Regional bauen – global vernetzen

Im Juni diesen Jahres feierte der Pavillon ProtoPotsdam der gemeinnützigen Organisation Bauhaus Erde Richtfest – das Projekt steht im Forschungsverbund mit drei weiteren urbanen Regionen rund um den Globus und ist Teil der Forschungsprojektes ReBuilt, das systematisch untersucht, wie Gebäude in Kohlenstoffsenken verwandelt werden können und das sich hier ebenfalls vorstellt.

Mitten in Potsdam bietet das temporäre Ausstellungsgelände ProtoPotsdam der Fachwelt und interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich zu treffen und gangbare Wege des regenerativen Bauens kennenzulernen, zu diskutieren und gemeinsam die Vision einer neuen Baukultur zu entwickeln. Der Experimentalbau aus regionalen, wiederverwendbaren und nachwachsenden Materialien wird kontinuierlich um weitere Module ergänzt. Er befindet sich auf einem freien Teil des Grundstücks der „Stiftung großes Waisenhaus zu Potsdam”, an der Ecke Spornstraße/ Dortustraße. ProtoPotsdam erforscht, erprobt und demonstriert hier neue Wege für die Bauwende. Die stetig wachsende Dauerausstellung und ein vielfältiges Programm, kuratiert von Bauhaus Erde in Kooperation mit lokalen Partner:innen, laden ein und sollen Fachpublikum und Zivilgesellschaft gleichermaßen inspirieren. In Zusammenarbeit mit Forschungspartnerinnen an der TU Berlin, der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und der FH Potsdam untersucht ProtoPotsdam regionale Ressourcen und Potenziale in der Region Brandenburg-Berlin. Konkrete Ansatzpunkte und positive Beispiele machen die Utopie eines zukunftsfähigen, ganzheitlichen Ansatzes für eine grundlegende Reform des Bausektors greifbar.

Bauprozess des Pavillons

Bauhaus Erde orientierte sich bei der Planung des Pavillons an den vorhandenen Fundamenten im Baugrund. Die tragenden Rundholzstützen wurden direkt auf historische Grundmauern gesetzt — die eines 200 Jahre alten Mauerwerks  aus Rüdersdorfer Kalkstein. Dadurch wird der Verbrauch von energieintensiven Baustoffen wie Zement, Stahl und neugewonnenen mineralischen Baustoffen minimiert. Wiederverwendete Ziegelsteine von einem abgerissenen Bauernhof in Schwedt bilden den Sockel, der rückbaufähig in Trasskalkmörtel gemauert wurde. Die tragende Bodenplatte kommt ohne Zugabe von frischem Zement aus, da sich der recycelte Betonschotter im verdichteten Zustand durch Brechen und Luftzufuhr wieder verfestigt. Der mit einer Sperrschicht gegen aufsteigende Feuchtigkeit geschützte Lehmkern auf dem Altziegelsockel bildet zwei Räume und zeigt prototypisch Einsatzmöglichkeiten für hochverdichtete tragende Lehmsteine. Die Steine, die im Lab von Bauhaus Erde in Berlin-Marienfelde entwickelt wurden, können heute als lizenziertes Bauprodukt in tragenden Bauteilen eingesetzt werden. Jeder Lehmstein wiegt 8 kg und wurde im Lab von Hand gepresst und luftgetrocknet. Das Forschungsteam von Bauhaus Erde erhielt 2023 für die von ihm entwickelten Lehmsteine eine Baustoffzulassung (geprüft nach DIN 18945:2023-06).

Das Besondere an den Lehmsteinen: Ihr Material stammt aus dem Aushub einer Berliner Großbaustelle, sie sind energiearm in der Herstellung und vollständig wiederverwendbar. Die Prüfergebnisse zeigen, dass die Steine auch in mehrgeschossigen Gebäuden (bis Gebäudeklasse 4) als tragendes Mauerwerk angewendet werden können. Die größte Herausforderung bei der Verarbeitung dieses Baustoffs in unseren Breiten ist die Witterung. Abläufe und Verarbeitung während der Bauphase müssen gewährleisten, dass die Steine vor Schlagregen und punktuell eindringendem Wasser geschützt sind. Unverputzte Lehmsteine müssen im Außenbereich durch ausreichend dimensionierte Dachüberstände geschützt werden. Hohe Luftfeuchtigkeit oder leichter Nieselregen sowie starke Trockenheit sind für das Material hingegen kein Problem, da Lehm  ausgleichend auf das Mikroklima wirkt.

