Plusenergie im
Mehrfamilienhaus Aktiv-Stadthaus,
Frankfurt a. M.
Frankfurt a. M.
Das Projekt
Mit dem Projekt Aktiv-Stadthaus stellte sich der 2016 verstorbene Architekt Martin Hegger von HHS Planer + Architekten der Herausforderung, ein Effizienzhaus Plus im verdichteten, innerstädtischen Umfeld und im großmaßstäblichen Wohnungsbau zu realisieren. Als Mitstreiter konnte er die Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding gewinnen, die das handtuchschmale Grundstück im Frankfurter Gutleutviertel zur Verfügung stellte. HHS Planer + Architekten entwarfen dafür ein achtgeschossiges Gebäude mit auskragendem Pultdach und einer leicht gefalteten Südfassade. Auf den sieben Wohngeschossen des fast scheibenartigen Gebäudes finden 74 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen Platz.
Die Basis für Entwurf und Energiekonzept des solaraktiven KfW 40-Hauses war die Reduzierung des Energiebedarfs sowie die Bereitstellung von Energie aus lokal verfügbaren Energiequellen. Durch die hochgedämmte Holzelementfassade auf der Südseite wurde Wohnfläche gewonnen, weil die Dämmung bereits in der Fassadenkonstruktion Platz fand. Das von EGS-plan entwickelte Energiekonzept setzt auf eine Nur-Strom-Versorgung durch solare Stromerzeugung und hocheffiziente Anlagentechnik sowie Abwasserwärme aus einem Abwasserkanal. Flachdach und Südfassade wurden mit mehr als 1 000 Photovoltaikelementen bestückt, die zusammen mehr als 300 000 kWh Strom erzeugen. Zwei voneinander unabhängige Leitungssysteme sowie Frischwasserstationen in den Wohnungen senken den Energieverlust bzw. verbessern den Einsatz der Wärmepumpen. Die Küchen wurden mit extrem energiesparenden Haushaltsgeräten ausgestattet. Sie gehören ebenso wie das Energieguthaben zu dem speziell für das Aktiv-Stadthaus entwickelten Warmmietenkonzept der ABG, in dem außer den Heizkosten auch ein Stromkontingent enthalten ist, über das der Mieter frei verfügen kann. Für die Nachverfolgung des eigenen
Energieverbrauchs wurde ein Interface entwickelt, mit dem die Bewohner ihren Verbrauch steuern können. Damit wollen die Entwickler weitere 10−20 % Energieersparnis generieren. Die Messergebnisse aus bisher einem Jahr Monitoring scheinen diese Prognose zu bestätigen: Die Daten für den Verbrauch liegen noch niedriger als in den Berechnungen vermutet. Die Messdaten für die Stromproduktion der PV-Anlage liegen sogar über den Erwartungen.
Was bedeuten die Monitoringergebnisse für zukünftige Projekte? Was kann man aus dem Projekt für die Zukunft des Bauens ableiten? Wir fragten den Architekten Andreas Wiege und den Bauherrn Frank Junker nach ihren Erfahrungen.
und das Interesse an neuen Energiekonzepten in Verbindung
mit guter baulicher Gestaltung ist groß. Unsere Erfahrung zeigt,
solche Projekte bedürfen einer intensiven und vor allem frühzeitigen
Zusammenarbeit mit den Fachingenieuren.
