Nachhaltige Netze digital planen

Wenn es um die sinnvolle Verwendung von vor Ort produzierter Energie aus regenerativen Quelle geht lohnt es sich, außerhalb der Box, also außerhalb des einzelnen Gebäudes zu denken. Denn auf Quartiersebene ergeben sich nicht nur Synergien, sondern Schwankungen bei Nutzungsverhalten oder der Erzeugung lassen sich auch besser abfedern. Dafür bedarf es jedoch intelligenter Systeme, die vorab auf ihren Komfort, ihre Effizienz und Robustheit geprüft werden müssen – am besten in digitalen Simulationen.

Text: Angela Krainer

Herzstück des Energiekonzepts der Überseeinsel sind zentrale Wärmepumpen mit einer thermischen Leis­tung von 3 000 kW, die mehr als 2/3 ihrer Wärme aus dem Weserwasser beziehen und zugleich zur sommerlichen Kälteerzeugung eingesetzt werden können. Ihr Betrieb richtet sich nach den Wetterprognosen und damit verbundenen Erzeugungsprofilen der 7 km entfernten Windkraftanlagen und der Photovoltaikdachanlagen im Quartier
Grafik: Überseeinsel GmbH

Herzstück des Energiekonzepts der Überseeinsel sind zentrale Wärmepumpen mit einer thermischen Leis­tung von 3 000 kW, die mehr als 2/3 ihrer Wärme aus dem Weserwasser beziehen und zugleich zur sommerlichen Kälteerzeugung eingesetzt werden können. Ihr Betrieb richtet sich nach den Wetterprognosen und damit verbundenen Erzeugungsprofilen der 7 km entfernten Windkraftanlagen und der Photovoltaikdachanlagen im Quartier
Grafik: Überseeinsel GmbH


Die Deutsche Energie Agentur ist klar und deutlich: „Eine integrierte Planung unserer Energieinfrastrukturen ist unerlässlich für ein klimaneutrales Energiesystem.“ Weiter heißt es in der dena-Studie „Energieinfrastrukturen im klimaneutralen Energiesystem“: „Die Entwicklung der Energietransportinfrastrukturen ermöglicht eine erfolgreiche Energiewende. Denn eine klimaneutrale, sichere und wirtschaftliche Energieversorgung funktioniert nur, wenn die Energie auch in der benötigten Form dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Da Planung und Bau dieser Infrastrukturen jedoch lange dauern können und aufeinander abgestimmt werden müssen, ist es wichtig, frühzeitig eine Idee davon zu entwickeln, wie unser zukünftiges klimaneutrales Energiesystem aussehen wird.“

Kurz und gut: „Planung ist alles, und ohne Planung ist alles nichts“, das ist der Kernsatz der dena-Studie. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die dena-Schlussfolgerungen im Grunde genommen für sämtliche Bauvorhaben Geltung haben und längst nicht mehr nur auf die übergeordneten Infrastrukturen beschränkt sein sollten. Heißt also, bereits auf der Quartiersebene ist die weitsichtige Planung der Energieinfrastrukturen ratsam. Dafür reicht ein Blick auf die Preisentwicklung der fossilen Energieträger in den vergangenen Wochen und Monaten. Ganz klar, auch ohne die momentane Krise sollte längst jedem Projektverantwortlichen klar sein, dass mindes-tens ein Energiemix eine Pflichtaufgabe ist.

Resiliente, lokale Energienetze benötigen ergo die frühzeitige, digitale Planung, um energieeffizientere Infrastrukturen zu ermöglichen. Gleichzeitig lässt sich damit deren Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit klar verifizieren. Grundsätzlich geht es dabei um vier Kriterien, die Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit nachvollziehbar belegen:

Komfort,

Wirtschaftlichkeit,

Autarkie und

Anteil der erneuerbaren Energien.

Unter Anderem werden folgende Fragen im Zuge des digitalen Planungsprozesses – eine entsprechend qualifizierte Software vorausgesetzt – valide beantwortet: Ist die ganzjährige Warmwasser- und Wärme- sowie Kälteversorgung gewährleistet (Komfort)? Stehen Aufwand und Ertrag der Energieinfrastruktur im richtigen Verhältnis, vor allem unter Berücksichtigung etwaiger Fördermittel (Wirtschaftlichkeit)? Geht die Anlage auch bei länger anhaltenden Kälteperioden nicht in die Knie? Genügt die dezentrale, vor Ort gebaute und genutzte Infrastruktur den an sie gestellten Ansprüchen (Autarkie)? Und entspricht der Anteil der erneuerbaren Energien der übergeordneten Klimapolitik (Anteil der erneuerbaren Energien)? Auch in diesem Punkt ist die Genehmigung von Fördermitteln an eine valide Planung geknüpft.

