AktivPlus — Energie im Quartier
Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. M. Norbert Fisch

Herr Dr. Fisch, das AktivPlus-Haus muss, um sich als Standard durchzusetzen, wirtschaftlich sein. Ist es das?

Prof. Dr. Fisch: Der Erfolg eines Projektes besteht darin, dass es in der Breite umsetzbar ist. Natürlich steht für uns als praktisch arbeitende Ingenieure die Wirtschaftlichkeit immer auf der Agenda. Es geht um investive und operative Kosten, die meist von unterschiedlichen Beteiligten am Bauen getragen werden. Der AktivPlus-Gedanke setzt auf die Reduzierung des End- und Primärenergiebedarfs für die Wärme- und Stromversorgung durch wirtschaftlich abgestimmte Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs und Bereitstellung der Energie aus erneuerbaren Energiequellen. Um den Energiestandard AktivPlus wirtschaftlich ganzheitlich beurteilen zu können, täte man gut daran, die Gesamtkosten zu betrachten. Wir Ingenieure nennen das Vollkostenberechnung oder auch Lebenszykluskosten-Analyse.

Die im Aktiv-Stadthaus eingesetzten Technologien scheinen auf den ersten Blick aufwändig. Rechnet sich der AktivPlus-Gedanke?

Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass selbstproduzierter Strom aus Photovoltaik heute wirtschaftlich konkurrenzfähig ist gegenüber dem Netzstrom? AktivPlus-Technologie besteht zu einem großen Teil aus dezentral eingesetzten Photovoltaik-Anlagen oder BHKW, die Biomethan nutzen. Und wenn man den Strom in der Wärmepumpe veredelt, erreichen wir  Wärmepreise unter denen des heutigen äquivalenten Gaspreises von 6 bis 8 ct/kWh. PV-Strom vom Dach kostet heute ca. 10 bis 15 ct/kWh – und das bei einem Strompreis für End­kunden von 25 ct/kWh. Das nenne ich Wirtschaftlichkeit! Das sollte jeden Hausbesitzer auf die Idee bringen, den Solarstrom so weit wie möglich im eigenen Haus zu nutzen.

Es geht also auch um die Gebäudehülle?

Natürlich. Die vor uns stehende Ingenieuraufgabe ist, den Energiebedarf durch eine energieeffizient optimierte Hülle so weit zu reduzieren, dass die Kosten dieser Reduzierung gleich sind mit denen der eigenen Energieerzeugung aus Erneuerbaren Energiequellen. Oder anders ausgedrückt: Macht es Sinn, das Geld aus energetischen Gründen z. B. in eine Wärmerückgewinnung für eine Lüftung zu investieren oder ist es besser in eine Photovoltaik-Anlage investiert? Das ist ein Beispiel für die Optimierungsansätze des AktivPlus-Gedankens.

Sie bewohnen ein AktivPlus-Gebäude?

Ja selbst entwickelt, geplant und seit 2011 bewohnt. Das inzwischen abgeschlossene vierte Betriebsjahr hat das Konzept – Stromhaus inkl. E-Mobilität – und die Energieperformance zu 100 % bestätigt. Ich könnte mein eigenes AktivPlus-Haus auch ein „Money­Plus-Haus“ nennen, denn pro Jahr ergibt sich ein nennenswertes Plus zwischen Einspeisevergütung und Strombezugskosten. Ich kann mir heute keine bessere Investition vorstellen als eine Photovoltaik-Anlage auf dem eigenen Hausdach. Sie hat uns die Tür geöffnet, den Strom so günstig aus der Sonne zu produzieren, dass man damit einzelne Gebäude, Gebäudeblöcke und Stadtquartiere heizen und kühlen kann. Noch bleibt die Herausforderung, den Jahresverlauf der Sonneneinträge mit dem der benötigten Heiz- und Kühlenergie abzustimmen. Dieses Verschieben vom Sommer-Überschuss zum Winter-Defizit ist effizienter lösbar in der Kombination mehrerer Häuser, sprich im Quartier. In einem einzelnen Haus ist die saisonale Speicherung noch eine wirtschaftliche Herausforderung. Wir arbeiten an meinem Institut IGS, TU Braunschweig, derzeit an möglichen Speicherkonzepten im Kontext „Power to Heat“ für Ein- und Mehrfamilienhäuser sowie Stadtquartiere.

Wo steht die notwendige Technologie heute?

In den 1990er-Jahren versuchten wir, die Langzeitspeicherung von Sonnenenergie mit großen Wärmespeichern für Siedlungen technisch und wirtschaftlich zu lösen. Die Wohnsiedlung in Friedrichshafen-Wiggenhausen ist ein Beispiel dafür. Heute lautet meine Empfehlung, die Synergien vom Haus zum Quartier zu nutzen! Wir solarisieren die Häuser in Niedrigenergiebauweise, binden BHKWs mit ein und verwenden den sommerlichen Überschussstrom von den gebäudeintegrierten Photovoltaikanlagen zur elektrolyti-schen Wasserstoffherstellung, der in das Gasnetz mit bis zu 6 bis 8 % eingespeist wird. Damit könnte man überschüssigen Strom nicht nur in die Stromnetze, sondern auch in die Gasnetze exportieren. Somit wachsen in einem derartigen Quartier Strom- und Gasnetze zusammen (Power to Gas), was in dieser Art z. B. in der Neuen Weststadt Esslingen geplant ist. Zusätzlich kann der solare Wasserstoff gespeichert und zum betanken der städtischen Busse mit Hybridantrieben genutzt werden. Die Elektrolyse muss nicht in jedem Haus stattfinden. Sie wird zentral im Quartier untergebracht.

Wie können wir uns diese Solarsiedlung vorstellen?

