Honorar bei verlängerter Objektüberwachung
Das Thema Honorar ist in aller Munde. Ob es um die Sicherung des Architektenhonorars oder ob es um Ansprüche auf zusätzliches Honorar geht, die Honorarfrage im Allgemeinen ist wichtiger denn je. Ein Update zur Honoraraufstockungklage gegen öffentliche Auftraggeber.
Eine heiß diskutierte Frage ist die, ab wann ein Architekt mehr Honorar von seinem Auftraggeber verlangen kann, wenn sich die Objektüberwachungszeit erheblich verlängert. Die Beispiele können in der Praxis vielfältig sein. Aktuell verlängern etwa aufgrund von Materialknappheit hervorgerufene Baustopps die Objektüberwachungszeit. Der einmal vom Architekten kalkulierte Aufwand für die Bauüberwachung beträgt nun zum Beispiel statt acht Monaten 30 Monate. Würde man den Architekten an seinem ursprünglichen Honorar festhalten wollen, hätte dies zufolge, dass der ganze Auftrag für ihn defizitär wäre, er sogar noch Geld für die Objektüberwachung mitbringen müsste. Ist das noch gerecht? Ab wann steht dem Architekten per Gesetz ein Anspruch auf Honorarerhöhung zu? Wie sollte sich der Architekt bestenfalls vertraglich gegen eine Verlängerung der Objektüberwachungszeit absichern?
Grundsatz: Die Bauüberwachungszeit verlängert sich, das Honorar für die Leistungsphase 8 bleibt gleich.
Das Preismodell der HOAI geht nicht von einer zeitbasierten Vergütung des Architekten aus. Die Vergütung wird nach anrechenbaren Baukosten, Honorarzonen und Honorarsätzen berechnet. In der Berechnung spielt der Faktor Zeit keine direkte Rolle. Demnach fehlt es an einer preislichen Regelung in der HOAI für die Leistungsphase 8, wenn sich die Objektüberwachungszeit verlängert. Dies gilt im Grunde auch bei einer Pauschalhonorarvereinbarung für die Bauüberwachung. Ohne eine anders lautende vertragliche Regelung bleibt es daher grundsätzlich bei dem vereinbarten Honorar oder der Berechnung nach der HOAI für die Leistungen der Leistungsphase 8. Die Bauüberwachungszeit geht hoch, das Honorar dafür bleibt gleich. Ein vom Architekten kalkulierter Gewinn schmälert sich und wird aufgezehrt, bis die denkbar ungünstigste Situation eintritt, dass der Architekt immer weiter leisten muss, was ihn intern viel Geld kostet (Löhne, keine Kapazitäten für andere Projekte) und er kein Honorar vom Auftraggeber dafür bekommt.
Anspruch aus Gesetz: Störung der Geschäftsgrundlage 313 BGB
Sofern der Architekt dann denkt, er wird am Ende schon mehr Geld bekommen, wenn er sich nur auf die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB beruft, dann bleibt dies ganz oft Wunschdenken und scheitert in der Praxis an hohen Anforderungen.
Die Geschäftsgrundlage des Vertrages zwischen Architekt und Auftraggeber kann gestört sein, wenn z. B. Kriege oder Pandemien Auswirkungen auf vertragliche Grundlagen wie die Bauüberwachungszeit haben und die Vertragsparteien dies vorher nicht wissen konnten. Eine Störung ist auch dann gegeben, wenn die Parteien die Bauüberwachungszeit durch falsche Annahmen bei Vertragsabschluss fehlerhaft berechnet haben. Hingegen tritt keine Störung der Geschäftsgrundlage ein, wenn der Bauunternehmer langsam oder mangelhaft arbeitet.
Voraussetzungen für die Störung der Geschäftsgrundlage
Für einen Anspruch aus der Störung der Geschäftsgrundlagen sind erforderlich:
– Umstände, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind;
– schwerwiegende Veränderungen dieser Umstände nach Vertragsschluss;
– Veränderungen waren für Parteien nicht vorhersehbar;
– hätten die Parteien diese Veränderungen vorhergesehen, hätten sie etwas anderes vereinbart;
– unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sowie der Risikoverteilung im Vertrag kann es einer Partei nicht zugemutet werden, dass am Vertrag unverändert festgehalten wird.
Bereits der Bundesgerichtshof (kurz nur: BGH) hat dies in seiner Entscheidung vom 30. September 2004 – VII ZR 456/01 – für die Überschreitung von Bauüberwachungszeiten erkannt. Die Parteien können bei Vertragsschluss einer geringen Überschreitung noch mit der Vereinbarung eines entsprechend höheren Honorars ausgleichen (Bauzeit als Faktor für die Entgeltbestimmung). Bei einer langfristigen bzw. erheblichen Verlängerung der Bauüberwachungszeit ist es aber für die Parteien nicht zumutbar, ein spekulatives Honorar zu vereinbaren, sodass dann eine Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen kann.