Mehr Zeit für die Planung

Diese vier Kriterien verlässlich zu bestimmen, generiert höhere Ansprüche an die Planung, da der Komplexitätsgrad wesentlich steigt. Die Digitalisierung dient hierbei als wichtiger Treiber, um diese Ziele zu erreichen und gleichzeitig die Planungsqualität zu verbessern. Es ist schlicht eine Effizienzsteigerung, um gesamtheitlicher zu planen.

Als Randnotiz lässt sich deshalb auch festhalten, dass das Berufsbild heutiger Planer:innen und Architekt:innen durch die beschriebenen Planungsaufwände auf den Kopf gestellt wird. Noch sind diese Planungsaufwände in vielen Projekten nicht mit einkalkuliert. Aus diesem Grund sollte bereits in der Frühphase eines jeden Projekts mehr Zeit für die Planung ermöglicht werden. Dass die Honorarordnung (HOAI) für Architekten und Ingenieure (auch) in diesem Zusammenhang nicht mehr zeitgemäß ist, versteht sich von selbst. Entweder müsste sich die HOAI grundsätzlich ändern oder andere Vergütungsmodelle müssten eingeführt werden. Fakt ist aber, dass sich – allein angesichts der Energiepreisentwicklung und des klimatischen Wandels – von der Regulatorik her etwas ändern müsste. Mehr Zeit für die Planung! – das ist ein Motto, das überall und sofort Geltung haben sollte.

Klar: Für jedes Einfamilienhaus eine granulare Planung in Erwägung zu ziehen, mag überdimensioniert sein, aber bereits auf Mehrfamilienhaus- und definitiv auf Quartiersebene spielt diese ihre vollen Stärken aus. Mehr Zeit für die Planung ermöglicht in frühen Projektphasen verschiedene Möglichkeiten, anhand der beschriebenen vier Kriterien verschiedene Szenarien durchzuspielen und sie den Investor:innen vorzustellen. Planer:innne, die in diesem Stadium verschiedene Technologien intelligent miteinander verknüpfen, ermöglichen energiewirtschaftliche Innovationen. Das ist in vielen Fallstudien eindrucksvoll nachgewiesen worden. Wie etwa in der norddeutschen Stadt Bremen.

Software wie Polysun von Vela Solaris kann heute bereits die Effizienz von ­Energiekonzepten für Qaurtiere vorab simulieren und so Schwachstellen wie Potenziale aufzeigen
Foto: Vela Solaris
Software wie Polysun von Vela Solaris kann heute bereits die Effizienz von ­Energiekonzepten für Qaurtiere vorab simulieren und so Schwachstellen wie Potenziale aufzeigen
Foto: Vela Solaris

Beispiel: Überseeinsel Bremen

Die Überseeinsel ist ein komplett neuer Stadtteil für die Hansestadt Bremen. Das Quartier entsteht derzeit auf dem ehemaligen Kellogg-­Areal. Das Besondere daran: Auf einer Teilfläche wird durch die Überseeinsel GmbH ein möglichst CO₂­-neutrales Energiekonzept mit strombasierter Wärme und Kälte umgesetzt. Die PBS Energiesys-teme GmbH, ein Planungsbüro für innovative Energie und Gebäudetechnik aus dem nordrhein­westfälischen Haan, bekam den Auftrag, die Machbarkeit des Energiesystems zu prüfen. Wichtigstes Detail: Die Weser sollte als Wärmequelle zur thermischen Versorgung integriert werden. Das Projekt wurde als Wärmenetz 4.0 geplant, mit entsprechend klaren Zielvorgaben des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in puncto des geforderten Anteils der erneuerbaren Quellen bei der Netzeinspeisung.

Erste Simulationen mit der Planungssoftware Polysun von Vela Solaris bestätigten allerdings, dass die Weser den Wärmebedarf nicht allein decken kann. PBS integrierte in einem weiteren Schritt einen Eisspeicher in die Gesamtplanung und definierte ein intelligent gesteuertes Sechsleiternetz, das Kühlen und Heizen mit Nieder- und Hochtemperaturanwendungen umfasst.