Der Architekt
„Es geht, und das überrascht doch viele! Die Resonanz auf das Projekt und das Interesse an neuen Energiekonzepten in Verbindung mit guter baulicher Gestaltung ist groß. Unsere Erfahrung zeigt, solche Projekte bedürfen einer intensiven und vor allem frühzeitigen Zusammenarbeit mit den Fachingenieuren. Lokale Besonderheiten und die jeweilige Bauaufgabe sind für das Energiekonzept bestimmend: Es gibt nicht mehr die „eine Lösung“ für alle Bauaufgaben; es gilt, weitere Aspekte eines Gebäudes baulich und vor allem gestalterisch zu integrieren. Energiegewinnung durch Gebäude soll keine bestimmende, sondern eine zusätzliche Gestaltungsanforderung sein. Hier sind die Architekten gefordert. Das Aktiv-Stadthaus ist eine Spitzenleistung in einem sehr schwierigen innerstädtischen Kontext gewesen, mit den wirtschaftlichen Konsequenzen, die auch konventionelle Projekte dort haben. Insofern ist die häufig gestellte Frage nach den Kosten zu relativieren. Sicher ist nur, wir müssen diese Erfahrungen auch auf geringere Standards und größere Gebäudeeinheiten übertragen. Mit sehr großem Interesse ist das Prinzip der „Flatrate-Miete“ aufgenommen worden. Die Möglichkeit, mit selber regenerativ erzeugter Energie und damit kalkulierbaren Kosten den Mietern ein Komplettpaket anbieten zu können, wird als zukunftweisend gesehen. Denn gerade im nicht so hochpreisigen Wohnungsbau ist der Aspekt der kalkulierbaren Nebenkosten extrem wichtig. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung wird die Vernetzung von Einzelgebäuden zu einer verbindenden Quartiersversorgung sein. So können unterschiedliche Bedarfe mit unterschiedlichen Erzeugungen sich gegenseitig ausgleichen und für mehr Eigenverbrauch sorgen. In der Resonanz auf das Projekt wird auch die Antwort auf sich neu entwickelnde Anforderungen an die Mobilität als guter Lösungsansatz gesehen. Gerade die unkomplizierte Verknüpfung zwischen Haus und e-Auto über das wohnungseigene Tablet mit dem Car-Sharing-Unternehmen passt zu den heutigen Gewohnheiten der Mieter. Nur sehr langsam setzt sich allerdings bei den genehmigenden Behörden die Erkenntnis durch, hier durch Anpassung der Stellplatzsatzungen zu reagieren. Wir freuen uns, dass das Aktiv-Stadthaus mit seinem umfassenden Konzept viele Diskussionen angestoßen hat und auf breites Interesse trifft und so die Energiewende im Bauen unterstützt.“
Der Bauherr
„Wir als Bauherren sind mit dem Objekt Aktiv-Stadthaus rundum zufrieden, das wird natürlich auch durch die positiven Messwerte unterstützt. Wir wollten mit dem Aktiv-Stadthaus ein hocheffizientes Gebäude errichten, für das der Mieter nicht besonders angeleitet werden muss. Dieser Beweis ist aufgegangen: Der Mieter freut sich sogar darüber, dass er einen Beitrag zum Klimaschutz leistet! Das ist ganz wichtig, denn wir haben ja nicht mit der Energieeffizienz geworben, keine Testfamilien gesucht, sondern einfach Wohnungen in Frankfurt vermietet. Jetzt stellen wir fest: Der Mieter identifiziert sich sogar mit dem Projekt, er will verstehen, wie das Gebäude funktioniert. Das Tablet wird tatsächlich dafür genutzt, um Informationen zu bekommen: Wie ist der Energieertrag? Wann sollte ich Energie verbrauchen? Das hat sich in den Monitorings und der Mieterbefragung ergeben. Und das Mieterranking, das von uns eigentlich als Gimmick gedacht war, führt zu weiteren positiven Auswirkungen auf die Energieverbräuche, weil niemand ein Interesse hat, sich im letzten Drittel wiederzufinden.
Wir würden das nicht nur immer wieder machen, wir machen auch gerade weiter! Denn an der Weiterentwicklung und Fortsetzung geht kein Weg vorbei. Wir setzen das Konzept gerade mit dem gleichen Team, mit HHS Architekten und dem Institut für Gebäude- und Solartechnik (IGS) in Braunschweig, um im Rahmen einer Bestandssanierung von 1950er-Jahre-Zeilenbauten zum Aktiv-Stadthaus.
Leider ist keine Strahlkraft auf andere Wohnungsbauunternehmen festzustellen. Auf der Fachebene gibt es ein sehr großes Interesse an unseren Erfahrungen, aber es gibt leider nur wenig Immobilienunternehmen, die dem in der Praxis folgen. Das ist ein großes Problem, besonders im Bereich der immobilienwirtschaftlichen Verbände. Ich kann nur fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass der GdW seine Zusammenarbeit mit dem Bundesbauministerium unlängst aufgekün-digt hat, weil das BMUB Anforderungen an die Immobilienwirtschaft stellt, um die hohen Klimaschutzziele einzuhalten. Da kann ich nur sagen, das kann nicht wahr sein!
Wie man sagen kann, das seien alles irgendwelche Zukunftsprojekte, die man nicht bezahlen könne, erschließt sich mir überhaupt nicht! Letztendlich führt eingedenk der EU-Gebäuderichtlinie 2020 in der nahen Zukunft ohnehin kein Weg daran vorbei. Wir haben gezeigt, dass es geht! Wir sind auf dem richtigen Weg. Unser Weg vom Passivhaus zum Aktiv-Stadthaus ist aus Bauherrensicht eine völlig konsequente und vor allem, eine richtige Entscheidung.“