Berechnung nach dem Dreisatz genügt
Das Oberlandesgericht Dresden (kurz nur: OLG Dresden) hat mit Urteil vom 06.09.2018 für Aufsehen gesorgt, wonach auch eine Störung der Geschäftsgrundlage bei einer Bauüberwachungszeitüberschreitung angenommen worden ist und die Berechnung des Mehrhonorars sich nach dem vereinbarten Honorar bezogen auf die ursprünglich angedachte Bauüberwachungszeit, hochgerechnet auf die Überwachungszeitüberschreitung, vollziehe (einfache Dreisatzberechnung). Auf die Darlegung eines Mehraufwands kam es dem OLG Dresden gar nicht an, da das Honorar eines Architekten stets nicht aufwandsbezogen ermittelt werde. Es schätzte nach dem vereinbarten Honorar bezogen auf die ursprünglich angedachte Bauüberwachungszeit – im Rahmen einer Dreisatzberechnung – das Mehrhonorar für die Bauüberwachungszeitverlängerung. Ein tolles Urteil für Architekten. Allerdings ist es mit Vorsicht zu genießen, da es kaum auf andere Fälle anwendbar sein dürfte.
Konkrete bauablaufbezogene Darstellung erforderlich
Das OLG Köln (OLG Köln, Beschluss vom 22. Dezember 2021 – 16 U 182/20 –, Nichtzulassungsbeschwerde abgewiesen: BGH, Beschluss vom 08.11.2023 - VII ZR 16/22) erkennt dem Grunde nach eine Anspruchsmöglichkeit nach Störung der Geschäftsgrundlage an, weist die Berufung des Architekten gegen das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis jedoch ab. Zwar besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Honoraranpassung aus Störung der Geschäftsgrundlage aus § 313 BGB, wenn die oben genannten Voraussetzungen vorliegen, jedoch müsse der Architekt eine konkrete bauablaufbezogene Darstellung vorlegen, aus der sich eine Bauüberwachungszeitverlängerung ergebe, die nicht dem Risikobereich des Architekten unterliegt und tatsächlich die Bauüberwachungszeit als Geschäftsgrundlage betrifft. Eine einfache Berechnung im Dreisatz ohne konkrete bauablaufbezogene Darstellung sei demnach nicht möglich.
Wie muss eine konkrete bauablaufbezogene Darstellung aussehen?
Für eine konkrete bauablaufbezogene Darstellung sind einzelfallbezogene Nachweise über den adäquat-kausalen Zusammenhang zwischen Ursache (Behinderung der Bauzeit) und Wirkung (Verlängerung der Bauüberwachungszeit) erforderlich. Will der Architekt diese Fleißaufgabe meistern, muss er von Anfang an das Baugeschehen überblicken und vor allem alles sorgfältig und nachweisbar dokumentieren, sodass sich überhaupt ein konkreter Bauablauf darstellen lässt.
Dieser Nachweis ist in der Praxis ein großes Problem. Ohne den Einsatz von spezieller Software wird eine konkrete bauablaufbezogene Darstellung nicht gelingen. Auch die Beauftragung eines Baubetrieblers wird dann keine großen Erfolgschancen eröffnen. Sobald sich aus dem Architektenvertrag schon Zweifel ergeben, dass eine bestimmte Bauzeit bzw. Bauüberwachungszeit Geschäftsgrundlage geworden ist, scheitert der Anspruch.
Unzumutbarkeitsschwelle als ungewisse Hürde
Ferner bedarf es, wenn die bauablaufbezogene Darstellung der Überwachungszeitverlängerung gelingt, der Überschreitung einer Unzumutbarkeitsschwelle, ab der ein Anspruch auf Mehrhonorar überhaupt erst verlangt werden kann. Auch diese Voraussetzung ist eine Blackbox für den Architekten, da nicht einfach zu bestimmen sein dürfte, wann die Unzumutbarkeitsschwelle überschritten ist. Die vom BGH in einem Fall angenommene Schwelle von 20 % kann nicht auf jeden Fall angewandt werden, da der BGH selbst diese Schwelle als Einzelfallentscheidung ansieht. Dem Gericht steht diesbezüglich ein Schätzungsermessen zu. Somit könnte es sein, dass die Schwelle schon bei 15 % oder aber auch erst bei 30 % überschritten ist, was der Durchsetzung eines Anspruchs auf Mehrhonorar Schwierigkeiten bereitet und das Prozessrisiko auf dem Architekten lastet. Verlangt dieser 800 000 € mehr Honorar aus verlängerter Bauzeitüberwachung und verliert den Prozess bzw. bekommt z. B. nur 100 000 € zugesprochen, muss er die Gerichtskosten (inkl. Gutachterkosten) sowie die eigenen und gegnerischen Anwaltskosten in Höhe des Verlustes (100 % bzw. 87,5 %) tragen.
