Solare Energieversorgung –
ein Systemvergleich
Mittlerweile bietet der Markt eine Vielzahl von erneuerbaren Energiesystemen, mit denen sich sowohl neue als auch Bestandsgebäude im Sinne der Klimaschutzziele der Bundesregierung zukunftsfähig machen lassen. Aber wie sieht es mit deren Wirtschaftlichkeit aus? Und wie schneiden die beiden marktführenden Systeme im Vergleich ab – kann Solarthermie gegenüber Photovoltaik bei der dezentralen Energieversorgung von Wohngebäuden noch eine ernsthafte Alternative sein? Das waren die Kernfragen, die das Institut für Gebäude- und Solartechnik
(IGS) der Technischen Universität Braunschweig mit seiner vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Studie „future:solar – Systemanalyse zur solaren Energieversorgung“ beantworten wollte.
Die Untersuchung bewertet das technische und wirtschaftliche Potential von solaren Energieversorgungsvarianten: zum einen bezogen auf verschiedene Gebäudetypologien wie Ein- und Mehrfamilienhäuser bzw. Stadtquartiere, wobei gesondert zwischen Neubau und Bestandssanierung unterschieden wurde; zum anderen bezogen auf einen regenerativ erzeugten Energieanteil von 50 bzw. 100 % des jährlichen Gesamtenergiebedarfs.
Den Effizienzhaus-Plus-Kriterien des BMUB folgend, gilt der geforderte Deckungsgrad (50/100 %) für den Primär- und Endenergiebedarf. Die 100 %-Variante entspricht der Zielsetzung der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD, European Performance of Buildings Directive 2010/31/EU), die eine Umsetzung von „Nearly-zero energy buildings“ ab 2020 in Europa vorsieht. Da sich die Energiebilanz auf ein Jahr bezieht, die 50- bzw. 100-prozentige Deckung im Bilanzierungszeitraum also nicht durchgängig erreicht wird, darf man eine 100 %-Versorgung aus erneuerbaren Energiequellen nicht mit vollständiger Energieautarkie verwechseln.
Da auch der Nutzer- bzw. Haushaltsstrombedarf einbezogen wird, um dem steigenden Verbrauch in diesem Bereich Rechnung zu tragen, sind alle untersuchten Energieversorgungssysteme mit einer Photovoltaikanlage ausgerüstet. Bei den Stadtquartieren ist außerdem der Kältebedarf für Handel, Gewerbe und Dienstleistung zu berücksichtigen.
In einem ersten Schritt wurden Mustergebäude definiert und im 3D-Gebäudesimulationsmodell abgebildet. Aus statistischen Erhebungen und Bestandsdatenbanken wurden Lastprofile für den Heizwärmebedarf der Gebäudetypen erstellt. Diese Lastprofile liefern die Grundlage für die nachfolgenden Anlagensimulationen. Anhand von Klimadaten und Nutzerprofilen wurden anschließend Energiebedarfsprofile (thermisch und elektrisch) für die Gebäudekategorien berechnet, wobei in der Studie nur marktnahe Systeme Berücksichtigung fanden, Lösungen mit experimentellem Charakter und Prototypen blieben ausgeschlossen. Die unterschiedlichen Versorgungsvarianten wurden so dimensioniert, dass sie eine 50- oder 100-prozentige regenerative Energieversorgung in der Jahresbilanz sicherstellen können.
Folgende sechs Versorgungssysteme bildeten die Variantenmatrix:
Dem Schwerpunkt der Studie entsprechend stehen Variante 1 und Variante 2 für den Neubau im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen, auch weil es sich hier um zwei am Markt etablierte Systeme handelt. Näher betrachtet werden sollen die Mehrfamilienhäuser und Stadtquartiere.
Um einen solaren Deckungsanteil von 50 bzw. 100 % zu erreichen, wurden bei Systemvariante 1 (V1) die thermische Kollektorfläche, das Wasserspeichervolumen und die Peak-Leistung der PV-Anlage überschlägig ausgelegt und per Simulation iterativ dimensioniert. Für das Ziel einer 100 %-Deckung im Mehrfamilienhaus wurden eine 151 m2 große Kollektorfläche und ein 37,5 m3 Wasserspeicher in Anlehnung an das „Sonnenhaus-Konzept“ sowie eine PV-Anlage (34 kWp) kombiniert. Die Solltemperatur des Trinkwasserspeichers liegt über 60 °C.
Systemvariante 2 (V2) setzt sich aus einer elektrischen Wärmepumpenanlage mit Erdwärmesonden für die Heizung und Trinkwassererwärmung und einer PV-Anlage (32 kWp) zusammen. Die Wärmeübergabe erfolgt in beiden Systemvarianten im Neubau durch eine Fußbodenheizung mit niedrigen Vorlauftemperaturen (35 °C bei -12 °C Außentemperatur).
