Potenziale für die Tragwerksplanung im Gebäudebestand
Das Thema „Bauen im Bestand“ gewinnt heutzutage bei vielen Projekten immer mehr an Bedeutung. Die Revitalisierung von Bestandsgebäuden eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, bestehende Tragstrukturen
weiter zu nutzen und damit wertvolle Ressourcen und den Ausstoß von CO2 zu verringern. Das Projekt „Sanierung und Umnutzung des Betonsilos des Ensembles Plange Mühle“ im Düsseldorfer Rheinhafen ist ein vortreffliches Beispiel für das gelungene Zusammenspiel von Architektur- und Ingenieurleistung.
Die bestehende Tragstruktur eines Gebäudes zu verstehen, ist immer wieder eine spannende Aufgabe, da Bestandsunterlagen oftmals nicht dem Bestandsgebäude entsprechen oder in vielen Fällen zudem keine Bestandsdokumente zur Konstruktion und Statik existieren. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob ein Gebäude den aktuellen Bauvorschriften und den Anforderungen an die Nutzung noch genügt. Hier spielt die Einordnung der Bau- und Baustofftechnik, der Sicherheitsaspekte sowie der Normen eine wichtige Rolle. Eine qualifizierte Zustandserfassung der Bestandskonstruktion ist zudem entscheidend, um Reserven in der Konstruktion des Gebäudes zu erkennen.
Plange Mühle, Düsseldorf. Umnutzung eines ehemaligen Getreidesilos zum Büro- und Geschäftshaus
Foto: ingenhoven associates
All diese Fragen waren bei dem Projekt „Sanierung und Umnutzung des Betonsilos des Ensembles Plange Mühle“ von zentraler Bedeutung. Das im Jahre 1934 erbaute Gebäude steht unter Denkmalschutz und wurde viele Jahre als Getreidesilo genutzt. Das Büro ingenhoven associates hatte die Aufgabe übernommen, das aus zehn Betonröhren bestehende Silo zu einem hochwertigen, siebengeschossigen Büro- und Geschäftshaus zu entwickeln. Die bestehende Röhrenform machte die Umnutzung zu einer Besonderheit, da architektonische und statische Randbedingungen eng miteinander abgestimmt werden mussten. Erste Fragestellungen lauteten hierbei: „Wie groß kann der Teilabbruch der inneren Silowände sein, um eine effektive Flächeneffizienz zu erreichen und wie groß können die Fensteröffnungen in den Silowänden werden?“
Prüfung der Bestandsqualität
Eine wichtige Basis stellte die Bewertung der zehn Siloröhren mit einer Höhe von 30 m und einem Durchmesser von ca. 8,50 m dar. Jeweils paarweise gegenüberliegend angeordnet, stehen die Röhren in einer Doppelreihe mit je fünf Röhren nebeneinander und sind oberseitig durch einen durchgängigen Dachreiter verbunden. Die Betonqualität wurde von innen als auch von außen geprüft. Zudem wurden Beton- und Korrosionsschäden sowie Abplatzungen und Risse festgehalten. Der Aufwand hierbei war vor allem im Inneren der Röhren sehr hoch, da die Zugänglichkeit beschränkt war und die Erkundungen teilweise durch Fassadenkletterer übernommen werden mussten. Der Beton des Dachreiters war außerdem stark beschädigt, weil dieser über mehrere Jahrzehnte hinweg frei bewittert wurde. Die Reduzierung der freiliegenden Bewehrung durch Korrosion lag lokal bei bis zu 50 %. Der Altbeton musste mit Spritzbeton sowohl aufgrund von Betonschäden als auch aufgrund von zusätzlichen Lasten durch eine Terrassennutzung mit einer intensiven Dachbegrünung verstärkt werden. Die Betonfestigkeit der Silowände wurde mit einem C 25/30 als sehr gut eingestuft. Somit konnten die neuen 28 cm dicken Betondecken mit Auflagertaschen auf den 20 cm dicken Silowänden erstellt und mit einer Betonkernaktivierung realisiert werden. Neben der lokalen Betoninstandsetzung der runden Silowände wurde statt eines herkömmlichen Wärmedämmverbundsystems eine 15 cm starke Putzschicht auf der Fassade aufgebracht, um den authentischen Ausdruck des gesamten Ensembles zu unterstreichen.
