Liebe Leserinnen und Leser! 

Das Interessante an der Beziehung von Licht und Architektur ist, dass sie sich gewissermaßen gegenseitig bedingen. Auf der einen Seite wird die architektonische Form erst mit der Hinzunahme von Licht sichtbar und es sind vor allem die Kontraste von Licht und Schatten, die ein Objekt dreidimensional und lebendig erscheinen lassen. Auf der anderen Seite steht das Licht selten selbst im Vordergrund, sondern macht sichtbar, was es erleuchtet, zum Beispiel Architektur. Die Bedeutung einer guten Lichtplanung für die Architektur kann also nicht überschätzt werden.

Auch wenn sich in den letzten Jahren die Möglichkeiten künstlicher Beleuchtung immer weiter ausdifferenziert haben – zugunsten intelligenter und effizienter Lichtsysteme sowie fein justierbarer Leuchten, die in der Lage sind, Tageslicht zu simulieren – so verschiebt sich der Fokus der Lichtplanung auf das Tageslicht, das eine immer größere Bedeutung im Kontext der dringlicher werdenden Nachhaltigkeit von Architektur erhält. Die Planung im Einklang mit natürlichem Licht gehört wahrscheinlich zu den ältesten Aufgaben der Baukunst, das Licht ist Teil ihrer Definition. Heute sind Planerinnen in der Lage, das Tageslicht klug mit künstlichem Licht zu unterstützen und beides in Einklang zu bringen, sodass Räume für jede Tages- und Nachtzeit wohltuend beleuchtet sind.

Wie das am besten gelingt, haben wir mit unseren Heftpartnern dieser Ausgabe diskutiert, dem Hamburger Büro Licht 01. Katja Winkelmann und Robert von Sichart haben dabei erfrischend klare Kriterien aufgestellt, was eine gute Lichtplanung ausmacht: Zuallererst darf Licht niemals blenden, nie direkt in unsere Augen fallen. Und es sollte nie wahllos Räume hell machen, sondern immer gezielt die architektonischen Qualitäten unterstützen, indem einzelne Elemente oder Flächen zum Strahlen gebracht werden. Wie Licht eingesetzt wird, entscheiden die Lichtplanerinnen und Lichtplaner für jedes Projekt neu und gemeinsam mit den Architektinnen und Architekten. Wie Sie in unserem DBZ-Podcast hören können, sprachen wir mit Katja Winkelmann außerdem über das Thema Licht im Stadtraum. Denn als Mitglied im Lichtbeirat der Stadt Hamburg beschäftigt sie sich neben ihrer Bürotätigkeit auch mit dem öffentlichen Raum, dessen Beleuchtung immer in der Abwägung von Sicherheit und der zu vermeidenden Lichtverschmutzung entschieden werden muss.

Mit ihrer Erfahrung aus der Praxis unterstützten uns Licht 01 bei der Auswahl der in diesem Heft vorgestellten Projekte. Auch wenn sich die Typologien der Projekte und damit auch die Anforderung an die Lichtplanung stark unterscheiden, finden sie ihre Gemeinsamkeit in einem überlegten und akzentuierten Einsatz von Licht. Ihre Beleuchtung prägt den jeweiligen Charakter der Architektur oder verleiht ihm sogar etwas Künstlerisches. So unterstreichen die Lichtplanerinnen und -planer von Licht 01 im Foyer des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg die historische Architektur mit einem dezenten Einsatz von Kunstlicht und reagieren dabei auf die neue Innenraumgestaltung (S. 24 ff.). Andersherum im Charles Aznavour Konservatorium für Musik, Theater und Tanz im Süden von Paris: Dominique Coulon & Associés verleihen dem durch Lichtkanonen einfallenden Tageslicht verschiedene Farben und setzen so das schlichte Grau in Grau der Architektur in Szene (S. 30 ff.). Raumprägend sind auch die von notholt lighting design geplanten Lichtinstallationen in der denkmalgerecht sanierten Donner & Reuschel Privatbank in Hamburg (S. 38 ff.). Wie das Tageslicht sogar zum zentralen Gestaltungselement werden kann, zeigen Andres + Partner gemeinsam mit Klodwig & Partner Architekten anhand ihrer Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück (S. 44 ff.).

Ich hoffe, Sie finden in diesem Heft Ihre Planungsthemen wieder sowie zahlreiche neue Anregungen für kommende Projekte.

Viel Freude bei der Lektüre wünscht Ihnen

Natalie Scholder

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