AktivPlus — Wirtschaftliche Nachhaltigkeit
Ein Gespräch mit Prof. Manfred Hegger

Unter der Projektleitung von Prof. Manfred Hegger, TU Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Entwerfen und Energieeffizientes Bauen (Fgee) entsteht im Zentrum Frankfurts für die ABG Frankfurt Holding ein zukunftweisendes Wohngebäude: das Aktiv-Stadthaus in der Speicherstraße.

Herr Prof. Hegger, wie kam es zur Realisation dieses Gebäudes?

Prof. Hegger: An der TU Darmstadt haben wir die beiden Solar

Decathlon-Häuser geplant und erstellt, die beim gleichnamigen internationalen Hochschulwettbewerb 2007 und 2009 jeweils den ersten Preis gewonnen haben. Daraufhin wurde das Plus-Energie-Haus der Bundesregierung gebaut, eine vergrößerte Version unseres ersten Solar Decathlon-Hauses, das u. a. zwei Monate in Frankfurt auf dem Goetheplatz zu besichtigen war. Auf einer dortigen Tagung der Wohnungswirtschaft sprach mich Herr Junker von der ABG Frankfurt Holding an, ob man Derartiges auch in größerer Ausführung erstellen könne und so hat sich dieses Projekt entwickelt.

Das klingt nach einer schwierigen Aufgabenstellung…

Prof. Hegger: Ohne Frage. Erst einmal musste berechnet werden, bis

zu welcher Höhe und mit welcher Hüllfläche im Verhältnis zur Wohnfläche ein solches Objekt überhaupt realisierbar wäre. Nach erstem Überschlagen kamen wir auf drei bis vier Stockwerke. Als Herr Junker dann das mit 8,50 m sehr schmale Grundstück präsentierte, auf dem acht Geschosse zu entstehen hatten, wurde klar, dass es eine extrem anspruchsvolle Planung ergeben würde. Dazu haben wir ein Forschungsprojekt beantragt, in dessen Verlauf wir mit der Planung beginnen konnten. Um die hochgesteckten Vorgaben zu erfüllen, mussten die Gebäudehülle und der Fensteranteil optimiert werden, zusätzlich mussten den Mietern energieeffiziente Haushaltsgeräte zur Verfügung gestellt werden. Das ergab die Forderung nach voll eingerichteter Küchen plus Waschmaschinen und Trockner mit reduzierten Verbräuchen. Die ABG hat diese Forschung intensiv begleitet, hat mit uns gelernt und kritische Beiträge dazu geleistet. Die Fertigstellung wird im Juni 2015 sein.
Ergeben sich bei einem derart ambitionierten Projekt, das sich immerhin selbst mit Energie versorgen soll, denn nicht völlig unwirtschaftliche Investitionskosten? Es heißt in der Branche doch, Photovoltaik in der Fassade sei kaum bezahlbar?
Prof. Hegger: Für die ABG muss sich jedes Projekt rechnen und auch dieses Projekt wurde nicht subventioniert. Das gilt auch für die aufwändige Photovoltaik-Anlage in der Fassade. Wenn gesagt wird, die Photovoltaik in der Fassade sei erheblich zu teuer, ist das keine Funktion der Photovoltaik, sondern:  Der Ertrag in der Fassade ist geringer als auf dem Dach – gerade auch in der Verschattungssituation im innerstädtischen Umfeld. Der Ertrag in der Fassade dieses Aktiv-Stadthauses ist entscheidend dafür, dass wir bei der Energie-Situation im Plus sind.

Dazu gehören u.  a. auch Fenster mit 3-fach-Verglasung… Prof. Hegger: Aufgrund der großen Gebäudehöhe und des geringen Hüllflächenanteils mussten wir mit 3-fach-verglasten Fenstern arbeiten. Dies nicht nur aus Gründen der thermischen Bauphysik, also des Passivhaus-Standards, sondern auch aus Schallschutzgründen wegen der vielbefahrenen Straße und der nahen Eisenbahnlinie.

