Ostsee-Biennale? Rostock schaut zurück und nach vorn
Warum über eine Ausstellung berichten, die schon zuende ist, wenn dieser Beitrag erscheint? Vielleicht, weil eine Kunstausstellung, wie sie in der Kunsthalle Rostock bis zum 18. Februar 2024 lief, mehr ist (war?), als nur eine temporäre Schau auf das, was wir einmal zeitgenössiche Kunst nannten. In Rostock offenbart sich ganz nebenbei ein Aspekt im Architekturdiskurs, der immer weniger zum Tragen zu kommen scheint: das Potenzial des Historischen im Gebauten.
Und noch einmal gleich vorweg: Die hier angesprochene Ausstellung ist schon beendet, am 18. Februar 2024 schloss „Review Ostsee-Biennale. Der demokratische Raum“ ihre Türen. Was danach an Kunst gezeigt wird, ist auf der ambitioniert gemachten, aber schier kaum zu gebrauchenden Webseite nicht zu finden.
Dennoch ein Blick nach Rostock, in Richtung einer der älteren deutschen Großstädte an der Ostsee mit heute gut 200 000 Einwohnerinnen. An der Mündung der Warnow gelegen, war sie schon immer strategisch wichtig auf den Handels- und Verhandlungswegen zwischen West- und Ost- wie Nordeuropa. Nicht per Zufall war Rostock eine der großen Hansestädte.
Im geteilten Deutschland prosperierte der zur Bezirksstadt erhobene Industrie- und Gewerbestandort und schnell erkannte die politische Klasse des Landes, die international vergeblich um Anschluss rang, dass man diesen Anschluss doch auch über den kulturellen Austausch erreichen könnte. So war die für die damalige Zeit kultureller Gleichschaltung überraschend international ausgerichtete Veranstaltung, die „Biennale der Ostseeländer“, die erstmalig 1965 stattfand, dieser Link in die Welt. Und der funktionierte, besser vielleicht, als viele diplomatische Bemühungen. Auf dieser ersten Schau wurden Werke von Künstlern aus beiden deutschen Staaten sowie aus Finnland, Polen, Dänemark, Schweden, der Sowjetunion und zusätzlich Norwegen und Island gezeigt. Ganz sicher nicht eine „bourgeoise“ Kunst, über vielen „Sozialistischen Realismus“
à la Willi Sitte hinaus gab es auch Abstraktes, informell, und andere, nicht staatstragende Kunst, die hier eine Rolle spielen durfte.
Der Publikums- und eben auch Rezeptionserfolg dieser ersten Ausstellung zeitgenössicher Kunst hatte noch keinen angemessen Ort gefunden, doch die Politik erkannte Möglichkeiten: Sie gaben Gelder zum Bau einer Kunsthalle, dem in DDR-Zeiten ersten und einzigen Neubau, der sich zeitgenössicher Kunst widmete. Die Rostocker Kunsthalle nach Plänen von Hans Fleischhauer und Martin Halwas eröffnete 1969 pünktlich zur bereits 3. Biennale, die nun schon eine Sammlung präsentieren konnte, die sich aus Ankäufen aus den vorhergehenden zwei Biennalen zusammensetzte. Der zweigeschossige Bau auf quadratischem Grundriss wurde im EG über die Seitenfenster belichtet, das mit wunderbaren Struktursteinplatten geschlossene OG über einen zentralen Innenhof sowie Deckenöffnungen.
1996 gab es die letzte Biennale, da schon in einem Haus, das Denkmalstatus erlangt hatte. Das wurde, weil die Sammlung mittlerweile stark angewachsen war, durch ein auch zweigeschossiges Schaudepot erweitert, das ebenfalls einen quadratischen Grundriss und ebenfalls eine ornamentierte, jetzt aber komplett transluzente Fassade besitzt. Im September 2018 wurde dieses durch einen Verbindungsbau angeschlossene Depot eröffnet, entworfen hatten es die Rostocker buttler architekten, zu denen in der Bauabwicklung matrix architektur, ebenfalls Rostock, dazu kamen. Beide übernahmen auch die Sanierung des Bestandsbaus als Arge.
Nun mag man über die Sanierungsarbeit, die im April 2023 beendet wurde, streiten wollen – hier insbesondere über die Schließung des Innenhofs zu einem „White Cube“. Insgesamt aber können die Herstellung der Barrierefreiheit, die energetische Ertüchtigung, die Oberflächenarbeiten etc. als Teilaspekte einer Fortschreibung angesehen werden. Und diese Fortschreibung versucht sich auch in der Wiederaufnahme der Biennale Ende 2023, in der „auf die Geschichte der Biennale zu schauen“ Herzensangelegenheit sei, so der ehemalige Zahnarzt und jetzige Museumschef, Jörg-Uwe Neumann. Wir können nun die grundsanierte Kunsthalle wiederentdecken als ein Bauwerk, dessen der damaligen Zeit geschuldete Reduzierung in der Lage ist, Kunstort zu sein, Ort für Diskussion und Inspiration und der trotz allem DDR-Mief weiter ist, als manche Neubaugalerie in den gro-ßen Städten Westeuropas. Weiter im Sinne von diskursiver, gemeinschaftlicher, offen zugewandter und vor allem: zeitgeschichtlich nicht beschönigend zu arbeiten. Mit der Wiederaufnahme der „Biennale der Ostseeländer“, deren Zukunft ungewiss ist, hat Rostock den Mut bewiesen, Vergangenheit als Fundament für Zukunftsfragen anzunehmen. Das ist heute, insbesondere in den prosperierenden Städten Westdeutschlands verloren gegangen, siehe die lange Liste von Neubauwunschlisten lokaler Kultur- und Wirtschaftspolitik. Wir sollten dem Kunstort Rostock dankbar sein. Und einmal wieder hinfahren!
Benedikt Kraft/DBZ