Die Tragfähigkeit der Siloröhren wurde mit einem C25/30 als sehr gut eingestuft, so dass die neuen Betondecken mit Auflagertaschen eingebracht
werden konnten
Foto: Schüßler-Plan
Gegründet wurde das Betonsilo auf 11,5 m langen Stahlbetonrammpfählen, die unter den umlaufenden Zellwänden und der verstärkten Bodenplatte des Untergeschosses angeordnet waren. In Hinblick auf die Beurteilung der zukünftigen Belastung wurden vom Bodengutachter zulässige Pfahlwiderstände angegeben, die eine Verstärkung der Bestandsgründung nicht erforderlich machten.
Besondere Anforderungen
Eine entscheidende Fragestellung war das Thema der Wasserdichtigkeit des Bestands im Untergeschoss. Durch die Anordnung der hochwertigen Technikflächen in diesem Bereich mussten die Anforderungen der Weißen Wanne bei einem potenziellen Hochwasserereignis im Düsseldorfer Hafen umgesetzt werden. Dabei wurde im Bestand ein Beton mit einem groben Betongefüge festgestellt, der keine ausreichende Dichtheit gegen drückendes Wasser aufweist. Das Risiko und die Abweichungen der planerischen Vorgaben waren hier entscheidend, so dass eine neue, innenliegende WU-Konstruktion erstellt werden musste.
Herausbrechen der Fensteröffnungen aus der Silowand
Foto: Schüßler-Plan
Einen zentralen architektonischen Anspruch hatte das Thema „Tageslicht“ in den halbkreisförmigen Räumen der Siloröhren. Hier wurden in jeder Röhre zwei Fenster mit einer Größe von jeweils 2,20 m Breite und 2,70 m Höhe angeordnet, die ohne zusätzliche Ertüchtigungsmaßnahmen in der 20 cm dicken Silobetonwand realisiert werden konnten. Zusätzlich wurde im Gebäude an der Ostseite ein neues Treppenhaus mit zwei Aufzugsschächten konzipiert, während das Bestands-treppenhaus an der Westseite durch die Anordnung dreiecksförmiger Treppenläufe an die neue Nutzung angepasst wurde.
Abbruch der zunächst stehengelassenen Wandstücke zur temporären Lastabtragung
Foto: Schüßler-Plan
Eine weitere Besonderheit in diesem Projekt waren die temporären Bauzustände, bei denen Kosten und Bauzeit miteinander abgewogen werden mussten. Der Rückbau der inneren Silowände erfolgte etagenweise von unten nach oben; immer um ein Geschoss mit dem Bau der neuen Betondecke versetzt. So konnte die Stabilität des Gesamtgebäudes über die neuen Decken im Bau- und Endzustand hergestellt werden. Als temporäre Zwischenlösung wurde in der Bauphase ein ca. 1,60 m breites Wandstück als lastabtragender Pfeiler stehengelassen, bis alle neuen Decken fertiggestellt waren. Durch diese Vorgehensweise wurde eine zusätzliche Abstützung im Bauzustand und damit einhergehend auch Kos-ten vermieden.
Fazit
Durch den ressourcenschonenden Umgang mit unseren Rohstoffen wird das Thema „Bauen im Bestand“ zukünftig gegenüber Neubauten immer wichtiger werden. Mit dem Umbau der „Plange Mühle“ hat sich gezeigt, dass historische Gebäude großes Potenzial haben, um auch weiterhin in der Zukunft genutzt werden zu können. Bemerkenswert sind die Grundrisse der halbkreisförmigen Röhren und die neuen Fenster, die einen großartigen Ausblick über den Düsseldorfer Hafen bieten. Die vorhandene Bausubstanz steht zu Projektbeginn häufig im Widerspruch zu den Wünschen des Bauherrn, den Normen und Bauvorschriften. Diesen Widerspruch aufzulösen, macht das „Bauen im Bestand“ zu einer spannenden Aufgabe.
Der Erfolg eines komplexen Umbauprojekts stützt sich neben einer detaillierten Bestandserfassung auch auf eine konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten, da der technische Abstimmungsbedarf im Vergleich zu Neubauprojekten deutlich erhöht ist. Jeder muss die Belange der Planungspartner verstehen und bereit sein, Kompromisse einzugehen. All dies war letzten Endes mitentscheidend für den Projekterfolg des Umbaus der „Plange Mühle“ in Düsseldorf.
Autor: Markus Krah, Teamleitung Hochbau bei
Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH
www.schuessler-plan.de
Foto: Schüßler-Plan