Bei Variante 1 stellt die thermische Solaranlage 27 % (im Szenario 50 % EE) bzw. 68 % (100 % EE) des Wärmebedarfs für Heizung und Trinkwasser bereit. Den verbleibenden Wärmebedarf gleicht der Gaskessel aus. Der Anteil des selbstgenutzten Stroms der PV-Anlage beträgt 36 % (50 % EE) bzw. 23 % (100 % EE). Das heißt, 59 – 73 % des Solarstroms müssen in das öffentliche Versorgungsnetz eingespeist werden.
Bei dem in Variante 2 simulierten „Nur-Strom-Konzept“ versorgt die elektrische Wärmepumpenanlage das Mehrfamilienhaus zu 100 % mit Wärme. Dadurch erhöht sich der Gesamtstrombedarf und folglich auch der Eigennutzungsanteil des von der PV-Anlage produzierten Stroms, er liegt bei 49 % (50 % EE) bzw. 31 % (100 % EE). Zwischen 50 und 65 % des Eigenstroms werden ins Versorgungsnetz eingespeist. Alle Werte lassen sich mit kleineren Abweichungen auch auf den Gebäudetyp Einfamilienhaus übertragen.
Damit ist eine regenerative Versorgung von 100 % zwar in der Jahresbilanz gewährleistet, aber noch keine Volldeckung, wie die monatliche Bilanzierung beweist. Beide Varianten müssen im Sommer ca. 80 % des Solarstroms ins Netz einspeisen. Vor allem bei System V2 steigt der Netzstromverbrauch im Winter deutlich an. Größere Ausbauszenarien dieser Variante erfordern somit nicht nur ein intelligentes Strom-Lastmanagement, um den Eigenstromnutzungsanteil zu erhöhen, sondern auch dezentrale Strom- und Wärmespeicher und die Transformation des öffentlichen Stromnetzes zum „Smart Grid“.
Für die ökonomische Beurteilung wurden spezifische Systemkosten ermittelt. Im Vergleich liegen die Investitionskosten der beiden Varianten bei einer 50 %-Versorgung aus erneuerbarer Energie auf einem ähnlichen Niveau. Das trifft auch auf die Jahresgesamtkosten zu, die sich hier zwischen 19,4 und 20,7 €/m²NGFa bewegen. Allerdings ist im Szenario 100 % EE bei Variante 1 eine deutliche Kostensteigerung (um ca. 9,8 €/ m²NGFa) zu verzeichnen, da hierfür ein Kollektorfeld von 151m² und ein Speichervolumen von 37,5 m³ benötigt werden. Bei Variante 2 bleiben die Jahresgesamtkosten dagegen fast identisch. Die beträchtlich sinkenden Energiekosten, nicht zuletzt durch die höheren Erlöse aus der Stromeinspeisung, können hier die gestiegenen Investitionskosten kompensieren. Die Kostenvorteile dieser Variante würden sogar noch deutlicher ausfallen, wenn man statt der Wärmepumpenanlage mit Erdsonden Luft/Wasser-Modelle wählt. Sollten die Strompreise weiterhin steigen und die PV-Systemkosten sinken, wie dies 2014 der Fall war (die Bruttokosten bei größeren PV-Anlagen für Mehrfamilienhäuser lagen bei unter 1 500 €/kWp), hat die „100 % EE“-Ausführung größere wirtschaftliche Attraktivität.
Die Untersuchungsprämisse, der zufolge regenerative Energien 50 bzw. 100 % des jährlichen Bedarfs von Wärme und Strom (inkl. Beleuchtung und Haushaltsgeräte) decken sollten, macht die Integration einer PV-Anlage in allen betrachteten Systemvarianten erforderlich. Deshalb ist die Größe der Dachflächen ein limitierender Faktor. Beim Neubau zeigt sich, dass die Dachflächen beim „50 % EE“-Szenario ausreichend Platz bieten für die Montage der ST-Kollektoren und PV-Module. Bei der Bestandssanierung (Satteldach) lässt sich nur Variante 2 realisieren, für Variante 1 müssten alternative Flächen (Fassade etc.) aktiviert werden. Eine 100-prozentige Versorgung aus erneuerbarer Energie ist beim Neubau bei optimaler Ausrichtung der Dachfläche (Pultdach) ebenfalls nur mit Variante 2 möglich. In der Bestandssanierung lässt sich das Ziel gar nicht umsetzen, hier erfordert der durchschnittlich höhere Energiebedarf eine größere solaraktive Fläche, für die ein Satteldach prinzipiell zu wenig Platz bietet.