Prof. Dr. Fisch: Die Interessen müssen vernetzt sein, was Aufgabe ganzheitlicher Planungsprozesses und integraler Planung ist. Die Umsetzung in einem Stadtquartier erfordert die Abstimmung zwischen vielen Beteiligten mit unterschiedlichen Interessen, die sich alle in diesem Umfeld eine Win-Win-Situation versprechen. Ob Strom oder Wasserstoff: Beide Energieträger müssen wirtschaftlich sein. Wir entwickeln im Team für Esslingen und Wolfsburg Quartiere als Nukleus für die Zukunftsstadt: Pilotprojekte, die nicht nur energetische Aspekte verfolgen. Dort wirkt das AktivPlus-Haus im städtischen Kontext. Es entsteht ein Smart Grid, bei dem Erzeuger und Verbraucher miteinander kommunizieren. Wir sind für die ersten Baufelder in Esslingen bereits in der Planungsphase. In Wolfsburg laufen die städtebaulichen Wettbewerbe mit der klaren Zielsetzung „CO2-neutrale Energieversorgung“ und soziale Zukunftsstadt.

Haben in dieser Siedlung die Wärmepumpen ausgedient?

Elektrische Wärmepumpen bzw. Kältemaschinen werden in der Zukunft weit wichtiger werden als bisher. Der Stromüberschuss, der im Sommer, aber auch in der Heizperiode von den PV-Anlagen der Dächern und Fassaden kommt, wird in der Wärmepumpe bzw. Kältemaschine direkt zum Heizen und Kühlen der Gebäude genutzt. Im Vergleich zu einem elektrischen Heizstab geschieht dies 3- bis 5-mal effektiver — wir sprechen hier von Power to Heat. Im Quartier denken wir an kaskadenartig ausgelegte Hochtemperaturwärmepumpen. Sie erwärmen im Sommer großvolumige Warmwasserspeicher auf 90 °C, die die Wärme im Winter an die Häuser abgeben. Die Wärmepumpen werden zum Ende der Heizperiode zur weiteren Entladung des großen Wärmespeichers genutzt. Ein solches Pilotprojekt werden wir demnächst umsetzen. Dies sind die zwei großen Begriffe für die Zukunft: Power to Gas – aus Strom Gas erzeugen und in Erdgasleitungen einspeisen – und Power to Heat – wir betreiben mit dem Überschuss-Strom Wärmepumpen, die Wasser auf 60 °C bzw. in der Kaskade bis auf 90 °C erhitzen.

Haben thermische Solaranlagen in diesem Szenario eine Zukunft?

Die thermische Solarenergienutzung hat es schwer im wirtschaftlichen Vergleich. Wir haben dazu gerade eine umfassende Studie abgeschlossen („futureSolar“, gefördert vom BMUB). Solarthermie ist bis zu einem solaren Deckungsanteil von rd. 50 % im Vergleich zu einem PV-Wärmepumpen-System wirtschaftlich gleichwertig. Für höhere Deckungsanteile bis 100 % ergeben sich für das PV-Wärmepumpen-System geringere Jahreskosten.

Ihre Aktivitäten gehen hin zu Siedlungen?

Unser Fokus für die Zukunft sind städtische Quartiere und große Nichtwohngebäude – wie Schulen, Büro- und Gewerbebauten. Seit 25 Jahren ist mein Statement: Der erste Quadratmeter Kollektorfläche ist der wirtschaftlichste. Der solare Deckungsanteil nimmt mit der Fläche anfangs steil, bei zunehmender Fläche geringer und bei ganz großen Flächen kaum noch zu. Es ist wirtschaftlich fraglich, auf einem EFH 40 bis 50 m² Solarkollektoren zu installieren und damit einen 10 bis 15 m3 Speicher zu befüllen. Bei heutigen PV-Anlagen wird noch das öffentliche Stromnetz als saisonaler Speicher genutzt, dies hat aber seine Grenzen. Wir arbeiten an innovativen Zukunftskonzepten (Power to Heat, Power to Gas), um wirtschaftliche Lösungen für das „intelligente“ Smart Grid zur Verfügung zu haben.

Worüber werden Sie auf dem Kongress am 19. März in Stuttgart sprechen?

Ich werde aufzeigen, wo die Reise aus unserer ingenieurmäßigen Sicht hingeht. Dabei geht es um einzusetzende Techno-logien und die Energieübertragung vom Gebäude zum Quartier. Vernetzung ist ein wichtiges Thema für die Zukunft, denn die im Rahmen der Energiewende propagierte Dezentralisierung der Energieerzeugung funktioniert nur über die Vernetzung der Stadt und des Internet of Energy.

Das Gespräch führte Jörg Pfäffinger für die DBZ.

AktivPlus
AktivPlus e.V. ist ein Zusammenschluss von Planern und Wissenschaftlern mit dem Ziel, einen zukunftsfähigen Standard für Gebäude und Quartiere zu entwickeln. Der Verein entstand auf Initiative von Prof. Dr.-Ing. M. Norbert Fisch, Prof. Manfred Hegger, Prof. Dr.-Ing. Gerd Hauser und Prof. Dr. Ing. Dr. h.c. Gerhard Hausladen. Auf seinem 2. AktivPlus Symposium in Stuttgart stellt der Verein AktivPlus e.V. am 21. Mai die Inhalte des AktivPlus-Standards vor und gibt einen Überblick über den aktuellen Status Quo. Impulse für Entwurf und Bauprozess geben derweil die beiden Bücher „EnergiePlus Gebäude und Quartiere als erneuerbare Energiequellen“ von M. Norbert Fisch u. a. sowie „Aktivhaus – Das Grundlagenwerk“ von M. Hegger u. a. (eine ausführliche Buchbesprechung finden Sie in der DBZ 5/2013).
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