Das weit auskragende Dach wird von Rundholzstützen aus Robinie getragen, einem harten, sehr witterungsbeständigen Laubholz. Diese Baumart gehört zu den Pionierhölzern, wächst also schnell nach und kann sich sehr gut an veränderte ­klimatische Bedingungen anpassen. Aufgrund ihrer Eigenschaften eignet sich die Robinie als Bauholz, allerdings gibt es bisher in Deutschland und Europa keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für die Verwendung im konstruktiven Hochbau. Deshalb muss jede Stütze, die bei der Durchforstung für den Waldumbau zu einem resilienten Mischwald anfällt und im Pavillon verbaut wird, einzeln ausgewählt und vor dem Einbau fachmännisch begutachtet werden. Der Weg bis zur Zertifizierung oder gar europäischen Normung ist lang und kostenintensiv. ProtoPotsdam zeigt am Beispiel der Robinie, welche Schritte bei der Verwendung neuer Materialien im Bauwesen notwendig sind, um flexibel auf veränderte Rohstoffverfügbarkeiten reagieren zu können.

Der Ausbau erfolgt prototypisch in zirkulärer Bauweise mit Materialien, die vor dem Wegwerfen bewahrt wurden und somit länger im Einsatz bleiben. Hierzu gehören wiederverwendete Bauelemente sowie Materialreste aus industriellen Prozessen.

Der Experimentalbau beherbergt einen Serviceraum und eine Trockentoilette, die alltagspraktisch für ein Umdenken steht und die Prinzipien der Stoffkreisläufe vermittelt. Gleich daneben befindet sich das Regenrückhaltebecken. Selbstverständlich ist der Teichboden ohne Folie oder Beton, sondern nur mit reinem Ton abgedichtet, sodass sich das Wasser sammeln und verdunsten kann, bevor es in die Versickerungsmulde überläuft. Becken und Bepflanzung sorgen dafür, dass möglichst viel Wasser am Ort gehalten wird. Anstatt in die Kanalisation abgeleitet zu werden, versickert das Wasser und wird dem Grundwasser wieder zugeführt. Dieses Wassermanagement veranschaulicht das Konzept der „Schwammstadt“ und sorgt zusammen mit dem Lehmkubus und der ergänzenden Bepflanzung für ein angenehmes Mikroklima bei Veranstaltungen. Es trägt auch zur Kühlung der überhitzten Siedlungsräume bei.

Der stets offen zugängliche Außenbereich wird durch ein Veranstaltungsprogramm und eine Dauerausstellung belebt. Terrasse und Sitzgelegenheiten aus verschiedenen Laub- und Nadelhölzern laden zum Verweilen ein. Besuchende können sich von hier aus auch virtuell mit der Welt verbinden, dank eines Internetzugangs, den die Nachbarschaft freundlicherweise per Richtfunk zur Verfügung stellen.

ProtoPotsdam lädt ein zum Experimentieren, Lernen und Diskutieren über eine nachhaltige Transformation unserer gebauten Umwelt. Dazu bietet die Schaustelle in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Veranstaltungen, Workshops, Seminaren, Events, Filmvorführungen, künstlerischen Performances und anderen Formen des kulturellen Austauschs. Das von Bauhaus Erde kuratierte Programm entsteht in Kooperation mit zahlreichen Organisationen und Initiativen aus Potsdam sowie überregionalen Partnerinnen. Die Dauerausstellung, die im Herbst eröffnet wird, verdeutlicht den Zusammenhang zwischen dem anfassbaren Material und dem Konzept „Bauen in planetaren Grenzen”. Die Module der Schaustelle dienen als Forschungsanker und ermög­lichen Besuchenden eine individuelle Vertiefung in den Wissenspool von Bauhaus Erde. So wird ProtoPotsdam zu einem aktiven Werkzeug der Transformation.

Mit dem Forschungsprojekt ReBuilt ist ProtoPotsdam darüber hinaus Teil eines Wissenschaftsnetzwerks, das an vier Standorten in Europa (Potsdam), Asien (Paro-Thimphu/Bhutan, Denpasar/Indonesien) und Afrika (Cape Town/Südafrika) die Bauwende unter den jeweiligen regionalen und klimatischen Gegebenheiten vorantreiben will.

ReBuilt will das Konzept einer regenerativ gestalteten Umwelt etablieren und zeigen, wie es in der Praxis umgesetzt werden kann. Hierfür ist ein grundlegender Wandel in der Art und Weise, wie wir die gebaute Umwelt und Landschaften gestalten und erhalten, notwendig. Ziel des Forschungsprojekts ist es, die gebaute Umwelt von einer Kohlenstoffquelle in eine Kohlenstoffsenke umzuwandeln, um direkt das Klima zu addressieren und die Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen zu erhalten.

Um dieses Ziel zu erreichen, bearbeitet das Projekt zwei Forschungsstränge:

1. Eine globale Studie untersucht und definiert die kritischen Schritte für den Übergang zu einer regenerativ bebauten Umwelt in verschiedenen Maßstäben; und

2.  Vier Fallstudien in verschiedenen Weltregionen fördern regionale Maßnahmen durch die Einbeziehung lokaler Interessengruppen, die Identifizierung lokaler Möglichkeiten und deren Erprobung durch einfache Demonstrationsprojekte.und deren Erprobung durch Demonstrationsprojekte.

