Landesarbeitsgericht in Hamm: Zukunft ungewiss

Nun geht man eher nicht gerne zum Arbeitsgericht, der Anlass ist meist ein ernster und nicht selten geht es um die berufliche wie durchaus auch private Zukunft. Da sollte – vergleichbar auch mit der sogenannten „Healing Architecture“ – die Architektur nicht zusätzlich belastend wirken. Aber geht das? Kann ein Gerichtsgebäude, das Würde und Seriösität, Neutralität und Rechtssouveränität ausstrahlen sollte, auch wirken? Beruhigend, die Gemüter entspannend, die Unterlegenen tröstend? In Hamm steht das Landes­arbeitsgericht, eins von dreien in NRW, und es steht unter Druck. Trotz aller Qualiät und Wertschätzung durch seine Nutzer:innen. Und es hat einen neuen Fan, der hier schreibt.

Text: Benedikt Kraft/ DBZ

Südwestansicht des ins Grüne fliegenden Landesarbeitsgerichts in Hamm (Westf.)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Südwestansicht des ins Grüne fliegenden Landesarbeitsgerichts in Hamm (Westf.)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das Baugrundstück des Gerichts „liegt im Osten der Stadt, in einem Niederungsgebiet der ‚Ahse‘. Eine freie, das Gebäude umschließende Wiesenlandschaft, der im Süden gelegene Burghügel des Hauses ‚Mark‘ mit ringförmiger Gräfte und kräftigem Baumbestand, dazu die im Osten an der Soester Straße stehenden Einfamilienhäuser mit ihren Gärten, sind wesentliche, milieubestimmende Merkmal.“ So nachzulesen in der DBZ 11/1979, S. 1651. Und obwohl das nun bereits fast ein halbes Jahrhundert her ist, passt es noch, das Bild vom Milieu.

Von der Marker Allee orthognol südöstlich ausgerichtet, wird der leicht hochgelagerte Bau in Richtung offene Wiesenlandschaft von drei Geschossen auf eins reduziert. Die Hochlagerung (Flutschutz) läßt den sich zum Grünraum abwärts staffelnden Riegel fliegen. Kein Wunder, dass wir am Bug des Fliegers zwei öffentlich zugängliche Terrassen finden – und nicht, wie es auch möglich gewesen wäre, die Räume der Gerichtsdirektion. Die Flugbewegung ergibt sich aus dem natürlichen Geländeabfall und wird verstärkt durch die zusätzliche Hochlagerung; das natürliche Gefälle hätte eine ausreichende Geschosshöhe unter dem EG nicht möglich gemacht. So wird die Halle mit den Sitzungssälen auf beiden Seiten über eine imposante Freitreppe erschlossen, die ein Hinaufschreiten zu Güteverfahren oder Urteilsspruch erzwingt; eine Geste der Ehrerweisung aus vergangener Zeit.

Zum Teil werden die Räume heute anders genutzt

Nach Passage einer Stahlskulptur  des Bildhauers Carlernst Kürten (1921–2000) auf dem Treppenpodest und Durchschreiten der Sicherheitsschleusen gelangt man in die langgestreckte Halle, die von großen, aus in den Fliesenboden integrierten Kübeln wuchernden Grünpflanzen räumlich zoniert ist. Das viele Grün verschleiert die sagenhaften 80 m, die die Halle lang ist. Diese nun erschließt die sechs Sitzungssäle (je drei auf jeder Seite), Besprechungs- und Beratungs- sowie die Gäste-WCs. An ihrem Ende – eine Fensterfront zu den beiden Terrassen – liegen die Cafeteria (für Besucher:innen) sowie die Kantine für die Beschäftigten. Tageslichthell gemacht wird die Halle wird über verglaste, quergestellte Satteldächer. Diese Lichtdecke staffelt sich von einer Drei- auf eine Eingeschossigkeit ab.

Eine der beiden Terrassen am Ende der zentralen Halle
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Eine der beiden Terrassen am Ende der zentralen Halle
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Im 1. und 2. OG befinden sich die Einzelbüros der Richter:innen und Assistenzen, Abstell- und Schulungsräume, eine Bücherei, die Kanzlei, ein Leseraum etc. Zum Teil werden die Räume heute anders genutzt, als in der ursprünglichen Planung vorgesehen war. Im 3. OG sowie im UG sind Technik- und Lagerräume. Das UG ist in Teilen von Ost nach West durchlässig, was Überflutungsszenarien geschuldet ist.

Die Konstruktion ist aufgrund der bergbaulichen Vergangenheit beweglich gehalten. Der aus Beton-Fertigteilen realisierte Skelettbau hat ein Stützraster von 6 x 7,2 m. Der Innenausbau wurde – ebenfalls mit Blick auf mögliche Setzungen – in elementierter Leichtbauweise auf einem vom Konstruktionsraster getrennten Ausbauraster von 0,6  m gefertigt. Quer- und Längsaussteifung übernimmt, neben einigen Wandscheiben, der in Ortbeton erstellte Erschließungskern. Die Lastabtragung erfolgt über Deckenplatten und Unterzüge auf den auf Bohrpfählen gegründeten Stützen. Sichtbar ist die „Beweglichkeit“ der Konstruktion über ca. 10 cm breite, durch schwarze Gummilippen verdeckte Bewegungsfugen, die in den Übergängen zwischen größeren Bauabschnitten platziert sind. Die Fassade mit Zweischeibenverglasung besteht aus wunderbar bewitterten Alu-Zinkblech­elementen, deren Dämmwerte heutigen Standards nicht mehr genügen. Und damit kommen wir im Heute an und zitieren aus der lokalen Presse: „Gebäude mit großem Sanierungsbedarf: Landesarbeitsgericht steht unter Denkmalschutz“.