Das Ziel der 50-prozentigen regenerativen Energieversorgung erreichen beide Systemvarianten unter etwa gleichen ökonomischen Bedingungen. Mit jährlichen Gesamtkosten von ca. 20 €/m²NGFa gehören sie zu den wirtschaftlichsten Systemlösungen in der Untersuchung. Bei der geforderten 100 %-Deckung des jährlichen Energiebedarfs aus erneuerbarer Energie in der Jahresbilanz offenbart Variante 2 deutliche ökonomische Vorteile. Durch die höhere Einspeisevergütung sinken die Jahresgesamtkosten sogar minimal trotz der knapp um die Hälfte gestiegenen Investitionskosten. Variante 1 verursacht hier einen deutlich höheren Kostenaufwand. Die Investitionskosten steigen fast um das Anderthalbfache und die Jahresgesamtkosten immer noch um die Hälfte, weil die Kollektorflächen und das Pufferspeichervolumen sich unverhältnismäßig stark vergrößern.
Beide Systemvarianten sind durchaus zweckmäßige Hilfsmittel, um den Klimaschutzzielen der Bundesregierung ein gutes Stück näher zu kommen. Bis zu einem Anteil von 50 % EE am Gesamtenergiebedarf sind die Varianten „Solarthermie+ Gaskessel+PV“ (V1) und „Wärmepumpe+PV“ (V2) im Neubau wie auch in der Sanierung wirtschaftlich gleichwertig. Bei einer 100 %-Deckung aus EE des jährlichen Wärme- und Strombedarfs besitzt Systemvariante 2 jedoch in allen untersuch-ten Bereichen deutliche wirtschaftliche Vorteile. Ein merklicher Ausbau dieses Systems würde allerdings das öffentliche Stromnetz durch steigende Einspeisungsquantitäten im Sommer und einen höheren Strombedarf im Winter stark belasten. Das wiederum setzt weitere Innovationsmaßnahmen voraus: den dezentralen Einsatz von Strom- und Wärmespeichern („Power-to-Heat“), ein intelligentes Strom-Lastmanagement zur Steigerung der Eigenstromnutzung und den Ausbau des öffentlichen Stromnetzes zum „Smart Grid“.
Innerhalb des simulierten Neubau-Musterquartiers entfallen 55 % der Fläche auf die Nutzungsform Wohnen, 30 % auf Dienstleis-tung/Verwaltung und 15 % auf den Handel. Die vier untersuchten Energieversorgungs-systeme basieren auf einer solarunterstützten Nahwärmeversorgung mit unterschiedlichen Ansätzen der Nacherwärmung. Alle Varianten verfügen über eine Photovoltaikanlage. Die Ergebnisse der Studie müssen in Bezug auf die Stadtquartiere noch vorläufig bleiben, da sie auf Annahmen beruhen, die in der Praxis kaum umsetzbar sind. Zudem können konkrete Aussagen zur Wirtschaftlichkeit nur in Verbindung mit einem Betreibermodell getroffen werden. Immerhin lassen sich folgende Kernaussagen ableiten: Auch hier begrenzen die zur Verfügung stehenden nutzbaren solaren Flächen (Dach und Fassade) die Möglichkeiten der regenerativen Energieversorgung. Bei einer maximalen Belegung ergeben sich Deckungsanteile zwischen 35 − 55 % am Endenergiebedarf bzw. 35 − 85 % am Primärenergiebedarf in der Simulation.
Eine weiterführende Untersuchung sollte möglichst umfassend Konzepte zur Quartiersversorgung mit Wärme, Kälte und Strom betrachten und neue Technologien im Gesamtkontext berücksichtigen. Einmal mehr muss das Ziel sein, die selbst erzeugte Energie innerhalb der Bilanzgrenze des Quartiers zu speichern, um möglichst hohe Eigennutzungs- und Eigendeckungsanteile zu erzielen. Dabei wären verschiedene Konzeptlösungen – wie eine elektrische Speicherung in Batterien, eine chemische Speicherung in Form von Wasserstoff bzw. Methan („Power-to-Gas“) oder eine Speicherung in Form von Wärme („Power-to-Heat“) – denkbar und entsprechend zu untersuchen.
/1/ Abschlussbericht zum F+E-Projekt: future:solar – Systemanalyse zur solaren Energieversorgung
Förderkennzeichen 0325990 A, Fördergeber: BMWi,
IGS, Technische Universität Braunschweig, Juni 2015
/2/ EnergiePLUS – Gebäude und Quartiere als erneuerbare Energiequellen
M. Norbert Fisch, Thomas Wilken, Christina Stähr
IGS, TU Braunschweig, 2013, ISBN 978-300391675