Neues Bauen
im Smart GridAktivhaus B10,
Stuttgart
Stuttgart
Das Aktivhaus B10 von Werner Sobek in Stuttgart ist ein Forschungsprojekt. Das Wohnmodul, das mit seinem er-
zeugten Stromüberschuss ein Nachbarhaus mitversorgt, ist ein Prototyp für die Urbanisierung der Energiewende – und für Neues Bauen in einer vernetzten Zukunft.
Der Platz ist gut gewählt: auf einem Grundstück in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart, in direkter Nachbarschaft zu dem Haus von LeCorbusier, das dieser 1927 zur Bauausstellung des Deutschen Werkbunds am Killesberg beigesteuert hatte. Gut gewählt deshalb, weil das Aktivhaus B10 ganz in der Tradition der damaligen Akteure des Neuen Bauens ein Forschungsprojekt ist: Im Rahmen des Projektverbunds „Schaufenster Living Lab BWe mobil“, in dem rund 40 weitere Projekte gefördert werden, sollen an dem Wohnmodul Materialien, Konstruktionen und Technologien untersucht werden, die „unsere Umwelt nachhaltig verbessern“. Der Schwerpunkt des Forschungsvorhabens liegt jedoch auf der Urbanisierung der Energiewende. Das Schlagwort meint die Verknüpfung von Energie-Effizienz mit Energie-Mobilität und Energie-Erzeugung in einem intelligenten Stromnetz, im Smart Grid.
Aus diesem Grund geht es bei diesem Projekt weniger um Architektur als um Technik. Oder besser gesagt: es geht um viel mehr, nämlich um eine neue Positionsbestimmung von Architektur. Denn mit der Einbindung der gebauten Umwelt in den interaktiven Energieverbund sollen neue Formen der Verknüpfung von Energieverbrauchern und -erzeugern erforscht werden. Das Ziel ist nichts Geringeres als die Entlastung des öffentlichen Netzes durch vorausschauende lokale Speicherung und intelligente Verbrauchssteuerung im Quartier – mit dem Gebäude als Bindeglied zwischen E-Mobil und stabilem Netz.
Das Wohnmodul B10, dessen Name auf das Grundstück am Bruckmannweg 10 Bezug nimmt, wurde von Werner Sobek zusammen mit dem Fertighausunternehmen SchwörerHaus und anderen Industriepartnern entwickelt. Auf der Basis des Flying Space, einer multifunktionalen Wohnbox für moderne Ansprüche, die auf einen Entwurf
von Lohmann Architekten BDA aus Rotenburg zurückgeht und von SchwörerHaus vertrieben wird, entstand eine Art Ein-Raum-Apartment, das als Miniwohnraum oder als Büro genutzt werden kann. Das komplett in der Werkstatthalle vorgefertige Modul besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten, die erst auf der Baustelle zusammengefügt werden: dem eigentlichen Wohngehäuse und einem Technikregal mit vorinstallierter Küchenzeile und Bad/WC.
Nach dem Triple Zero Konzept (zero energy, zero emissions, zero waste) von Werner Sobek wurde das Modul mit hohem Innovationsgrad konzipiert. Die Konstruktion ist vollständig recyclebar und kann sortenrein zerlegt werden. Nichts ist geklebt, es gibt keine Verbundmaterialien – aus diesem Grund wurde auch kein Putz für die hochwärmegedämmte Außenfassade verwendet, sondern ein abnehmbarer Textilbezug. Sogar das Fundament, bestehend aus nachjustierbaren Stahlstützen und einem Trägerrost, kann nach dem Umzug des B10 rückstandsfrei entfernt werden. Die verwendeten Bauprodukte wurden nach ihrer CO2-Neutralität ausgewählt. Experimentelle Baustoffe, wie das nur 17 mm starke Vakuumglas, wurden zu Forschungszwecken eingebaut, ebenso Varianten für den Wand- und Deckenaufbau.
Der immense Technikaufwand dient einzig und allein dem Ziel, 200 % mehr Energie zu gewinnen als verbraucht wird und damit das Weissenhofmuseum (LeCorbusier) zu versorgen, das nicht ohne gestalterische Verluste saniert werden kann. Für die Technik wurden unabhängig vom Restgebäude vier Einzelmodule für ELT, TGA, Küche und Bad vorgefertigt und später als Ganzes an das Wohnmodul angedockt. Das bedeutet: minimierte Leitungsführungen, keine Installationen im Wohnmodul, beliebige Anordnung der einzelnen Racks zu-einander. Das dadurch extrem flexible Gebäudekonzept ist somit standortunabhängig und beliebig erweiterbar.