Macht das AktivHaus das Passivhaus überflüssig – ist es eine Gegenentwicklung?
Prof. Hegger:
Das AktivHaus ist ganz klar eine Weiterentwicklung, die davon profitiert, dass die aktiven Systeme heute viel kostengünstiger sind, als sie es vor 20 Jahren waren. Zusätzlich sind die Gestehungskosten für elektrische Energie bei diesem Objekt geringer als der Endverbraucherpreis für die Kilowattstunde Strom. Wir stellen eine

Kilowattstunde Strom am Gebäude für 17 Cent her, die in Frankfurt sonst ca. 25 Cent kostet. Daraus ergibt sich die Wirtschaftlichkeit der eigenen Energieerzeugung.

Sind derartige Objekte nur im hochpreisigen Frankfurt möglich?
Prof. Hegger:
Bei einem Mietpreis von ca. 13 Euro inkl. Heizung, Strom und Küche sehe ich die Kosten für die Bewohner mehr als vertretbar, zumal bei innerstädtischer Lage mit bester Erschließung.

Sie arbeiten mit Energiespeichern, um nachts Strom zur Verfügung zu haben. Rechnet sich das?
Prof. Hegger:
Die Speicher sind in der Gesamtkalkulation enthalten: Wir finanzieren die Akkus durch die Kostendifferenz unserer Erstellungskosten von 17 Cent gegenüber den Marktkosten von 25 Cent. Wir haben also für 8 ct/kWh Akkus eingebaut. Durch die Zwischenspeicherung können wir sehr viel mehr eigenerzeugte Energie im

Gebäude nutzen. Zusätzlich speisen wir ins Netz ein.
 
Sie nutzen darüber hinaus die Abwasserwärme zur Energieerzeugung?
Prof. Hegger:
An der Fassade und auf dem Dach setzen wir Photovol-

taik-Elemente ein. Dem Abwasserkanal entziehen wir Wärme, die dort zwischen 8 und 15 °C liegt. Über eine mit Solarenergie betriebene Wärmepumpe erzeugen wir damit Energie für Heizung und Warmwasser. Mit der Solarenergie bedienen wir Haushaltsgeräte und Elektromobilität. Nur 15 % des gesamten Energiebedarfs entfallen auf Heizung, die Warmwasserbereitung verbraucht einen größeren Anteil. 70 % des Energieverbrauchs entfällt auf den Strombedarf, davon benötigt die Wärmepumpe nur einen kleinen Teil, der Rest ist für die Haushaltsgeräte trotz höchstem Energiesparstandard. Die Haushaltsgeräte sind die Hauptverbraucher bei diesem Objekt, denn aufgrund der Wohnbauförderung wurden relativ kleine Wohnungen mit zwei, drei und vier Zimmern realisiert. Durch die dichte Belegung ergibt sich der hohe Anteil an Elektrogeräten.

Wie werden die Wohnungen beheizt?
Prof. Hegger:
Die Wärmeübertragung erfolgt aus Kostengründen

durch konventionelle Niedertemperatur-Heizkörper. Wir setzen in den Wohnungen dezentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung ein. Und natürlich sind die Fenster öffenbar.
Wie wird der Energiestandard AktivPlus von der Wohnbaugesellschaft dem Mieter gegenüber kommuniziert? Prof. Hegger: Jeder Mieter erhält ein Budget, das im Standardverbrauch entsprechender Wohnungen liegt. Dazu gibt es zu jeder Wohnung ein i-Pad, das über eine spezielle App darüber informiert, wie viel Energie vom Bewohner verbraucht worden ist und wie hoch sein Verbrauch im Verhältnis zu den anderen Mietern liegt. Zusätzlich wird die aktuelle solare Deckung angezeigt, weiterhin, ob der Strom aus dem Speicher oder aus dem Netz kommt.

