Studierendenhaus TU Braunschweig
Die Architekten Gustav Düsing und Max Hacke entwarfen für die Student:innen der TU Braunschweig ein neues Gebäude, das zum Lernen und Arbeiten, aber auch zum Aufenthalt und Austausch dient. Die gläserne Fassade ermöglicht maximale Aus- und Einsicht und macht das Gebäude zu einem Teil des Campus, der kaum noch wegzudenken ist.
Text: Ina Lülfsmann/ DBZ
Fassaden können ihrer Funktion als Gebäudehülle gerecht werden und zugleich das Gebäudeinnere zu einem Teil des umgebenden Raum machen und umgekehrt, wie zum Beispiel beim neuen Studierendenhaus der Technischen Universität Braunschweig. Entworfen haben es die Architekten Gustav Düsing und Max Hacke. Es ist ihr erstes gebautes Projekt.
Sie erhielten die Gelegenheit dazu, als die TU Braunschweig 2015 einen Wettbewerb unter den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen der Fakultät III Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften für ein neues Zeichensaalgebäude auslobte. Ihr Konzept eines hierarchiefreien Raums, der auch Treffpunkt und Wohnzimmer für die Student:innen ist, überzeugte die Jury, die aus Professor:innen der Fakultät bestand. Nach einem langen Prozess mit vielen Beteiligten wurde das Gebäude 2022 schließlich als Arbeits- und Lernort für alle Student:innen (nicht, wie zunächst geplant, als Zeichensaal nur für Architekturstudent:innen) fertiggestellt.
Das neue Studierendenhaus steht an einem der Campuseingänge gegenüber dem Hauptgebäude der TU Braunschweig. Schräg gegenüber (im Bild im Anschnitt unten links) befindet sich das Audimax von Friedrich Wilhelm Kraemer (1959/60)
Foto: Iwan Baan
Teil des Campus
Ursprünglich sollte das neue Studierendenhaus in einem Innenhof auf dem westlichen Teil des Unigeländes gebaut werden. Wegen eines ehemaligen Chemikalienbunkers unter dem Grundstück, dessen Entfernung unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht hätte, musste jedoch kurzfristig ein neuer Standort gefunden werden: Das Gebäude steht nun direkt an einem der Campuseingänge, umgeben von Bäumen, zwischen Fallersleber-Tor-Wall und dem Fluss Oker. „An dem neuen Ort funktioniert unser Konzept noch besser. Hier wird das offene Gebäude von allen Seiten belebt. Es steht als Plug-in auf dem Campus und ist in die Laufwege der Studierenden eingebunden“, erzählt Architekt Gustav Düsing. Das zweigeschossige Gebäude, das durch seine gläserne Fassade und die leichte Konstruktion fast wie ein Pavillon wirkt, bietet 200 gleichwertige Arbeitsplätze – das war den beiden Planern besonders wichtig: „Es sollte keine schlechten und keine Premiumplätze geben. Alles ist gleichwertig bespielbar. Es gibt auch keinen Unterschied zwischen Verkehrs- und Aufenthaltsflächen“, so Düsing. Das Prinzip wird durch die dezentrale Erschließung unterstützt: Eingänge befinden sich an allen vier Seiten des Gebäudes. Jeweils zwei Treppen an jeder Seite führen auf die obere Ebene, eine außenliegend, eine im Inneren. Große Lufträume sorgen für Sichtbeziehungen zwischen unten und oben und lassen die Etagen miteinander verschmelzen. „Wir haben das Gebäude nicht nur als Architektur verstanden, sondern vor allem als Programm. Es sollte im Kontrast zum Hochhaus der Architekturfakultät stehen, in dem alle Funktionen vertikal gestapelt sind. Das Studierendenhaus funktioniert horizontal und fördert Kommunikation und Austausch“, erklärt Düsing, „Die Idee war, eine neue Art von Campusgebäude zu entwerfen, in dem nicht nur gelernt wird wie in der Bibliothek, sondern wo ein kommunikativer Raum und Arbeitsplatz entsteht, in dem in gemeinschaftlicher Atmosphäre gelernt wird.“
Die Arbeitsplätze im neuen Studierendenhaus sind beliebt, sowohl drinnen als auch draußen – dank des großen Dachüberstands und der passiven Klimatisierung des Innenraums sind alle Plätze beinahe ganzjährig nutzbar
Foto: Lemmart
In der Mitte des Erdgeschosses befindet sich ein kompakter Gebäudekern mit WCs, einer geplanten Espressobar und Lagerräumen. Drumherum ein einziger, fließender Raum. Die Arbeitsplätze auf der oberen Ebene sind in Gruppen für jeweils etwa zehn Menschen organisiert, so wie es auch in den Zeichensälen der Architekturstudent:innen üblich ist. Diese „Inseln“, wie die Architekt:innen sie nennen, funktionieren autonom, sind aber auch Teil des großen Raums. Durch schwere gelbe Vorhänge lassen sich Bereiche teilweise abschotten.