Risikobegrenzer: Konkrete vertragliche Regelung
Das Risiko eines ungewissen und teuren Prozesses lässt sich nur umgehen, wenn im Vertrag Vorkehrungen getroffen werden, die in Bezug auf die Berechnung eines zusätzlichen Honorars für Bauzeitüberwachungsverlängerungen keine Zweifel offenlassen. Die Vertragsgestaltung muss an dieser Stelle aber vielschichtige Regelungen treffen, sodass auch ein vom Auftraggeber behauptetes Mitverschulden des Bauüberwachers nicht den Anspruch auf zusätzliches Honorar scheitern lässt oder die Nachweisbarkeit derart erschwert ist, dass eine praktische Durchsetzung ausscheidet.
Update: Honoraraufstockungsklage gegen öffentliche Auftraggeber möglich
Ein weiteres Honorarthema wurde vom BGH (Beschluss vom 14.02.2024 – VII ZR 221/22) jüngst entschieden, weshalb an dieser Stelle hiervon berichtet werden soll.
Ob die zwingenden Mindest- und Höchstsätze der HOAI 2009/2013 nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 04.07.2019 – Rs. C-377/17) noch von deutschen Gerichten angewendet werden dürfen, erhitzte die Gemüter der Auftraggeber und Architekten immer dann, wenn der Architekt sein Honorar mit einer sogenannten Aufstockungsklage statt nach dem niedrigeren Pauschalhonorar nach den Mindestsätzen der HOAI 2009/2013 abzurechnen versuchte.
Nachdem der EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat, dass das zwingende Preisrecht der HOAI 2009/2013 (u. a. zwingende Mindest-/Höchstsätze) gegen EU-Recht verstößt, stellte sich die Frage, ob dieses zwingende Preisrecht der HOAI von einem deutschen Richter noch angewandt werden darf oder ob er nicht so entscheiden müsste, als wenn diese Regelungen nicht existent wären. Sofern die Richter das zwingende Preisrecht noch anwenden dürfen, könnten Architekten sich bei ihrer Schlussrechnung auf die zwingenden HOAI-Mindestsätze berufen und damit ihr einst vereinbartes Pauschalhonorar teilweise verdoppeln. Vom EuGH erging sodann eine weitere Entscheidung (EuGH, Urteil vom 18.01.2022 – Rs. C-261/20, so auch BGH, Urteil vom 02.06.2022 – VII ZR 229/19), wonach zumindest in Vertragsverhältnissen zwischen Privaten ohne EU-Auslandsberührung noch das zwingende HOAI-Preisrecht angewandt werden darf. In diesen Konstellationen war der Weg für die Aufstockungsklagen damit wieder frei. Die deutsche Rechtsprechung erklärte dies jedoch nicht für Vertragsverhältnisse mit öffentlichen Auftraggebern anwendbar. Daher wurde vertreten, dass Aufstockungsklagen gegen den öffentlichen Auftraggeber nicht möglich sind, da in diesen Vertragsverhältnissen das zwingende Preisrecht der HOAI nicht mehr angewendet werden dürfe.
Der BGH hat nun auch für diese Konstellation entschieden, dass das zwingende Preisrecht der HOAI 2009/2013 – soweit einschlägig – anzuwenden ist. Der BGH begründet dies damit, dass sich ein Staat (und alle dazugehörenden Subjekte) bei einer gegen ihn gerichteten Aufstockungsklage nicht zu seinem Vorteil auf die unmittelbare Wirkung der EU-Richtlinie berufen kann, weil er selbst es unterlassen hat, diese in deutsches Recht umzusetzen. Anderenfalls könnte er aus einer Pflichtverletzung einen Vorteil für sich ziehen, was abzulehnen ist. Wenn sich ein Staat auf die EU-Richtlinie berufen möchte, dann muss er diese vorher auch in eigenes Recht umsetzen. Damit sind Aufstockungsklagen auch gegen öffentliche Auftraggeber möglich, sofern die HOAI 2009/2013 Anwendung findet. Ein erheblicher Gewinn für Architekten.
Die Nutzung der männlichen Form in Fällen der Allgemeingültigkeit dient ausschließlich der Lesbarkeit juristischer Texte.
Autor: Jochen Mittenzwey, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Gesellschafter bei MO45LEGAL Rechtsanwälte und Notare
www.mo45.de, mittenzwey@mo45.de
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