Was ist Ihre „AktivPlus“-Botschaft an Wohnbaugesellschaften?
Prof. Hegger:
Die Botschaft lautet: Erweitert eure Dienstleistungen im Bereich Betreuung und Energieversorgung, die nicht immer beim

Energieversorger liegen muss. In diesem Projekt bietet der Vermieter alle Energiedienstleistungen selbst an. Es gibt dabei die Schwierigkeit, dass jeder Haushalt frei ist in der Wahl seines Elektrizitätsversorgers. Beim Aktiv-Stadthaus wurde dies umgangen, indem der Vermieter dem Mieter die elektrische Energie schenkt.

Dies ist ein Leuchtturm-Projekt, wie geht es weiter?
Prof. Hegger:
Das Aktiv-Stadthaus ist kein einmaliger Leuchtturm, sondern ein erstes Projekt dieser Art. Die ABG hat mitgeteilt, in dieser Richtung weiter aktiv sein zu wollen und dies sogar auf den Bestand auszuweiten. Darüber hinaus haben uns Anfragen aus anderen Städten erreicht. Wir sprechen hier nicht von einem PlusEnergie-Haus, sondern vom AktivHaus. Das heißt, wir sollten uns, jeweils in Abhängigkeit von den Parametern eines Gebäudes, entscheiden, wie viel Energie wir erzeugen können. Das kann bei einem Altbau bei 50 % liegen, aber bei einem Neubau auch bei 200 %, wenn dort güns-tige Rahmenbedingungen vorherrschen. Gebäude sollten grundsätzlich aktiv sein. Der Beitrag, den sie leisten, ist abhängig von der Lage im Stadtraum, von der Kompaktheit etc.
Geht die Entwicklung hin zum elektrobeheizten Gebäude?
Prof. Hegger:
Ja, das sehe ich so. Aktuelle Wärmepumpen verfügen über Faktoren von 4 bis 5 und damit ist eine effektive Stromheizung möglich, die in unserem Projekt zusätzlich den Tagesstrom für die Nacht speichert. Provokant gesagt, haben wir es hier also mit einer aktuellen und effizienten Neuauflage der Nachtstrom-Speicheröfen zu tun, nur dass heute der Tagstrom gespeichert wird.


Das Gespräch führte Jörg Pfäffinger für die DBZ.

Nachhaltigkeit in der Wohnungswirtschaft – Vom Passivhaus zum AktivPlus-Haus
Am 19. März findet im Sika-Schulungszentrum in Stuttgart ein Wohnungsbau-Kongress statt, der sich die neuesten Entwicklungen im energieeffizienten Wohnungsbau auf die Fahnen geschrieben hat.
So stellen u. a. Prof. Hegger und Prof. Dr. Fisch neue Wohnbauprojekte vor, wie z. B. das Aktiv-Stadthaus in der Speicherstraße in Frankfurt a. M., an dessen Entwicklung beide mit ihren Büros
beteiligt sind. Der langgestreckte 8-Geschosser wird von der ABG Frankfurt Holding gebaut und soll im Juni 2015 eröffnet werden.
Das Mehrfamilienhaus mit 75 Mietwohnungen auf 6 500 m² Wohn-fläche soll einen Energieüberschuss produzieren, der sogar eine hauseigene E-Mobil-Flotte versorgt. Neben weiteren aktuellen Wohnungsbauthemen, wie Sozialer Wohnungsbau, Barrierefreie Stadtquartiere und Altersgerechte Wohnungen, werden Industriepartner die Komponenten des AktivPlus-Stadthauses vorstellen.

Die DBZ begleitet den Kongress als Medienpartner. Burkhard Fröhlich, Chefredakteur der DBZ Deutsche BauZeitschrift, moderiert die Veranstaltung. Im Vorfeld des Kongresses sprach die DBZ mit Prof. Hegger und Prof. Dr. Fisch, beide Mitbegründer des Vereins aktivplus e.V., über neue Standards für Gebäude und Quartiere.

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