Die Glasfassade mit ihren großen Elementen fällt kaum ins Auge. Fast scheint es, als würden Innen und Außen nahtlos ineinander übergehen
Foto: Leonhard Clemens
Die Balkone ermöglichen über Treppen einen Zugang auch über das Obergeschoss, außerdem erweitern sie den nutzbaren Raum. „In meiner Forschung beschäftige ich mich unter anderem mit Komfortfragen: Wieviel Architektur ist notwendig? Können wir unsere Verhaltensweisen und Rituale an eine ressourcenärmere Architektur anpassen?“, erzählt Gustav Düsing, „Zum Beispiel, indem wir bestimmte Funktionen in den Außenraum legen? So wir hier: Die Balkone funktionieren während eines Großteils des Jahres als vollwertige Arbeitsplätze.“
Die obere Ebene ist kein eigenes Geschoss, sondern vielmehr Teil des gesamten Raums. Große Ausschnitte
in der Geschossdecke verbinden die beiden Etagen optisch und räumlich miteinander
Foto: Iwan Baan
Das Konzept hat sich seit dem Wettbewerb 2015 kaum verändert, wurde durch die Corona-Pandemie in seiner Bedeutung aber verstärkt, wie der Architekt erklärt: „Wofür brauchen wir den Campus noch, wenn vieles online stattfinden kann? Wir finden, er muss eine neue Identität als sozialer Raum bekommen, ein Raum mit Qualitäten von Zuhause und mit Qualitäten eines Arbeitsplatzes. Diesen Ansatz unterstützt unser Konzept für das Studierendenhaus.“ In der Tat sorgen die gedämpfte Akustik und die Offenheit sowie der kleine Maßstab für eine Atmosphäre, in der man sich wohl und willkommen fühlt.
Die schlanke Geschossdecke besteht aus einer Vollholzrippenplatte, die an der Unterseite mit einer Brandschutzplatte sowie Akustikabsorbern ausgestattet ist. Der Bodenaufbau beinhaltet eine Fußbodenheizung, Estrichplatten und Teppich. Die Geschossdecke liegt auf L-Profilen, die an die Träger geschweißt sind
Foto: Iwan Baan
Vom Tragwerk zur Fassade
Zur angenehmen Atmosphäre im neuen Studierendenhaus trägt auch die Fassade bei, die komplett aus Glas besteht und so die Sicht aus und in das Gebäude ungestört freigibt. Die Pfosten-Riegel-Fassade setzt sich aus Elementen von 3 x3 m zusammen, nur gelegentlich unterbrochen von Glastüren oder unterteilt von Oberlichtern über die gesamte Breite eines Elements. Die Fassade ist direkt an das Stahltragwerk des Gebäudes geschraubt, das die Architekten mit der Unterstützung von Tragwerksplaner:innen von knippershelbig entwickelten. Es besteht aus Quadrathohlprofilen von 10 x 10 cm, die sowohl als Stützen als auch als Träger eingesetzt werden. Da sie nur verschraubt und nicht verschweißt sind, kann das Tragwerk einfach auseinandergebaut und in anderer Form neu zusammengesetzt werden. Es gibt keine Auskreuzungen im Raum, auch nicht in der Fassade. Das war sehr wichtig für das Konzept, damit die Student:innen von allen Arbeitsplätzen aus die freie Sicht durch die Fenster genießen können. Zur Aussteifung dienen stattdessen der Kern in der Mitte sowie die Treppen, die in verschiedenen Richtungen verlaufen. So überspannt das Tragwerk den Raum mit einer Grundfläche von 27 x 27 m und setzt sich im Außenraum unter den Balkonen und dem Dachüberstand von 3 m fort.
Im Innen- sowie im Außenraum bilden Stahl-Hohlprofile von 10 x 10 cm das Tragwerk. Die Balkone werden
fassadenseitig nicht von zusätzlichen Stützen getragen, sondern sind mit Schwertern an den Stützen im Innenraum
befestigt
Foto: Lemmart
Um zusätzliche Stützen vor der Fassade zu vermeiden, sind die Träger der Balkone an den Stützen im Innenraum befestigt. Sie durchstoßen also die Fassade. Um die so entstehende Wärmebrücke so klein wie möglich zu halten, sind sie jeweils mit einem Schwert aus Edelstahl an nur zwei Punkten an die Stützen geschweißt. Simulationen, die die Bauphysiker:innen von energydesign aus Braunschweig für das Projekt erstellten, wiesen nach, dass der Wärmeverlust an diesen Punkten unbedeutend gering und das Auftreten von Kondensat an der Innenseite sehr unwahrscheinlich ist.
