Reallabore für das Bauwesen

DBZ-Heftpartner ZRS Architekten ­Ingenieure, Berlin

„Wie kommt das Neue in die Welt?“ fragte Prof. Stölzl bei der KAIROS Preisverleihung im Jahr 2015. Seitdem bewegt uns diese Frage, da wir in der Fachwelt zwar über konsistentes Wissen verfügen, dieses, aus welchen Gründen auch immer, aber nicht in die Anwendung bekommen. Wieviel wissen wir tatsächlich und was sollten wir anwenden? Die Erkenntnisse und Handlungsebenen verschieben sich kontinuierlich. Aufgrund komplexer Abhängigkeiten und der im Bauwesen meist langfristigen Prozesse, fällt es zunehmend schwer, verbindliche Entscheidungen zu treffen.

Nach der Fokussierung auf die Reduktion des CO2-Ausstoßes im Betrieb rückt nun die Inanspruchnahme von Rohstoffen in den Mittelpunkt. Diese muss laut Umweltbundesamt (UBA) um 60 % reduziert werden, sollen die Klimaziele erreicht werden. Das Bauwesen beansprucht mit ca. 500 Mio. t jährlich über 90 % der mineralischen Rohstoffe, die wir dem Boden entnehmen. Eine Reduktion wird nur gelingen, wenn wir auch auf Suffizienz setzen und z. B. die mittlere Wohnfläche um ca. 20 % auf unter 40 m² pro Person reduzieren, auch das ist eine Zielmarke des UBA. Wir sollten also nur noch das zwingend Notwendige neu bauen und müssen alle anderen Bedarfe mit minimalen Eingriffen im Bestand decken und diesen bis 2045 flächendeckend transformieren.

Parallel zur energetischen Optimierung werden wir den Bestand auf gleicher Fläche verdichten müssen und zusätzliche Funktionen wie z. B. produzierendes Gewerbe einbringen, um die durchmischte Stadt der kurzen Wege zu ermöglichen. All dies wird für den Hochbau mit keinem neuen mineralischen Material erfolgen können, da der Erhalt der Infrastruktur kaum in dem Maße „entstofflicht“ werden kann wie der Hochbau. Von der Konzeption über den Entwurf bis zur baulichen Umsetzung und vor allem dem Betrieb stehen alle Ebenen vor grundsätzlich neuen Rahmenbedingungen, das Bauwesen muss grundlegend neu gedacht und transformiert werden.

Aktuelle Forschungspraktiken – von der Definition der Forschungsfrage, über die Forschungspraxis und die Überführung in Normen und Baupraxis – dauern mehrere Jahre und sind viel zu langsam, um auf die Dynamik des Klimawandels und der Ressourcenkrise zu reagieren. Eine Antwort sind Real­labore im Bauwesen. Hier kann der Wandel unter dem Schutzmantel der wissenschaftlichen Begleitung in der Praxis erprobt werden. Diese könnten in Verbindung mit dem aktuellen Diskurs zum Gebäudetyp E eine Vereinfachung des Bauens anregen, Standards hinterfragen und neue Ansätze in die Praxis überführen. Ein breitgefächerter Reallabor-Ansatz sollte gemäß unserer Erfahrungen 10 % aller Projekte mit 20 % mehr Budget ausstatten, um Mehrkosten der experimentellen Praxis abzufangen, was z. B. für das öffentliche Bauen insgesamt Mehrkosten von 2 % zur Folge hätte (REALLABOR FORMEL 10 % x 20 % = 2 %). In jedem Falle bedarf es transparenter Vorgaben, wie beispielsweise eines „Geothermie- und Wärmepumpengesetzes – GeoWG“, um gleiche Bedingungen für Investoren, Verbraucher und Industrie zu schaffen. In diesem Feld gibt es bedeutend mehr wissenschaftliche Klarheit, als wir politisch umsetzen.

In der Büropraxis von ZRS haben wir in der Vergangenheit verschiedene Baukonstruktionen für Gebäude im globalen Süden wie der School handmade in Bangladesh oder in der Denkmalpflege im Mittleren Osten experimentell entwickelt und realisiert. Auch in der Wiederverwendung von Baukonstruktionen wie bei der Torfremise in Schechen haben wir bestehende Konstruktionen bzw. Bauteile im Labor experimentell untersucht und sind so zu neuen Nachweisen für his­torische Tragwerke gekommen. Im Reallabor Holz-Ziegel-Lehm steht das Thema Lowtech im Zentrum. In der Praxis übliche Lüftungsnormen werden hinterfragt und die Poten­tiale von Lehm- und Holzbaustoffen über Simulationen in die Anwendung geführt. Zudem wurde der Anteil energie- und ressourcenintensiver Baustoffe für beide Bauweisen auf ein Mindestmaß reduziert.

Reallabore brauchen neue kollaborative Planungspraktiken, in deren Rahmen alle Akteur:innen auf Augenhöhe zusammenwirken und das Neue möglich machen.

Titelthema Experimentelles Bauen
Hören Sie dazu auch unseren Podcast mit ZRS Architekten Ingenieure, Berlin
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