Das Energiekonzept sieht neben der hohen thermischen Qualität der Gebäudehülle eine höchst effiziente und ressourcenschonende Bereitstellung von Wärme und Kälte vor. Die Beheizung bwz. Kühlung basiert auf einer Wasser-Wasser-Wärmepumpe, die auf zwei Wärmequellen zugreift. Für die Wärme-/Kälteübertragung werden Fußböden und Decken aktiviert. Die niedrigen Vorlauftemperaturen werden aus Photovoltaik und Solarthermie generiert, die Kombi-
Verantwortlich für den hohen Energieüberschuss ist das vorausschauende Energiemanagement, das sich an wechselnde Bedingun-gen und Anforderungen anpassen kann. Als selbstlernende Gebäudesteuerung optimiert es Ladeinfrastruktur, Anlagentechnik und Speicherung und beschränkt den Energieverbrauch auf ein Minimum. Das System erfasst die Komfort- und Mobilitätsbedürfnisse und -gewohnheiten der Bewohner, die Lastprognosen der Geräte und E-Mobile sowie externe Einflussgrößen, wie etwa die Wettervorschau oder die Tagesprognose für den Energiegewinn. Auch der Strombedarf der Nachbargebäude und Informationen über den Stromüberschuss an den Netzbetreiber werden gespeichert. Die zentrale Steuereinheit koppelt die Energieströme zwischen Gebäude,
E-Mobilen und Nachbarhaus und sorgt so für maximale Energieeffi-zienz. Im Klartext: für eine optimale Klimatisierung des Gebäudes sowie für ausreichende Ladekapazität und Reichweite der E-Mobile. Über ein von Sobek entwickeltes Interface können die Nutzer per APP auf ihrem Smartphone oder Tablet mit dem System kommunizieren und aktiv in die Steuerung eingreifen.
Das B10 wird zwei Jahre in der Weißenhofsiedlung zu Gast sein und dann wieder abgebaut. Ein Monitoring in zwei Zyklen (Büro- und Wohn-Zyklus, jeweils 12 Monate) soll die Energieentwicklung begleiten. Aus den Ergebnissen erhofft man sich valide Informationen über die Vorhersagbarkeit der kurz- und langfristigen Energieverbräuche sowie über die (Zwischen-)Speicherung und Verteilung temporärer Überschüsse. IS
Informationen: www.livinglab-bwe.de/projekt/aktivhaus-b10/ und www.aktivhaus-b10.de
Dachaufbau D2: Abdichtungssystem 2,5 mm, PU-Dämmung 12 cm, 3-Schichtplatte 24 mm, Balkenlage 16 cm, Lattung 5 cm, GKF 12,5 mm
Dachaufbau D3: Abdichtungssystem 2,5 mm, PU-Dämmung 8 cm, Vakuumisolationspaneele (VIP) 38 mm, 3-Schichtplatte 24 mm, Balkenlage 16 cm, Lattung 5 cm, GKF 12,5 mm
Wandaufbau W1: Textilfassade, Cospanplatte 16 mm, Holzständer mit 16 cm Zwischendämmung WLG 035, Vakuumisolationspaneele 38 mm, Lattung 4 cm als Installationsebene mit Zwischendämmung WLG 035, Holzwerkstoffplatte 16 mm, GKF 10 mm
Bodenaufbau B1 (Garage): Cospanplatte 16 mm, Holzbalken mit 24 cm Zwischendämmung, 3-Schichtplatte 254 mm
Bodenaufbau B2 (Wohnen/Schlafen): Cospanplatte 16 mm, Holzbalken mit 20 cm Zwischendämmung, 3-Schichtplatte 24 mm, Vakuumisolationspaneele 38 mm
Fassade: Skyframe mit Vakuumisolierglas, Uw = 0,83 W/m²K
U-Wert Bodenplatte B1 = 0,194 W/m²K,
U-Wert Bodenplatte B2 = 0,104 W/m²K,
U-Wert Dach D1 = 0,156 W/m²K,
U-Wert Dach D2 = 0,235 W/m²K,
U-Wert Dach D3 = 0,133 W/m²K,
Uw-Wert Fenster = 0,8 W/m²K,
Ug-Wert Verglasung = 0,46 W/m²K,
g-total (mit Sonnenschutz) = 0,038 – 0,38
Herstellernachweis
Spanndecken: Clipso, Vieux Thann/F, www.clipso.com
Textilfassade: EPS Profiled Solutions GmbH , Siegen, www.facid.eu#
PVT-Module: PA-ID Process GmbH, Kleinostheim, www.pa-id.de#
Vakuumisolierverglasung: Bejing Synergy Vaccum Glazing Technology Co., Ltd., Beijing/VRC, www.bjsng.com
Vakuumisolierpaneele: Porextherm Dämmstoffe, Kempten, www.porextherm.com
Raffstore: Warema Renkhoff GmbH, Leinfelden, www.warema.de
Bodenbelag: Forbo Flooring GmbH, Paderborn, www.forbo-flooring.de
Glasschiebetüren: Astec GmbH, Albstadt, www.astec-design.de
Duschsysteme: Hansgrohe SE, Schiltach, www.hansgrohe.com
Wand- und Deckenheizung: Variotherm, Leobersdorf/A, www.variotherm.at
Fußbodenheizung: Buderus, Wetzlar, www.buderus.de