Trotz des hohen Glasanteils in der Fassade sowie der leichten Konstruktion muss das Gebäude nicht maschinell klimatisiert werden. Das auskragende Dach sorgt zusammen mit den Bäumen für eine ausreichende Verschattung des Innenraums. Außerdem erzeugt eine runde Lichtkuppel, etwa in der MItte des Daches, zusammen mit den Kipp-Oberlichtern in geöffnetem Zustand einen Kamineffekt, der für Frischluft sorgt.
Maximale Ausnutzung des Tragwerks: Die Pfos-ten-Riegel-Fassade ist direkt an die Stahlstützen geschraubt. Die Elektrik ist in den Hohlprofilen verlegt, sodass Steckdosen und Lampen in den Stützen und Trägern integriert sind
Foto: Lemmart
Ein Prototyp
Gustav Düsing und Max Hacke haben aus ihrem ersten Projekt viel gelernt. Sie mussten sich mit dem Denkmalamt auseinandersetzen und argumentieren, warum sich ihr Entwurf nicht auf das schräg gegenüberliegende Audimax von Friedrich Wilhelm Kraemer (1959/60, Sanierung 2020 durch Krekerler Architekten)bezieht. Sie haben zusammen mit den Brandschutzplaner:innen von Dehne Kruse aus Braunschweig eine Zulassung im Einzelfall für die Brandschutzbeschichtung des Stahltragwerks erwirkt. Sie mussten über die Angemessenheit von Maßnahmen zur Barrierefreiheit diskutieren, um nur einige Hürden des Projekts zu nennen. Nun aber steht das Haus seit fast einem Jahr und wird gut und gerne genutzt. Es ist zu einem selbstverständlichen Teil des Campus geworden. Und für Gustav Düsing ist noch mehr vorstellbar: „Das Gebäude ist wie ein Prototyp. Es könnte auch auf anderen Campus stehen und würde ähnliche Probleme lösen.“
Grundriss Erdgeschoss, M 1 : 750
Grundriss Obergeschoss, M 1 : 750
Vertikalschnitt Anschluss Kipp-Oberlicht und Türschwelle Balkon, M 1 : 10
1 Türelement, schwellenlos und barrierefrei
2 Tragblech, 3 mm (Edelstahl), vorne und hinten gekantet, rutschfest, bündig mit OKFF
3 Fassadenprofil für Höhenausgleich im Fußbodenaufbau in Fassadenaufsatzprofil geklemmt
4 Fassadendurchdringung durch Stahlschwert
5 Kipp-Oberlicht als Einsatzelement in PR-Fassade
Gustav Düsing und Max Hacke, Berlin
www.gustav-duesing.com
www.burohacke.com
Foto: privat
Projektdaten
Objekt: Studierendenhaus der TU Braunschweig
Standort: Zentral-Campus der TU Braunschweig
Typologie: Bildungsbau
Bauherrin: TU Braunschweig
Nutzer:innen: Studierende der TU Braunschweig
Architektur (Entwurfsverfasser, LP1-5): Gustav Düsing, Berlin, www.gustav-duesing.com & Max Hacke, Berlin,
www.burohacke.com
Team: Gustav Düsing, Max Hacke, Janos Bergob, James Cosgrave
Bauleitung: iwb Ingenieure Generalplanung GmbH & Co. KG, Hamburg,
www.iwb-ingenieure.de
Bauzeit: 02.2020–01.2023
Nutzfläche gesamt: 1 000 m²
Baukosten gesamt brutto
(nach DIN 276): 5,2 Mio. €
Fachplanung
Tragwerksplanung: knippershelbig, Berlin, www.knippershelbig.com
TGA-Planung, Akustik, Energieplanung: energydesign, Braunschweig,
www.energydesign-bs.de
Brandschutz: Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG, Braunschweig, www.kd-brandschutz.de
Energie
Primärenergiebedarf: 46,6 kWh/m²a nach EnEV 2016
Jahresheizwärmebedarf: 114,87 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2016
U-Werte Gebäudehülle:
Außenwand = 1,2 W/(m²K)
Fassadenpaneel = 1,2 W/(m²K)
Bodenplatte = 0,2 W/(m²K)
Dach = 0,25 W/(m²K)
Fenster (Uw) = 1,2 W/(m²K)
Hersteller
Fassade: Raico, www.raico.de; Schüco (Öffnungsflügel), www.schueco.com
Holzdecken: LignoTrend,
www.lignotrend.com
Vorhänge, Pinnwände: Création Baumann AG, www.creationbaumann.com
Dämmschichtbildner F30: Sika Deutschland GmbH, www.deu.sika.com
Innentüren: Reinhaerdt Türen GmbH, www.reinhaerdt.de
Türenbeschläge: HAFI Beschläge GmbH, www.hafi.de
Rundleuchten: XAL GmbH, www.xal.com
Einbauleuchten in Trägern innen:
Zumtobel Lighting GmbH,
www.zumtobel.com
Einbauleuchten in Trägern außen: iGuzzini illuminazione S.p.A,
www.iguzzini.com