Ausgang aus der Halle mit Blick auf Klimaanlage und Grünpflanzungen
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Ausgang aus der Halle mit Blick auf Klimaanlage und Grünpflanzungen
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Bis heute ist die Unterschutzstellung nicht abschließend ausgesprochen

Seit August 2021 ist das so, aber es ist noch ein vorläufiger Schutz, den die Obere Denkmalbehörde bei der Bezirksregierung Arnsberg dem gerade einmal 43 Jahre alten Gebäude zusprach, eine Entscheidung, die in Monaten der Diskussion um die Zukunft dieser Architektur einen Orientierungs-, Reibungspunkt setzte. Die Bezirksregierung attes-tierte auf Initiative der LWL-Denkmalpflege für Westfalen damals dem „Dienstgebäude für Arbeits- und Landesarbeitsgericht“ herausragenden  Symbolwert für die Architektur deutscher Arbeitsgerichtsbarkeit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bis heute allerdings ist nicht klar, ob das Gebäude tatsächlich unter Schutz gestellt wird. Auch ist nicht klar, auf welche Teile des Baus sich ein solcher Status erstrecken würde, von einem Ensembleschutz – Haus in Landschaft – war bisher nicht die Rede. Ein Denkmal bleibt nur am Leben, wenn es einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden kann. Oder besser noch: Wenn es weiter genutzt wird. Das scheint aus Mietersicht nicht mehr unbedingt gegeben zu sein; beide Gerichte hatten 2020 schon nach Alternativstandorten in Hamm gesucht. Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) prüft, so in einer Stellungnahme, seit Mitte 2022 verschiedene Optionen, darunter auch eine Kernsanierung unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes. Lüftungssystem und Heizung seien dringend sanierungsbedürftig, die Technik insgesamt wie die Kommunikationstechnik im Speziellen hat keine, den aktuellen Bedürfnissen der Justiz entsprechenden Anpassungen erlebt. Wegen der unzureichenden Dämmung wird es im Sommer in den Büros und Sitzungssälen drückend heiß, im Winter erfrischend kalt. Der aussenliegende Sonnenschutz ist marode und abrissgefährdet. Die Architektur selbst wird dagegen von Mieterseite aus positiv wahrgenommen: Das Haus bietet geräumige Orte wie Foyer und Säle, die Fenster erlauben Ausblicke ins Grüne.

Eine denkmalgerechte Sanierung wird sich in der Miete niederschlagen, was dazu führen könnte, dass sie damit deutlich höher läge, als Landesbestimmungen wie das „Mietausgabenbudgetierungsverfahren“ das zulassen. Und dabei spielt es keine Rolle, ob die Nutzer:innen das Gebäude für ihre Zwecke für geeignet halten. Das vor Augen, erklärt die aktive Suche nach möglichen anderen Standorten, die dann vielleicht bezahlbarer wären, aber nur dann, wenn der Nutzen des leergezogenen Hauses außer Acht bliebe. Eine Sanierung erscheint möglich, die Nutzung für hochwertige Büroräume eines Unternehmens sinnvoll. 

Grundriss EG, o. M.
Abb.: Architekten

Grundriss EG, o. M.
Abb.: Architekten

Rechtsprechung kann nicht warten

Doch die einfachere und symbolstärkere Lösung wäre eine Rettung des Gebäudes, die auch dazu beiträgt, den umliegenden Landschaftsraum als solchen zu erhalten und in ihm zu wirken: sinnbildlich und physisch. Ob die Mieter nun warten, bis das Landesministerium seine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung abgeschlossen hat? Eher nicht, Rechtsprechung kann nicht warten. Damit könnte, wie an vielen anderen Stellen öffentlichen Immobilienbesitzes, dauerhafter Leerstand erzeugt werden, dessen Folgen später als Null-Acht-Fünfzehn-Argument für den Abriss bereitstehen.

Das Gerichtsgebäude entstand von 1974 bis 1978 nach Plänen des Aachener Architekten Karl-Peter Schliewe (1929-2014). Er leitete damals die Zentrale Planungsstelle zur Rationalisierung von Landesbauten (ZPL) am Standort Aachen und war Gründungsdirektor des Landesinstituts für Bauwesen und angewandte Bauschadensforschung (LBB) des Landes NRW. Ihm und seinem Team haben wir Bauzeugnisse einer Zeit zu verdanken, die das rationale Bauen mit Architekturgestaltung zusammen gedacht hat. 

www.blb.nrw.de

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