt, nun verkauft: Pavillon Litauens (Arch.: Audrius Bucas)
Foto: Benedikt Kraft

Ausgebrannt, nun verkauft: Pavillon Litauens (Arch.: Audrius Bucas)
Foto: Benedikt Kraft

Geld mitbringen

Das Projekt am Rand des ehemaligen EXPO-Geländes mit Blick ins Grüne – oder auf die eher dröge Messebautenlandschaft – soll 2025 fertiggestellt sein. Dann werden etwa 90 Mio. € inves-tiert sein für ein Angebot mit rund 4 700 m² Arbeitsfläche, über 2 000 m² Co-Working-Flächen, einer Eventlocation, die schon genannten knapp 400 „stylischen Mikroapartments“ der i Live Group GmbH mit „hochwertiger Ausstattung“ inkl. Küche, Bad & Balkon, zahlreiche „Community-Angebote“ (Freizeit, Lernen, Sport, Party und Unterhaltung) und – damit wird ein Schuh draus – ca. 4 500 m² Hochschulflächen für Lernen in verschiedenen Raumkonstellationen. „HY_live“ wird damit den Trend der EXPO-Um- und Weiternutzung aufnehmen, dass sich auf dem Gelände mehr und mehr Hochschulaktivitäten etablieren: „Der Campus soll Studenten, Lehrkräfte, die Gründerszene sowie kleine und mittelgroße Unternehmen ansprechen“ (DIE WOHNKOMPANIE Nord). Die dann aber wohl etwas Geld mitbringen müssen, das Wohnen am städtischen Rand wird nicht günstiger sein als in der City. Von der aus man dann allerdings wieder einen langen Weg zum Campus hätte.

Weltausstellung als Zukunftsinkubator?

Dass der „Holländer“, so nennen die Einheimischen und EXPO-Gelände-Nutzer den ehemaligen Nationen-Pavillon, nun gerettet scheint, verdankt er ganz offensichtlich zweierlei: Einmal steht der Bau mit damals über 2 Mio. Besucherinnen bis heute im Fokus des Nachnutzer-
Interesses. Dann ist er, im Vergleich zu Nachbarbauten, von seiner offenen Tragstruktur her leicht zu bearbeiten. Leichter als beispielsweise der Pavillon aus Litauen ein paar hundert Meter entfernt, dessen verglaste Fronten im ansonsten Bubble-seienden Bauwerk längst eingeworfen sind, ein Bauzaum soll von weiterem Vandalismus abhalten. Oder der türkische Pavillon, ebenfalls ganz nah, ebenfalls mit zerbrochenem Glas in der Fassade, eine Architektur, die sich wegduckt, nicht gesehen werden will, aber sicherlich Potenzial zur Weiternutzung hat.

Die meisten Grundstücke auf dem EXPO-Park genannten ehemaligen Ausstellungsgelände sind verkauft. Die städtische Hanova-Tochter, die „Expo-Grund“ hat die letzten Verkäufe 2019 abgewickelt und sich damit selbst überflüssig gemacht. Der Verkauf der Grundstücke – meist an Investoren, die hier Start-ups sehen und sogenannte „Zukunftstechnologie“ – hat allerdings nicht die große Frage abschließend beantwortet, wie man ein solches Flächenpotenzial und insbesondere das Thema der Weiternutzung kreativer hätte verfolgen müssen. Die Entwicklung des EXPO-Parks folgte eher äußeren Zwängen und weniger der Notwendigkeit, Stadt zu entwickeln und über Zukunftsfragen des Weiterbauens zu reflektieren. Von daher gesehen ist die EXPO-Geschichte mit ihrem Versprechen, Weltausstellung als Zukunftsinkubator zu sein, in Hannover definitiv am Ende. Benedikt Kraft / DBZ

www.hylive.de, www.wohnkompanie.de, www.expo-campus-hannover.de
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