Von zentraler Bedeutung für das Forschungsprojekt ist der Materialwandel im Bauwesen. Im Fokus stehen daher regionale Wertschöpfungsketten mit natürlichen Baustoffen, die ganzheitlich –  einschließlich ihrer sozialräumlichen, ökologischen und politischen Dimensionen  –  betrachtet werden. Dazu gehören bio- und geobasierte Materialien wie Holz, Bambus, gepresste Lehmblöcke oder Hanf ebenso wie Sekundärmaterialien.

Die wichtigsten Forschungs- und Handlungsfelder des Projekts sind:

1. Analyse des Angebots und der Nachfrage nach naturbasierten Baumaterialien auf der globalen und regionalen Ebene

2. Identifizierung von regenerativen und zirkulären Baupraktiken

3. Anwendung von Reallaboren als regionale Testumgebung für eine regenerativ gebaute Umwelt

4. Schaffung eines günstigen Umfelds von Netzwerken, die aktiv am Systemwechsel arbeiten

Im Rahmen des Projekts wird auf globaler Ebene untersucht, ob der Materialbedarf für künftige Bauprojekte unter verschiedenen Szenarien mit nachhaltig beschafften, naturbasierten Baumaterialien gedeckt werden kann. Dies wird durch ein szenariobasiertes Modell erreicht, das wichtige Einblicke in das Potenzial zur Umwandlung der gebauten Umwelt von einer Kohlenstoffquelle in eine Kohlenstoffsenke liefern wird. Es umfasst zwei Komponenten: die Angebotsseite, die sich auf regionalisiertes Holz und andere naturbasierte Ressourcen konzentriert; und die Nachfrageseite, die Informationen über den künftigen Material­bedarf für den Wohnungsbau liefert. Das Modell integriert diese Komponenten, indem es einen räumlich expliziten, quantitativen Vergleich von Holzangebot und -nachfrage für städtische Ballungsräume liefert und so die Quantifizierung des Kohlenstoffspeicherpotenzials eines künftigen biobasierten Gebäudebestands unterstützt.

Auf regionaler Ebene zielt das Projekt darauf ab, in den vier städtischen Regionen – Berlin-Brandenburg (Deutschland), Kapstadt (Südafrika), Denpasar-Bali (Indonesien) und Paro-Thimphu (Bhutan) – lokal spezifische Transformationspfade zu einer regenerativen bebauten Umwelt zu identifizieren und zu initiieren. In diesen Regionen arbeitet ReBuilt eng mit lokalen Partnern zusammen, um gemeinsam lokale Lösungen zu entwickeln, die den Herausforderungen und Chancen der jeweiligen Situa­tion gerecht werden. Dazu gehören die Arbeit an der Bauordnung für den Holzbau in Bhutan, die Umsetzung eines Prototyps für ein Gemeinschaftsgebäude aus Bambus in Indonesien, die Wiederverwendung von Materialien für den Bau in Südafrika und die Förderung einer regenerativen Ressourcenregion in Berlin-Brandenburg. Die Erkenntnisse aus diesen regionalen Vertiefungen werden in regionale strategische Fahrpläne und ein anpassbares , digitales Instrumentarium für andere Stadtregionen einfließen, die den Übergang zu einer regenerativen gebauten Umwelt anstreben.

Kernablauf des ReBuilt-Projekts

Die Erkenntnisse aus der globalen Forschung werden in die regionalen Studien übertragen und umgekehrt. Dieser kontinuierliche Dialog schafft einen dynamischen und iterativen Projektkontext, der zu einem integrierten Ansatz führt, welcher darauf abzielt, innovative Lösungen für eine regenerative gebaute Umwelt zu entwickeln.

Das Forschungsdesign der regionalen Studien umfasst drei iterative Phasen:

1. Systemanalyse der regional verfügbaren natürlichen Baumaterialien, der Art des lokalen Bausektors und der sozialräumlichen Bedingungen der gebauten Umwelt und ihrer ­Akteure, der Politik und der Innovations­landschaft, welche erforderlich sind, um die notwendige Wissensbasis für den angestrebten Übergang zu schaffen.

2. Transformation Labs – transdisziplinärer Forschungsansatz, um wichtige Interessengruppen zusammenbringen, um gemeinsam alternative Visio­nen und Übergangsszenarien zu entwickeln und zu testen.

3. Entwicklung strategischer Fahrpläne mit skalierbaren Lösungen, um den kurz-, mittel- und langfristigen Übergang zu einer regenerativ gebauten Umwelt zu begleiten.

Die Laufzeit des Projekts reicht von 02/2023 bis 12/2025, Forschungsstand und Ergebnisse werden fortlaufend, z. B. auf www.bauhauserde.org, veröffentlicht. ⇥Text: Bauhaus Erde/ReBuilt

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