Als Reserve für die Spitzenlast wurde ein Blockheizkraftwerk und ein Spitzenlastkessel geplant. Das komplette Energiesystem inklusive der intelligenten Steuerung wurde in Polysun aufgebaut und energetisch simuliert. „Um die Förderziele im Rahmen des Wärmenetz 4.0 sicherzustellen, ist eine zuverlässige energetische Simulation zentral. Die Polysun­Software lieferte wegweisende Erkenntnisse bereits in einer frühen Planungsphase“, zieht Sebastian Grabowski, Projektingenieur der PBS Energiesysteme, ein zufriedenes Fazit.

Darüber hinaus war die Simulation auch in Sachen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Energie-­ und Sanierungskonzepts erfolgreich. Die mit der Software belegte Effizienz ermöglichte den Bezug von Fördermitteln. Das kann in der Tat als beispielhaft für viele andere Quartierkonzepte gelten. Denn sehr oft kommt es zu einem Umbau des vorhandenen Heizungsnetzes, das aus Hoch- (bestehende Heizkörper, Warmwasser) und Niedertemperatur­anlagen (Flächenheizung Neubaubereich) besteht. In der Simulationssoftware lassen sich für die geplante Sanierung verschiedene Varianten hinzufügen und durchrechnen beziehungsweise das von der Bauherrschaft angelegte Energiekonzept validieren. Im Zuge einer solchen Planung einer energetischen Sanierung kommt oft heraus, dass bei weiter voranschreitender Stromwende und steigender CO-Bepreisung das modernere, teils inves-titionsintensivere Energiekonzept unter Berücksichtigung der Betriebskosten deutlich zukunftsfähiger ist als etwa ein Weiterbetrieb mit Gas. Damit ließen sich die fördernden Institutionen auch bereits vor der aktuellen Energiekrise überzeugen – die energetische Sanierung des Quartiers ist gesichert.

Das Ergebnis dieser Simulation in Bremen ist also: Alle vier Kriterien ließen sich eindrucksvoll valide berechnen und auch die Grundlage für den Fördermittelbezug war damit gegeben.

Derlei Berechnungen werden in Zukunft zur Regel werden. Nur durch die softwaregestützte Planung ist die Robustheit der Energieinfrastruktur in verschiedenen Verbrauchsszenarien valide ermittelbar. Wetter- und Nutzungsbedingungen und sogar auch Klimaveränderungen lassen sich darin darstellen. Und das gilt nicht nur für Neubauten – auch im Zuge der Sanierung von Bestandsimmobilien können verschiedene Szenarien durchgespielt werden. Bauherr:innen erhalten auf diese Weise einen Eindruck, wie stark beeinflussbar einzelne Kennzahlen durch die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Technik oder Strategie sind. Darüber hinaus werden sie durch effiziente Nutzung der regenerativen Quellen unabhängiger von den konventionellen und kompensieren so die höheren Planungskosten um ein Vielfaches.


Förderung innovativer Energiekonzepte

Fakt ist außerdem, dass die Gesetzgeber:in mehr und mehr dazu übergeht, innovative Energiekonzepte intensiv zu fördern, etwa durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG), das energetische Anforderungen an beheizte oder klimatisierte Gebäude festlegt. Als Nachfolger des „Wärmenetz 4.0“ legt es großen Wert auf Planungsqualität und -genauigkeit und ebenso auf das Monitoring im laufenden Betrieb. Letztlich bildet das Gesetz die Grundlage für das Einstreichen von möglichen Fördermitteln.

Fazit: Softwaregestützte Simulation ist ein hervorragendes Werkzeug, um die Planung für resi-liente lokale Wärmenetze valide abzubilden. Bereits in einer frühen Projektphase darauf zu setzen, ermöglicht es Planer:innen, auch innovative Szenarien zu prüfen. Die Simulation mit adäquater Software ist die einzige Möglichkeit, die vier dafür notwendigen Kriterien (Komfort, Erneuerbare, Wirtschaftlichkeit, Autarkie) zu überprüfen.


Autorin: Angela Krainer ist Geschäftsführerin der
Vela Solaris AG
www.velasolaris.com
Foto: Vela Solaris

Autorin: Angela Krainer ist Geschäftsführerin der
Vela Solaris AG
www.velasolaris.com
Foto: Vela Solaris

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